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Die Hummeln von Fukushima

Ökologen untersuchen in Fukushima nach der Reaktorkatastrophe die langfristigen Effekte radioaktiver Strahlung von Anfang an. Vor allem geht es ihnen um die biologischen Auswirkungen schwacher radioaktiver Strahlungsdosen. Ihr Augenmerk richten sie derzeit auf Lebewesen mit kurzen Generationenfolgen, bei denen sich genetische Veränderungen schneller nachweisen lassen müssten: Vögel, Insekten und Spinnen.

Von Dagmar Röhrlich |
    Nach der Reaktorhavarie von Fukushima wunderten sich viele Menschen in belasteten Gebieten über ein verändertes Verhalten der Vögel: Wo sich die Tiere normalerweise um reife Früchte balgten, tauchten sie einfach nicht mehr auf. Sie schienen die Sperrzonen zu meiden. Diesen Eindruck teilt Timothy Mousseau von der University of South Carolina:

    "Wir haben im vergangenen Sommer mit unseren Untersuchungen begonnen und uns Gebiete angeschaut, die bei der Havarie schwach bis mittelstark kontaminiert worden sind. Dabei erwiesen sich - wie bei unseren Erfahrungen aus Tschernobyl - Vögel als empfindlich: In den stärker kontaminierten Gebieten gab es viel weniger."
    Dafür waren im Sommer 2011 in diesen Arealen Spinnen erheblich zahlreicher als in den unbelasteten Vergleichszonen. Bei den Insekten, die als besonders widerstandsfähig gelten, zeigten sich zunächst keine Veränderungen: bei Hummeln etwa, Heuschrecken oder Zikaden. Aber das war wohl nur eine vorübergehende Erscheinung - genau wie die Blütezeit der Spinnen:

    "Als wir in diesem Sommer nach Fukushima zurückgekehrt sind und unsere Untersuchungen an den gleichen Stellen durchgeführt haben wie 2011, waren die Spinnen-Populationen - wie wir es aus Tschernobyl kannten - zurückgegangen. Auch die Zahl der Insekten hat inzwischen generell abgenommen. Die Strahlung beeinflusst also immer noch die Tiere der Umgebung."

    Nur die Heuschrecken scheinen sich noch zu halten: Ihre Zahl ist nicht rückläufig. Anders bei den Schmetterlingen:

    "In den kontaminierten Zonen waren die Schmetterlinge im ersten Jahr dramatisch betroffen."

    Dazu passen die Ergebnisse einer japanischen Forschergruppe, die seit Jahren Schmetterlinge aus der Gruppe der Bläulinge als Bioindikator für die Effekte von Verschmutzung und Klimawandel erforscht:

    "In hoch belasteten Gebieten wiesen die Schmetterlinge Wachstumsanomalien auf, wie wir sie auch aus Tschernobyl kennen. Die Forscher haben diese Bläulinge dann im Labor gezüchtet. Sie konnten beweisen, dass die Mutationen vererbt werden. Außerdem konnten sie diese Mutationen bei Bläulingen aus unbelasteten Gebieten durch radioaktive Bestrahlung hervorrufen."
    Im Labor stieg der Prozentsatz der mutierten Tiere von Generation zu Generation an, obwohl je eines der Elternteile aus einer unbelasteten Population stammte. Auch in freier Wildbahn tauchen immer mehr Individuen mit Defekten an Flügeln, Antennen, Augen oder Beine auf. Genau das hätten sie aufgrund der eigenen Arbeiten in Tschernobyl vermutet, so Timothy Mousseau:

    "Wir gehen davon aus, dass viele Mutationen ihre Träger nicht stark beeinträchtigen oder töten, so dass sie lange genug leben, um sich fortzupflanzen und die Effekte an die nächste Generation weiterzugeben. So sammeln sich im Lauf der Zeit die Mutationen an: Immer mehr Individuen werden Träger von immer mehr Mutationen. Wir erwarten, in den durch Fukushima belasteten Gebieten Ähnliches zu sehen."
    Überhaupt seien aufgrund der Erfahrungen von Tschernobyl für Fukushima Auswirkungen für das gesamte Ökosystem zu erwarten:

    "Als ich vor sieben Jahren mit meiner Arbeit in Tschernobyl begann, wollte ich die Effekte radioaktiver Strahlung auf die Fruchtfliege Drosophyla untersuchen. Zu unserer Überraschung fanden wir jedoch kaum Fruchtfliegen. Dann fiel uns auf, dass die Obstbäume in den belasteten Gebieten wenig Früchte trugen. Wie wir inzwischen wissen, lag das wiederum daran, dass es dort auch nur sehr wenige Hummeln oder Schmetterlinge als Bestäuber gibt."

    Das könnte sich auch für Fukushima abzeichnen, so Timothy Mousseau. Die Auswirkungen blieben jedoch abzuwarten, da die Belastung vor allem Waldgebiete getroffen habe.