Meurer: Warum sagt denn die Bundesregierung nicht der israelischen Seite, dass mit diesen Zerstörungen den Palästinensern eine wirtschaftliche Grundlage genommen wird, was nach Meinung vieler Beobachter mit eine Ursache für den Terrorismus ist?
Volmer: Es gibt darüber Gespräche mit der israelischen Regierung. Nicht alles, was wir zu kritisieren haben - und das ist eine ganze Menge -, kritisieren wir öffentlich. Umgekehrt gibt es auch auf der palästinensischen Seite vieles anzuprangern. Dort versuchen wir allerdings Arafat als den Repräsentanten der palästinensischen Seite zu stabilisieren, damit nicht Hamas und Dschihad stärker werden. Insgesamt arbeiten wir darauf hin, die verständigungsorientierten Kräfte gegen die jeweiligen Griestreiber auf beiden Seiten zu stärken.
Meurer: Woran nehmen Sie Anstoß an der Politik der palästinensischen Seite?
Volmer: Wir haben Arafat aufgefordert, die Autonomiebehörde zu reformieren, gegen Korruption vorzugehen, sie möglichst weitgehend zu demokratisieren, soweit das unter faktischem Kriegsrecht überhaupt möglich ist. Wir wollen den Staatenbildungsprozess Palästinas vorantreiben, damit es möglichst bald einen eigenständigen Palästinenserstaat geben kann.
Meurer: Die EU unterstützt die Palästinenser wirtschaftlich. Ist Ihnen bekannt, dass von palästinensischer Seite sozusagen diese wirtschaftliche Hilfe missbraucht wird, um Waffen zu kaufen oder den Terrorismus in irgendeiner Art und Weise zu unterstützen?
Volmer: Die höchste Pro-Kopf-Entwicklungshilfe, die Deutschland gibt, geht an Palästina. Wir wissen nichts über einen Missbrauch für Waffenkäufe. Allerdings gibt es dort, wie in vielen anderen Ländern auch, hin und wieder Schlamperei, und man muss schon sehr genau hinschauen, was mit dem Geld gemacht wird, ob es wirklich im Sinne der Geberseite verwendet wird.
Meurer: Was wissen Sie, was ist Ihre Meinung über das von israelischer Seite aufgebrochene, festgehaltene Schiff mit Waffenlieferungen für die Palästinenser?
Volmer: Ich möchte nicht darüber spekulieren, wer die Waffen dahin geschifft hat. Schlimm ist, dass diese Region sich weiterhin mit Waffen voll saugt, und zwar auf beiden Seiten. Es ist das Interesse der internationalen Staatengemeinschaft, dass der Prozess wieder umgekehrt wird, dass beide Seiten zu einer Friedensorientierung zurückkehren, dass beide Seiten die Schritte ergreifen, die im Mitchell-Plan vorgesehen sind. Das ist die einzige reale Option, um dort zu einem Frieden zu kommen. Und Frieden ist letztlich das, was beiden Völkern nützen wird.
Meurer: Die Bundesregierung hält sich mit öffentlicher Kritik an der Situation, an den Parteien im Nahen Osten weitgehend zurück, auch mit Kritik am Antiterrorkampf der US-Amerikaner. Es gibt aber Kritik an der Behandlung der Gefangenen auf der Insel Kuba im Militärstutzpunkt Guantanamo. Was sagen Sie zu den viel gescholtenen Haftbedingungen von El-Kaida-Kämpfern oder Taliban in Guantanamo?
Volmer: Man muss sehen, um welche Art Haft es sich dort handelt. Entweder sind die El-Kaida-Kämpfer Kombattanten, also Kriegsbeteiligte, dann müssen sie wie Kriegsgefangene im Sinne des humanitären Völkerrechts der Genfer Konvention behandelt werden, oder sie sind Verbrecher, dann müssen sie Haftbedingungen wie jeder Untersuchungshäftling haben. Das sind die beiden Standards, an denen man die Realität messen müsste. Nun gibt es Beobachter, die dort genau hinschauen. Und wenn diese Standards, die ich gerade beschrieben habe, nicht getroffen werden, wird man darüber mit den amerikanischen Freunden reden müssen.
Meurer: Haben Sie den Eindruck, dass im Moment keiner der beiden Standards gilt? Sie sind weder Kriegsgefangene noch wird ein ordentlicher Prozess vor einem US-Gericht geplant.
