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Die Hindus feiern Thaipusam

Das Thaipusam-Fest findet zum Vollmond im Monat Thai statt. Das ist in diesem Jahr am 7. Februar. Besonders ausgelassen wird dieser Feiertag im Süden Indiens, in Singapur und Malaysia begangen. Aber Thaipusam ist wegen der vielen blutigen Geißelungen und schmerzhaften Piercings nichts für schwache Nerven.

Von Margarete Blümel |
    Thaipusam in Singapore
    Thaipusam in Singapore (picture alliance / dpa / Stephen Morrison)
    Für die Dauer des Thaipusam-Festes ist Vetheswaran stumm. Ein silberner Haken, den die Helfer ihm auf sein Geheiß durch Zunge und Wangen gebohrt haben, hindert ihn daran zu reden. Vetheswaran hat seine ganze Konzentration darauf gerichtet, sein Kavadhi vorwärts zu bewegen. Nur so kann er das 40 Kilo schwere Gerüst tragen, das über den in Zunge und Wangen vertäuten Haken und über die Speichen befestigt ist, die in seiner Brust und in seinem Rücken stecken. Das weit ausladende Metallgestell ist mit Limonen, Blumen, Pfauenfedern und Götterfiguren dekoriert.

    Professor Rajendran Nagappan ist stolz auf seinen 20-jährigen Sohn, der dieses Opfer an Gott Murugan zum ersten Mal auf sich genommen hat. Eine bessere Gelegenheit, Murugan, dem Sohn des Götterpaares Shiva und Parvati, seine Ehrerbietung zu bezeugen, gebe es nicht, betont der Erziehungswissenschaftler. Prof. Rajendran weiß, wovon er spricht: Er ist in verschiedenen Hindu-Organisationen Malaysias aktiv und er hat das Kavadhi selbst schon viele Male getragen.

    "Thaipusam hat für die in Malaysia lebenden Hindus eine sehr große Bedeutung. Knapp 90 Prozent von uns kommen ursprünglich aus Südindien. Wir sind Shivaiten, das heißt, wir glauben daran, dass Shiva alle anderen Götter erschaffen hat und dass er unter allen Gottheiten die größte Macht besitzt. Shivas Sohn Murugan wird von uns als Gott der Stärke und der Schönheit und als Schutzherr unserer Sprache verehrt. Der Ursprung des Thaipusam-Festes liegt mehr als 2000 Jahre zurück. Hier bei uns in Malaysia wurde Thaipusam zum ersten Mal im Jahre 1888 gefeiert."

    Vetheswaran taumelt weiter durch die Hitze. Über die abgesperrten Straßen Kuala Lumpurs, die von Pilgern, Touristen und einheimischen Zuschauern gesäumt sind. Mehr als 800.000 Menschen finden sich zu diesem größten hinduistischen Fest außerhalb des indischen Subkontinents ein. Sicherlich 10.000 tragen ebenso wie Vetheswaran ein Kavadhi. Zu beiden Seiten des Metallgerüstes hat der junge Hindu Murugans Lieblingsgetränk befestigt – aus kleinen, irdenen Töpfchen schwappt im Rhythmus der Prozession immer wieder ein wenig Milch auf den Weg. So weit wie einige andere Kavadhi-Träger ist Vetheswaran allerdings nicht gegangen: Von den in ihrer Haut steckenden Haken hängen hölzerne Bollerwagen herab. Um Gott Murugans Gunst zu gewinnen, so die Gläubigen, schenke man ihm den Schmerz und die Entsagung. Im Verzicht haben sich die Kavadhi-Träger schon einige Wochen vor dem Festbeginn geübt.

    "Die Vorbereitungen für das Tragen des Kavadhis beginnen spätestens vier Wochen vor dem Festbeginn. Viele der Gläubigen präparieren sich, indem sie fasten. Zumindest aber nimmt man nur noch vegetarische Speisen zu sich. Sex, der Genuss von Alkohol und das Rauchen werden eingestellt. Auch meditieren die künftigen Kavadhi-Träger viel, um ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Besonders Emotionen wie Wut oder Neid müssen ausgeschaltet werden. Meditation und Beten nehmen bei den Vorbereitungen großen Raum ein."

    Wenn Vetheswaran im Zuge der viele Stunden währenden Prozession ins Schwanken gerät, wenn seine Augen in ihren Höhlen umherirren und die von Haken durchdrungene Brust vor Erschöpfung bebt, ist rasch jemand zur Stelle. Seine Freunde, die Familienmitglieder, die Freiwilligen des Tempelkomitees reden ihm zu. Andere flößen ihm etwas zu trinken ein oder gießen ihm Wasser über die Stirn und den Oberkörper. Manchmal reicht es auch schon, den Schwankenden wieder in Position zu bringen. Oder ihm Götternamen ins Ohr zu flüstern.

    "Ich habe ja selbst schon viele Male das Kavadhi getragen und weiß daher, wie weit man gehen kann. Dennoch bin ich jedes Jahr von Neuem darüber verblüfft, wozu die Gläubigen in der Lage sind! Sie lassen sich Zunge und Wangen durchbohren, in Brust und Rücken stecken Dutzende von Haken und die Kavadhis, die daran hängen, wiegen bis zu achtzig Kilogramm. Und doch scheint es, als sei das Schmerzempfinden ausgeschaltet. Und noch etwas: Wenn die Kavadhi-Träger ihre Last absetzen und man ihnen die Haken und Speichen herauszieht, bleiben keine Wunden zurück. Bis heute hat man dafür keine Erklärung gefunden!"

    Vetheswaran tänzelt vorm Eingang des Murugan-Schreines auf der Stelle. Dreizehn Kilometer hat er sein Kavadhi durch die Tropenhitze bis hierher befördert. Doch was nun am Endpunkt der Prozession an den Batu-Höhlen folgt, ist der schwierigste Teil der Bußübung: Vorm Tempel darauf warten zu müssen, bis man an der Reihe ist, dem Priester das Kavadhi zur Segnung zu übergeben. Im Pulk der Anderen verharren zu müssen und sich nicht kontinuierlich weiterbewegen zu können, um die Last des Kavadhis im Gehen auszubalancieren.

    Doch Vetheswaran ist zu allen Seiten hin von seinen Familienangehörigen flankiert. Schließlich hat er auch stellvertretend für sie dieses Opfer auf sich genommen. Und ein Teil ihres Geldes steckt auch in diesem Kavadhi. Viele Hindufamilien in Malaysia teilen sich inzwischen die Anschaffung eines der mehrere tausend Euro teuren Kavadhis.

    Etwa neun Prozent der Landesbevölkerung sind indische Tamilen, die ihrerseits zu über 90 Prozent dem Hinduismus angehören. Im letzten Jahr haben Malaysias Hindus erreicht, dass "ihr Fest " – das Thaipusam - nun auch noch in den Bundesterritorien Kuala Lumpur und Putri Jaya zum Feiertag erklärt wurde. Eine Entscheidung von politischer Brisanz, denn durch dieses Zugeständnis an die Hindus sicherte sich die Regierung kurz vor den Wahlen die kostbaren Hindu-Wählerstimmen.

    "Wir, die Hindus in Malaysia, danken dem Premierminister sehr dafür. Wir haben lange versucht, das zu erreichen. Und nachdem nun ein malaysischer Staat nach dem anderen Thaipusam zum Feiertag erklärt hat, sind wir ganz nahe am Ziel: Fast ist es bereits so, als sei unser großes Hindufest ein Nationalfeiertag."