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Die Hölle am Himmel

Am kommenden Dienstag steht die Venus genau zwischen Erde und Sonne. Für sechs Stunden sieht man die Venus als dunklen Punkt über die Sonnenscheibe ziehen - zum ersten Mal seit 122 Jahren. Historisch waren die extrem seltenen Venus-Durchgänge äußerst wichtig - mit ihrer Hilfe haben die Astronomen die Entfernung der Erde von der Sonne bestimmt. Heute ist die Entfernung Erde-Sonne exakt bekannt. Doch die Venus fasziniert noch immer: Der innere Nachbarplanet der Erde ist an der Oberfläche fast 500 Grad Celsius heiß, der Druck ist 90mal höher als auf der Erde und die vorwiegend aus Kohlendioxid und Schwefelsäure bestehende Atmosphäre rast in vier Tagen einmal komplett um den Planeten herum. Die Wolkenschichten sind über 40 Kilometer dick.

Von Dirk Lorenzen |
    Trotz der Besuche zahlreicher Raumsonden stellt die Venus die Forscher noch immer vor große Rätsel: Venus, Erde und Mars sind vor viereinhalb Milliarden unter ähnlichen Bedingungen entstanden. Warum sind sie heute so unterschiedlich? Gibt es auf der Venus noch heute aktive Vulkane? Wie ist es zu dem verheerenden Treibhauseffekt gekommen? Auf der Venus muss es früher sehr viel Wasser gegeben haben. War die Venus einst ein blauer Planet - vielleicht sogar ein Planet, auf dem es erste Formen von Leben gegeben hat? Das alte Bild der öden Gluthölle voller Kohlendioxid und Schwefelsäure, in der ansonsten nichts mehr los ist, erweist sich mehr und mehr als unzutreffend. Ende 2005 schicken Europas Forscher die Raumsonde "Venus Express" zu unserem Nachbarplaneten. Erkennen sie dann, wie das "System Venus" funktioniert, was es antreibt und wie es sich entwickelt?


    26. August 1768, der Hafen von Plymouth im Süden Englands: Das Segelschiff "Endeavour" manövriert in königlichem Auftrag auf das offene Meer hinaus, Ziel: Südsee. Der Kapitän ist ein gewisser James Cook - Hauptziel der Expedition: Den Astronomen Charles Green nach Tahiti zu bringen. Green soll von dort beobachten, wie die Venus genau zwischen der Erde und der Sonne hindurch zieht. Tatsächlich verfolgt die Reisegruppe am 3. Juni 1769, wie die Venus als dunkler Punkt für einige Stunden vor der Sonnenscheibe entlang zieht. James Cook notiert im Logbuch:

    Dieser Tag erwies sich als so günstig für unseren Zweck, wie wir nur wünschen mochten. Den ganzen Tag zeigte sich keine Wolke und die Luft war völlig klar, so dass Mr. Green und ich jeden erdenklichen Vorteil hatten bei der Beobachtung der ganzen Passage des Planeten Venus über die Scheibe der Sonne. Wir sahen sehr deutlich eine Atmosphäre oder einen düsteren Schatten um den Körper des Planeten.

    Noch heute zeugt "Point Venus" an der Nordspitze Tahitis von dieser Expedition. Was aber bringt einen Astronomen dazu, eine jahrelange gefährliche Reise auf sich zu nehmen, nur um zu verfolgen, wie die Venus vor der Sonne entlang zieht?

    Es gibt viele Dinge in der Welt, die auf den ersten Blick sehr paradox, ja ganz unglaublich erscheinen, und die doch nicht minder wahr und oft sogar mit Hilfe der Mathematik sehr leicht zu beweisen sind,

    schreibt der berühmte britische Astronom Edmond Halley im Jahre 1716 in seinen Memoiren.

    Was sollte es wohl Schwereres geben, als die Bestimmung der Entfernung der Sonne von der Erde?

    Halley hatte erkannt, dass sich mit Hilfe eines Venus-Durchgangs die Entfernung der Erde von der Sonne bestimmen lässt. Das Prinzip ist in der Tat ganz simpel: Man braucht Beobachter an verschiedenen Orten auf der Erde. Da die Perspektive jeweils etwas anders ist, sieht der eine, wie die Venus etwas höher die Sonnenscheibe schneidet, der andere sieht die Venus etwas tiefer. Wenn der Abstand der Beobachtungsorte auf der Erde bekannt ist, lässt sich aus dem unterschiedlichen Blickwinkel die Entfernung Erde-Sonne berechnen.