Volmer: Das ist eben die schwierige völkerrechtliche Situation. Das hat mehr etwas mit der Struktur des Völkerrechts und mit der UNO-Mandatierung zu tun. Verbrecherische Akte werden nach dem Territorialprinzip, was im Völkerrecht immer noch gilt, einem Land zugeschrieben. Dann sind die Täter folgerichtig entweder kriegsführende Parteien oder aber, wenn man sie als Verbrecherorganisation bezeichnet, dann gelten bestimmte Regeln des Völkerrechts wiederum nicht. Das ist das Problem, in dem sich die internationale Politik zurechtfinden muss.
Meurer: Am Montag hat sich die Grüne Partei dazu entschieden, Bundesaußenminister Joschka Fischer zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zu benennen. Was kann Fischer für die Bündnisgrünen im Wahlkampf leisten?
Volmer: Fischer hat von allen Grünen das größte öffentliche Renommee. Er hat sich über seine hervorragende Rolle, die er als Außenminister gespielt hat, zu einem der beliebtesten Politiker in Deutschland gemacht. Das Problem war, dass die Verbindung zur Partei im Bewusstsein der Öffentlichkeit fehlte, und diese Verbindung wird nun ganz demonstrativ hergestellt, indem Fischer zum Spitzenkandidaten gekürt wird, so dass die Leute wissen, wer Fischer als Außenminister weiterhin in dieser Funktion sehen will, der kann ihn nicht persönlich wählen, er muss das indirekt tun, indem er seine Partei, nämlich die Grünen wählt.
Meurer: Wie kommt es, dass Joschka Fischer bei vielen so beliebt ist, aber die gleichen nicht daran denken, die Grünen zu wählen? Warum klafft es auseinander?
Volmer: Ich denke, wir arbeiten gerade daran, dass diese Lücke verkleinert wird. Was Fischer gemacht hat, wird nicht als Grüne Politik gesehen, weil man bestimmte Klischees darüber im Kopf hat, was denn Grüne Außenpolitik sei. Der Außenminister betont völlig zurecht, dass er nicht die Außenpolitik einer Partei machen kann, sondern deutsche Außenpolitik macht. Aber die Handschrift, mit der er es tut, und sein Staatsminister unterstützt ihn dabei auch, trägt ganz eindeutig eine grüne Farbe.
Meurer: Im nächsten Bundestag wird Hans-Christian Ströbele nicht mehr Mitglied sein. Er war der Wortführer der acht Bundestagsabgeordneten aus der Grünen Fraktion, die gegen den Einsatz der Bundeswehr im Antiterror-Kampf stimmen wollten, was bekanntermaßen zur Vertrauensfrage führte. Wird die Außenpolitik für Joschka Fischer, vorausgesetzt er bleibt Außenminister, ohne einen Hans-Christian Ströbele im Bundestag einfacher?
Volmer: Es wäre nicht nur Ströbele, der Kritik geäußert hat. Er hat sie in einer Art und Weise geäußert, die dann hinterher in der Minderheit war. Auch die Mehrheit der Grünen, die Mehrheit der Fraktion, der Außenminister und ich selber überprüfen ständig unsere eigene Politik darauf hin, ob sie unseren Maximen und den grünen Wertvorstellungen genügt. Wir versuchen, ein Maximum an grünen Wertvorstellungen unterzubringen. Aber wir sind nicht allein in der Regierung, und unsere Regierung ist nicht die einzige auf der Welt. Es gibt 180 andere, die auch ihre legitimen Auffassungen haben, und so kommt es zu einem sehr lebendigen und oft sehr schwierigen Verhandlungsprozess.
Meurer: Dann frage ich mal anders: Wird der vermeintlich Linke, Ludger Volmer, Hans-Christian Ströbele vermissen?
Volmer: Ludger Volmer hat seinen eigenen Stil, seinen eigenen Weg entwickelt. Ihm wurde in der Vergangenheit eine Hardlinerrolle zugeschrieben, weil diese Rolle öffentlich besetzt werden muss, und nun wundern sich alle, dass er gar nicht so ist. Aber dann bekomme ich die Schuld, gelte als - was weiß ich - Rechtsabweichler, und keiner kommt auf die Idee, dass die öffentlichen Drehbücher vielleicht falsch geschrieben waren.
Link: Interview als RealAudio