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"Die Herzogin von Chicago" in Leipzig
Wettstreit zwischen Walzer und Charleston

In der Operette "Herzogin von Chicago" von 1928 thematisiert der ungarische Komponist Emmerich Kálman den Kampf zwischen altem, walzerseeligem Europa und dem frechen, modernen Amerika. In Leipzig wurde das selten gespielte Stück neu auf die Bühne gebracht - mit herausragenden Tanznummern.

Von Franziska Stürz |
    Szene der musikalischen Komödie "Die Herzogin von Chicago" mit Sándor Boris (Radoslaw Rydlewski), Mary Lloyd (Lilli Wünscher), Ballett und Chor
    Amerikanische Milliardärsstochter und ein europäischer Prinz: der Stoff, aus dem Operettenträume sind (Oper Leipzig/Kirsten Nijhof)
    Wow, diese Frau ist wirklich umwerfend: Wasserstoffblond, gertenschlank und mit überschäumendem Temperament wirbelt Lilli Wünscher als Milliardärstochter Mary mit dem Ballett der Musikalischen Komödie in atemberaubender Präzision über die Bühne. Mary hat eine Wette mir ihren exzentrischen, reichen Girlfriends in den USA laufen: Es geht um den außergewöhnlichsten käuflichen Wunsch. Mary hat sich ein Schloss samt Märchenprinz ausgeguckt. Der Tenor Radolslaw Rydlewski als Prinz Sandor ähnelt in seiner sylvarischen Prinzenuniform etwas einem erzgebirgischen Nussknacker mit Nikolausmütze, kann aber durch seinen wild dargebotenen Csárdás ebenfalls punkten. Beeindruckende Arbeit hat die Choreografin Kati Heidebrecht an der Musikalischen Komödie Leipzig geleistet: Die Tanznummern in dieser Neuproduktion der "Herzogin von Chicago" sind herausragend gut gelungen. Da verzeiht man dem strahlenden Hauptpaar kleine sängerische Schwächen gerne. Der schmissige, flexible Orchesterklang aus dem Graben und von der Jazzband, die im Grill Americaine auf der Bühne spielt, ist so mitreißend, dass der Dirigent Tobias Engeli als Zugabe auf der Bühne sogar selber mittanzt.
    Engeli: "Das geht so richtig in den Körper. Die Tanzschritte, die Kati Heidebrecht mit uns da einstudiert hat, sind dermaßen organisch, dass man das sofort mittanzen kann, und das hat mich fasziniert. Im Finale des Vorspiels hat man ja das Gefühl, Charleston kämpft gegen Walzer, man merkt richtig diesen Streit, der da entsteht zwischen Mary und Sandor...Das Stück ist ja deshalb so außergewöhnlich, weil es kaum irgendwelche Arien hat bis auf die Mary mit ihrem Slowfox, sonst sind es alles Duette, die einen Nachtanz haben. Jede Nummer hat eine bestimmte Tanzart, es ist immer tänzerisch. Das ganze Stück tanzt!"
    Glamour und Balkan-Folklore
    Dieser tänzerisch ausgetragene Kampf zwischen altem, walzerseeligem Europa und dem frechen, modernen Amerika zieht sich als roter Faden durchs gesamte Stück und spiegelt sich auch in den Kostümen. Ausstatter und Bühnenbildner Leif Erik Heine hat das gesamte Leipziger Ensemble in eine beeindruckende stilistische Vielfalt von 20er-Jahre-Glamourkleidchen und üppigen Balkan-Folklore-Roben gekleidet. Die zahlreichen Darsteller lassen sich in seinem multifunktionalen Bühnenraum mit seitlicher Empore und mittiger Doppeltreppe zu herrlichen Tableaus arrangieren. Das Gefühl von ganz großem Hollywoodkino, von Metropolis bis Fred Astaire ist gewollt.
    Schließlich spielt der Hollywoodfilm in dieser Kálmán Operette eine finale Schlüsselrolle: Erst durch Vermittlung des Filmemachers Charlie Fox kommen Mary Lloyd und ihr sylvarischer Prinz Sandor im Nachspiel zum Happy End zusammen. Das war für Regisseur Ulrich Wiggers ein wesentlicher Bestandteil seines Regieansatzes. Schließlich schauen Mary und Sandor in einer Szene selbst durch den Gazevorhang die Stummfilm-Wildwest-Romanze "Rose der Prairie". In einer anderen Szene erscheinen Tänzer als mobile Rosenlaube um das komische Paar Prinzessin Rosemarie und James Bondy. Regisseur Ulrich Wiggers:
    Wiggers: "Das war immer unser Punkt: So könnte das in einem Stummfilm ausgesehen haben, eben auch dieser Laubentanz, das ist Revue! Und Kalman selber war ja auf der Suche, in einer neuen Art Operette zu schreiben und war auf dem Weg zur Revue, fast in Richtung Musical. Das zu bedienen war mir ganz wichtig, als ich gelesen habe, dass Kálmán eben sehr für das zeitgenössische Publikum damals geschrieben hat. Ich habe immer gesagt, Kálmán heute würde ein großes Tempo in diese Sache bringen, da bin ich ganz sicher."
    Erstaunliche aktuelle Themen
    Geschickt haben Regisseur Ulrich Wiggers und Dirigent Tobias Engeli die ursprünglich fünfstündige Fassung auf knapp drei Stunden gekürzt, indem sie Dopplungen von gesungenem und gesprochenem Text vermeiden und Strophen weglassen. So bekommt man in Leipzig einen unterhaltsamen und doch umfassenden Eindruck von der Vielschichtigkeit dieser selten gespielten Kálmán-Operette. Sogar der Auftritt der acht kleinen sylvarischen Prinzen wird vom Knabenchor der Oper Leipzig mit großer Spielfreude in putzigen Uniförmchen gegeben.
    Hinter der zuckerigen Fassade der klischeehaften und auch überdrehten Darstellung von amerikanischem Reichtum und europäischer Tradition kommen in der Herzogin von Chicago aber erstaunlich aktuelle Themen vor: Schlagworte wie "America first" oder "bankrotter Staat mit viel Geschichte zu verkaufen" weckt doch sehr heutige Assoziationen. Eine Aktualisierung des Werkes läge gar nicht so fern, doch in Leipzig hat man sich nicht zuletzt wegen der grandiosen modischen Möglichkeiten für die zeitlich originale Verortung in den 1920er-Jahren entschieden. In den revueartigen Szenen blitzt sie am häufigsten auf: die freche, sozialkritische Seite der Operette. Aber Kálmán selbst war ein Nostalgiker und so kann der Liebhaber von süffigen Walzermelodien in dieser Leipziger Herzogin von Chicago ebenfalls ausgiebig schwelgen.