    Und doch ist sie eine der leichtesten Aufgaben, wenn man nur einige diesem Zwecke angemessene Beobachtungen vorausschickt.

    Die Astronomen hatte im Jahr 1769 das Reisefieber gepackt, um den - von Europa aus nicht komplett sichtbaren - Venus-Durchgang zu verfolgen und damit die Entfernungen im Planetensystem zu bestimmen. Die relativen Abstände der Planeten waren seit Johannes Kepler bekannt - seit 1618 wussten die Astronomen, dass Mars knapp doppelt so weit von der Sonne entfernt ist wie die Erde, Jupiter etwa fünfmal so weit usw. Doch die absoluten Entfernungen waren ein völliges Rätsel. Wie viele Kilometer sind es bis zum Mars oder bis zum Jupiter?

    Endlich bot der 3. Juni 1769 die Gelegenheit, das Sonnensystem gleichsam zu eichen. Der Reiseaufwand ist verständlich - denn ein Venus-Durchgang vor der Sonne ist das seltenste, regelmäßig stattfindende astronomische Ereignis. Nach stets über 100 Jahren Pause kommt es zu zwei Durchgängen im Abstand von acht Jahren. Edmond Halley war klar, dass er keine Chance hatte, die damals nächsten Venus-Durchgänge in den Jahren 1761 und 1769 zu erleben.

    Ich empfehle daher diese Methode auf das dringendste allen Astronomen, welche Gelegenheit haben sollten, diese Dinge zu einer Zeit zu beobachten, wenn ich schon tot bin. Mögen sie dieses meines Rates eingedenk sein und sich recht fleißig und mit aller ihrer Kraft auf diese wichtigen Beobachtungen verlegen, wozu ich ihnen herzlich wünsche, zuerst dass sie nicht durch ungünstige Witterung des ersehnten Anblicks beraubt werden und dann, dass sie, wenn sie die wahre Größe unserer Planetenbahnen mit mehr Genauigkeit bestimmt haben, daraus unsterblichen Ruhm und Ehre schöpfen mögen.

    1761 - mitten im Siebenjährigen Krieg - waren kaum brauchbare Beobachtungen gelungen. Aber 1769 raufte sich Europa zusammen - etliche Expeditionen waren erfolgreich, doch auch die Liste der Gescheiterten ist lang: Véron kam zu spät in die Südsee und starb bald darauf in der Fremde an gebrochenem Herzen, wie zeitgenössische Quellen versichern. Etliche Kollegen waren um die halbe Welt gereist, nur um dann frustriert unter einem Wolken verhangenen Himmel zu stehen. Chappé gelangen zwar die Messungen in Kalifornien - aber vier Wochen später erlag er den Reisestrapazen.

    Nicht viel besser erging es Charles Green auf der Expedition von James Cook. Eineinhalb Jahre nach dem Venus-Durchgang raffte ihn auf der Heimreise die Malaria hin. Doch auch seine Daten flossen ein in das große Werk: Nach Auswertung der Beobachtungen von 1769 war die Entfernung Erde-Sonne bald zu 153 Millionen Kilometern bestimmt - der Wert liegt nur zwei Prozent zu hoch.

    Sechs Jahre vorher noch hatten sie nicht Fernrohre sondern Kanonen aufeinander gerichtet, diese Russen, Preußen, Engländer, Österreicher, Franzosen (und bald danach begannen sie wieder das alte blutige Spiel!)

    bemerkt Arno Schmidt in seiner historischen Skizze "Das schönere Europa - Zur Erinnerung an die erste große wissenschaftliche Gemeinschaftsleistung unseres Kontinents".

    Aber einmal wenigstens war Europa doch, und aufs Erhabenste, einig gewesen: 1769, Am dritten Juni!

    Seither hat sich das Ereignis erst zweimal wiederholt. Doch am kommenden Dienstag ist es wieder einmal so weit: Am 8. Juni, morgens um 07.19 h schiebt sich die Venus vor die Sonnenscheibe - und überquert bis 13.23 h deren untere Hälfte: Zum ersten Mal seit 122 Jahren - kein heute lebender Mensch hat je einen Venus-Durchgang gesehen. Anders als weiland bei Cook und Green, hat Europa dieses Mal einen Logenplatz. Das gesamte Ereignis ist zu verfolgen - sogar mit bloßem Auge, vorausgesetzt man blickt entsprechend geschützt zur Sonne.

    Heute ist ein Venus-Durchgang "nur noch" schön - wissenschaftlich ist er belanglos. Die Abstände im Planetensystem sind mittels Radar kilometergenau bekannt. Doch die Venus selbst, der innere Nachbar der Erde, gerät jetzt wieder in den Blickpunkt des professionellen Interesses.

    Die Erde ist geradezu ein Paradies: Wir haben sehr komfortable Bedingungen hier. Dagegen ist die Venus die reinste Hölle,

    beschreibt Dimitri Titov vom Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau am Harz sein Forschungsobjekt.

    Die Venus ist ein sehr exotischer Planet. An der Oberfläche ist es fast 500 Grad Celsius heiß und der Druck ist gut 90-mal höher als auf der Erde. Keine schönen Bedingungen für Leben - nicht einmal für Raumsonden. Elektronik und Metallteile überleben das nicht lange. Die Hauptfrage der Venusforschung ist, warum die Schwesterplaneten Erde und Venus heute so unterschiedlich sind.

    Die Venus ist der auffallendste Planet am Himmel der Erde. Spektakulär leuchtet sie als Abend- oder Morgenstern. Jeder hat die Venus schon einmal gesehen - vielleicht aber für die Landescheinwerfer eines Flugzeuges gehalten.

    Die Venus fasziniert nicht nur durch ihre Helligkeit. Sie ist praktisch genau so groß wie die Erde und in eine extrem dichte Atmosphäre vorwiegend aus Kohlendioxid gehüllt. Für Wojtek Markiewicz, ebenfalls am Max-Planck-Institut für Aeronomie tätig, bildet unsere Erde mit ihren beiden Nachbarplaneten eine Einheit.

    Mars, Erde und Venus sind so genannte terrestrische Planeten. Man kann sie als Schwesterplaneten bezeichnen - aber wie menschliche Schwestern können auch sie sehr verschieden sein. Zwar sind sie alle in sehr ähnlichen Positionen im Sonnensystem, recht nahe der Sonne. Aber sie unterscheiden sich sehr stark, was ihre Atmosphäre angeht, ihre innere Struktur usw. Uns interessiert jetzt: Sind die Planeten von Anfang an so unterschiedlich gewesen? Oder haben sich die Planeten im Laufe der Zeit so unterschiedlich entwickelt?

    Wer heute große Fragen der Planetenforschung beantworten will, blickt nicht mehr mit Teleskopen zur Venus, schon gar nicht reist er mühselig jahrelang in die Südsee. Planetenforschung findet heute mit Raumsonden statt - und wieder einmal rafft sich Europa bei der Venus auf. "Venus Express" heißt die Raumsonde der europäischen Weltraumagentur ESA, die im Herbst kommenden Jahres zu unserem inneren Nachbarplaneten aufbrechen soll.

    Dimitri Titov ist als wissenschaftlicher Koordinator von Europas neuer Planetenmission bestens geeignet; denn der in Moskau studierte Physiker ist geradezu ein Kind der Venus...

    Die Venus war der erste Planet, den ein irdisches Raumschiff besucht hat. Zwischen 1962 und 1990 erreichten 20 Raumsonden heil die Venus - Titov arbeitete bei etlichen dieser Missionen aktiv mit.

    Das war Venera-11, Venera-13, Venera-14, das waren russische - oder sowjetische um diese Zeit -, sowjetische Raumschiffen. Und danach Venera-15, das war ein Satellit in Umlaufbahn rund um Venus, das war auch sowjetische. Jetzt machen wir eine europäische Satellit nach Venus.

    Seit Mitte der 80er Jahren waren keine neuen Missionen geplant worden - die Venus geriet zum "vergessenen Planeten". Doch nun macht sich Venus Express auf den Weg - denn alle bisherigen Missionen haben mehr neue Fragen aufgeworfen als alte gelöst. Die Venus ist bis heute vor allem eines: absolut rätselhaft.

    Die Wolkenschicht der Venus ist unter den erdähnlichen Planeten einzigartig. Sie ist mehr als 40 Kilometer dick - die höchsten Wolken befinden sich in 90 Kilometern Höhe. Auch die Zusammensetzung der Wolken ist exotisch - sie bestehen vorwiegend aus Schwefelsäuretröpfchen. Dazu kommen einige andere Stoffe, die der Venus die typische gelbe Farbe geben.

    Die gelbe Farbe kommt vorwiegend von einem bis heute unbekannten Stoff, der die von der Sonne kommende Ultraviolett-Strahlung schluckt. Venus Express soll endlich klären, welcher chemische Stoff in der Atmosphäre eine so bedeutende Rolle spielt. Klar ist, dass die Atmosphäre von den Unmengen Kohlendioxid dominiert wird, die den verheerenden Treibhauseffekt verursachen. Solange aber dieser zusätzliche Stoff nicht identifiziert ist, sind alle Modelle über chemische Vorgänge und die Dynamik der Venusatmosphäre ziemlich wertlos, mahnt Dimitri Titov:

    Dieser Stoff absorbiert die Hälfte der Energie, die die Venus von der Sonne bekommt. Das heißt, dass wir auf der Venus in etwa 65 Kilometern Höhe, wo sich dieser Stoff befindet, eine bedeutende Hitzequelle haben. Diese Energie muss für die Bewegung der Atmosphäre von entscheidender Bedeutung sein. Auf Erde und Mars wird die Sonnenstrahlung im wesentlichen von der Oberfläche absorbiert und dann wieder nach oben gestrahlt. Aber bei der Venus haben wir diese Energiequelle, die die Dynamik steuert, in der oberen Atmosphäre.

    Salopp gesagt: Die Forscher staunen bis heute über die enormen Energiemengen in der Venus-Atmosphäre, aber sie haben nicht den geringsten Schimmer, wie das Venus-Kraftwerk funktioniert. Mit der neuen Sonde wird sich dies ändern, hofft Wojtek Markiewicz.

    Die Winde sind extrem stark - sie wehen mit mehr als 100 Metern pro Sekunde. Diese Geschwindigkeit verstehen wir nicht. Innerhalb von vier Tagen rast die gesamte Atmosphäre einmal komplett um den Planeten herum. Die Venusoberfläche ist überall gleich heiß - es gibt kaum Unterschiede zwischen Tag und Nacht und Äquator und Pol. Ebenso sind viele Schichten der Atmosphäre ein Rätsel. Venus Express wird mit einigen Instrumenten die Zusammensetzung und die vertikale Struktur der Atmosphäre bestimmen.

    Für die Bewegung der Venus-Atmosphäre spielt - anders als auf der Erde - die Rotation des Planeten keine Rolle. Die sich recht schnell drehende Erde lenkt die Winde ab - die Venus dagegen rotiert äußerst langsam. In 243 Tagen quält sich die fast erdgroße Venus einmal um ihre Achse - und dazu rotiert sie auch noch bezogen auf ihren Umlauf um die Sonne rückwärts. Auch dies ein Phänomen, das der Entschleierung harrt... Hat die dichte Venus-Atmosphäre die Rotation der Venus gebremst? Oder hat in der Frühzeit des Planetensystems der Einschlag eines riesigen Körpers die Venusdrehung fast zum Stillstand gebracht?

    Fragen über Fragen, denen sich nun Europas zweite Planetensonde widmen soll. Die ESA hat dabei aus der finanziellen Not eine Tugend gemacht - und ihre erste Sonde, den derzeit erfolgreich arbeitenden "Mars Express" schlicht kopiert. Motto: Warum alles zwei- oder dreimal entwickeln, wenn es so viel schneller geht. Vor vier Jahren erbat die ESA von den Planetenforschern Europas Ideen für eine weitere Mission.

    Vor allem ging es darum, dass man eine Raumsonde hatte, die man eben mehrfach bauen konnte. An Bord durften fast nur die für den Mars konstruierten wissenschaftlichen Instrumente - nur so konnte es sehr schnell gehen, wie das Wort Express nahe legt. Mit Ausnahme unserer Venus Monitoring Camera wurden aus Zeitgründen keine neuen Instrumente entwickelt. Die meisten Instrumente sind schlicht Kopien der Stücke, die für Mars Express und die Kometenmission Rosetta gebaut worden waren.

    Die ESA hat einfach die existierenden Teile aus dem Regal genommen und baut sie nun zu einer komplexen Venus-Mission zusammen. Was auf den ersten Blick vielleicht ein wenig nach wissenschaftlichem Notnagel oder nur notdürftig verdeckter Finanznot aussieht, macht für den wissenschaftlichen Koordinator Dimitri Titov durchaus Sinn:

    Wenn man Mars und Venus vergleichen will, ist es sehr wichtig, beide Planeten gleichzeitig zu beobachten. Mit Venus Express haben wir nun die Chance, beide Planeten praktisch mit den gleichen Instrumenten zu untersuchen. Dieselben wissenschaftlichen Teams studieren mit den gleichen Instrumenten gleichzeitig beide Planeten. Erstmals in der Geschichte kommt es zu einer so intensiven Erforschung der erdähnlichen Planeten.

    Einziges neues Instrument ist die Venus Monitoring Camera des Max-Planck-Instituts für Aeronomie in Katlenburg-Lindau. Die Kamera soll die Venus global überwachen - und so die Daten der übrigen Spezialinstrumente in das große Gesamtbild einordnen.

    Erst Ende 2005 macht sich die Kamera an Bord von Venus Express auf den Weg. Noch befindet sie sich im Laborgebäude des Instituts im Harzvorland - idyllisch gelegen zwischen hell strahlenden Rapsfeldern.

    Wer zur Kamera will, muss zunächst einmal Überschuhe anziehen, um keinen Staub in das Labor zu tragen. Quietschende Klebematten halten allen Dreck von außen zurück...

    Der gut drei mal vier Meter große Raum steht voller Computer und elektronischer Messgeräte. In der einen Wand gibt ein großes Fenster den Blick in den Reinraum frei. Es sind Messtische mit länglichen schwarzen Apparaturen und allerlei Kabeln zu sehen - vorne rechts glänzt silbern ein Drucktank.

    Wir stehen hier im Kalibrationslabor, und zwar im Check-out-Room, das ist der Raum, wo wir durch ein Fenster rein gucken in den eigentlichen Clean Room. Alle Aktivitäten mit der Kamera mit aller Flughardware hier im Haus, findet in dem Raum statt. Wir sehen hier den großen Vakuumtank, in dem später die Kamera auf einem Kippdrehtisch justiert wird. Im Moment bauen wir die Kamera, das sieht man hier, wenn man so schräg durchguckt, vor dem Tank auf, auf diesem schwarzen Set up. Die Kamera guckt dann direkt in den Kollimator und der Kollimator wird von hier, das sieht man hier vorne, von den Lampen und vom Monochromator beleuchtet. Ich bin für Fokus zuständig - das die Sache auch scharf ist, wenn sie da ankommt.

    Bevor eine Kamera in den Weltraum fliegt, muss sie harte Tests bestehen. Sie wird den Erschütterungen beim Start ausgesetzt, der wechselnden Hitze und Kälte eines Raumfluges etc. Natürlich muss die Kamera selbst voll funktionsfähig sein. Eine Reparatur während des Fluges ist nicht möglich. Nicht auszudenken, Venus Express käme an der Venus an und die Bilder wären unscharf. Dem Hubble-Teleskop mag das widerfahren sein - dass Venus Express scharf sieht, dafür sorgt die Kalibrations-Ingenieurin Ilse Sebastian mit ihrem Team bei sorgfältigen Tests der Kamera.

    Herr Böker, bringen Sie gerade die Kamera, zeigen Sie die mal.

    Walter Böker erscheint im Fenster in OP-Tracht: Haarhaube, Atemschutz über Mund und Nase, Handschuhe, Ganzkörper-Kittel und Überschuhe. Staubteilchen oder Fettablagerungen in der Kamera könnten im All verheerende Folgen haben - Abstauben und Reinigen ist nach dem Start unmöglich. So muss das ganze Team äußerst sorgsam mit dem kleinen schwarzen Kasten umgehen, den Walter Böker in der Hand hält. Links guckt aus dem Kasten eine Art dicker weißer Trichter heraus.

    Die Kamera ist cirka 15 Zentimeter lang. Die Kamera ist ganz leicht, etwas mehr als ein Kilo wiegt sie. Im Prinzip wird sie so, wie sie hier steht, auf das Spacecraft hinterher drauf geschraubt. Was Sie vorne sehen, das ist schon das Baffle für die Optik. Das ist von vorne weiß, weil das teilweise rausgucken wird aus der Einwicklung am Spacecraft also direkt in den freien Weltraum.

    Der schwarze Kasten wird später in dem Satellitenkörper verborgen sein - Venus Express ist fast ein Würfel mit etwa eineinhalb Metern Kantenlänge. Der weiße "Trichter", Baffle genannt, schützt dann die empfindliche Optik vor einschlagenden Staubteilchen im All.

    Eingebaut in der schwarzen Wandplatte hinter dieser weißen Baffle-Struktur sitzt die Optik. Die Optik besteht aus vier einzelnen Objektiven, die eine Schweizer Optikfirma für uns gebaut hat. Da gucken vier Objektive in verschiedenen Spektralbereichen, jede in einem Quadrant im gleichen CCD. Das heißt, wir sind in der Lage, wenn wir ein Bild von der Venus machen, sehen wir die Venus vier mal in unserem Bild in verschiedenen Farben. Das ist der Clou von der Kamera. Die Kamera ist ganz klein, ganz niedlich, ganz leicht, hat viel Performance dafür. Vorne hat sie jetzt leider diesen roten Deckel drauf. Das nennen wir ein "red tag item". Das ist aus dem Grund rot, weil spätestens ESA am Spacecraft das abmachen muss.

    Wenn die das nicht abmachen, was passiert dann?

    Dann sehen wir nix - ganz einfach. [Lacht]

    Nun, ESA wird den roten Deckel sicher abmachen - und dann sieht die Venus Monitoring Camera den Planeten in nie da gewesener Detailfülle, erwartet der "Chef" der Kamera, Wojtek Markiewicz:

    Unsere Kamera zeichnet sich durch die vier optischen Kanäle aus. Der blaue Ultraviolett-Kanal ist für die obere Wolkenschicht. Da gibt es diese Absorption durch den unbekannten Stoff - wir verfolgen mit den Beobachtungen in diesem Kanal die Bewegung der hohen Atmosphärenschichten. Dann gibt es einen Kanal für das diffuse Leuchten im sichtbaren Bereich, den so genannten Airglow. Und schließlich zwei Filter im nahen Infrarot - einen für die Strahlung der Oberfläche auf der Nachtseite der Venus, einen für die Absorption von Wasser.

    Strahlung der Oberfläche? Gibt es wirklich ein Instrument, das die Oberfläche der Venus aus der Umlaufbahn beobachten kann? Lassen die 40 Kilometer dicken Wolken Strahlung von der Oberfläche durch? Dimitri Titov erinnert sich an ein aufregendes Ergebnis der früheren Venusforschung:

    Mitte der 80er Jahre hat man so genannte spektrale Fenster entdeckt. Die Venusatmosphäre ist auf der Nachtseite in diesen Fenstern durchlässig - Strahlung von der Oberfläche und aus den tieferen Atmosphärenschichten gelangt dann nach draußen und ist somit von einer Sonde in der Umlaufbahn zu messen. Venus Express wird erstmals systematisch die Zusammensetzung und Struktur der unteren Atmosphäre bestimmen und Bilder der Oberfläche machen.

    In den 70er und 80er Jahren wurden zehn Kapseln in die Venus-Atmosphäre abgeworfen. Die meisten haben nur wenige Stunden funktioniert - dann hatten die extremen Umweltbedingungen die Instrumente zerstört. Dennoch haben die Astronomen zehnmal einen Schnappschuss der Zustände in der Venushülle und zum Teil auch von der Oberfläche bekommen. Venus Express soll dank seiner speziellen Instrumente im Bereich der Wärmestrahlung die Atmosphäre durchdringen und dann kontinuierlich Daten zur Erde senden. Aber die dichte Atmosphäre streut das Licht und so sieht Venus Express die Oberfläche nur recht verschwommen, wie durch Milchglas. Dennoch setzt Wojtek Markiewicz große Hoffnung auf diese Beobachtungen:

    Manche Kollegen spekulieren, dass die Venus auch heute noch aktiven Vulkanismus hat. Direkte Hinweise gibt es nicht. Allerdings wissen wir, dass die Oberfläche geologisch gesehen sehr jung ist. Vielleicht sehen wir mit unserer Infrarot-Kamera so genannte "Hot Spots", also Bereiche, in denen Lava dicht unter der Oberfläche ist oder gerade austritt. Das ist nicht einfach zu messen, weil die Oberfläche ohnehin schon so heiß ist.

    Die Oberflächenstrukturen hatte die US-Sonde Magellan Anfang der 90er Jahre per Radar erfasst. Gut 80 Prozent der Oberfläche sehen noch recht frisch aus - offenbar sind diese Gebiete kaum 500 Millionen Jahre alt. Das ist nicht viel verglichen mit einem Alter der Venus von gut 4,5 Milliarden Jahren. Doch auch das ist wieder ein Befund, der die Experten ratlos macht. Wenn es vor so kurzer Zeit noch Vulkanismus geben hat, dann müsste der Venuskern noch immer flüssig sein...

    Vielleicht ist er flüssig - aber der Kern hat keinen Dynamo. Die Venus hat so gut wie kein Magnetfeld. Dass passt kaum zusammen: Einerseits gibt es recht junge vulkanische Strukturen - anderseits gibt es kein Magnetfeld. Wie wir dieses Problem knacken können, ist auch noch ein Rätsel...

    Von Ende der 70er bis Ende der 80er Jahre hatte sich der Anteil von Schwefeldioxid in der oberen Atmosphäre verzehnfacht. Die Fachleute waren verwirrt. Wurden die plötzlichen Gasmengen bei einem Vulkanausbruch in die Höhe geschleudert? Bis heute ist das nicht geklärt - Venus Express soll die Chemie der Atmosphäre mindestens drei Jahre lang detailliert überwachen. Die Forscher hoffen, erneut Zeuge einer so gravierenden Veränderung in der Venushülle zu werden. Und dann hält die neue Kamera von Venus Express auch noch gezielt nach Wasser Ausschau, erklärt Dimitri Titov:

    Erdähnliche Planeten haben zumindest am Anfang immer Wasser. Die Frage ist, warum Venus und Mars heute weniger Wasser als die Erde haben. Wir möchten jetzt verstehen, wo das Wasser geblieben ist - das meiste ist sicher ins All verdampft.

    Die Venus hat kein Magnetfeld und ist somit dem intensiven Teilchenbeschuss der Kosmischen Strahlung schutzlos ausgeliefert. Diese Teilchen - sie kommen vorwiegend mit dem Sonnenwind - zerlegen die Wassermoleküle. Die Einzelteile - Wasserstoff- und Sauerstoffatome - entweichen dann sehr viel einfacher in den Weltraum. In der Venusatmosphäre zeigt sich eine auffällige Häufung von Deuterium, schwerem Wasserstoff. Der schwere Wasserstoff entweicht nicht so einfach ins All wie seine "normale" leichte Variante. Die Forscher sind von diesem Befund geradezu elektrisiert:

    Das führt sofort zur Annahme, dass es irgendwann in der Vergangenheit einen großen Ozean auf der Venus gegeben hat oder dass die Venus zumindest ein viel feuchterer Planet als heute war. Venus Express wird mit den beiden Instrumenten Aspera und Magnetometer die Bewegung der Gasteilchen am Rande der Atmosphäre erforschen. Dabei zeigt sich dann, wie viel Material durch den scharfen Beschuss des Sonnenwinds ins All verloren geht.

    War die Venus ganz früher auch mal ein blauer Planet - ein Planet voller Wasser, vielleicht sogar ein Planet, auf dem es erste Formen von Leben gegeben hat? Bis heute sind das Spekulationen - aber die Venus erscheint den Forschern immer faszinierender, immer facettenreicher. Das alte Bild der öden Gluthölle voller Kohlendioxid und Schwefelsäure, in der ansonsten nichts mehr los ist, erweist sich mehr und mehr als unzutreffend. Auch da gibt es verblüffende Parallelen zum Mars; denn der Rote Planet erweist sich derzeit bei genauem Hinsehen ebenfalls als erstaunlich aktiv.

    Welche Phänomene verbirgt die Venus unter ihrem dichten Schleier? Was genau geht in den Wolkenschichten vor, auf der Oberfläche und tief im Innern? Erkennen die Forscher mit den neuen Daten, wie das "System Venus" funktioniert, was es antreibt und wie es sich entwickelt? Gerade der Vergleich mit dem Mars und der Erde könnte dann den Forschern helfen, die Vergangenheit der Venus zu entschlüsseln - und vielleicht sogar Lehren für die Erde zu ziehen, hofft Wojtek Markiewicz:

    Wir wüssten gerne, welchen Weg die Erde in Zukunft einschlägt - nicht was ihre Bahn angeht, sondern ihre Atmosphäre und die Bedingungen an der Oberfläche. Entwickelt sich die Erde in Richtung Mars oder geht sie mehr in Richtung Venus?