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Die Insel setzt auf Merkel

Seit das Londoner Parlament einen Militäreinsatz in Syrien abgelehnt hat, scheint Großbritannien geschwächt zu sein im internationalen Geschäft. Um so wichtiger scheint die deutsch-englische Beziehung zu werden. Premierminister David Cameron sieht in Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Freundin von Großbritannien.

Von Jochen Spengler | 09.09.2013
    So etwas nagt am britischen Selbstwertgefühl - Großbritannien sei bloß eine unbedeutende Insel, der sowieso niemand zuhöre. So soll es der Sprecher Wladimir Putins im Hintergrundgespräch letzte Woche formuliert haben; er hat das zwar flugs dementiert, was aber den patriotischen Gefühlsausbruch Premierminister Camerons nicht mehr verhindern konnte:

    "Ja, man sei zwar eine kleine Insel oder besser eine Inselgruppe, aber das Land wolle er doch mal sehen, dass eine stolzere Geschichte habe, ein größeres Herz und mehr Widerstandskraft. Ein Land, das die Welt vom Faschismus und der Sklaverei befreit und sie beglückt habe mit Fernsehen, Internet, den Beatles oder etlichen Sportarten. Und eigentlich müsse man seine Eloge mit Musik unterlegen."

    Kein Problem. Aber es war umso schmerzlicher, dass US-Präsident Barack Obama auf dem G-20 Gipfel nicht ein winziges Minütchen hatte, um sich dort mit David Cameron unter vier Augen zu treffen. Umso mehr suchte er Trost und Nähe bei Angela Merkel.

    "Es ist nicht so emotional wie die special relationship, die die Briten so gerne in der Beziehung zwischen Großbritannien und Amerika sehen. Aber sie sehen Frau Merkel als eine Freundin in Europa, in einer Europäischen Union, in der es gar nicht so viele Freunde von Großbritannien gibt."

    Sagt Jeremy Cliffe vom Wirtschaftsmagazin "Economist". Und erst vor drei Wochen hatte die Kanzlerin riesigen Staub aufgewirbelt auf der Insel. Als sie nämlich in einem Interview des Deutschlandfunks fragte:

    "Was wird man in Zukunft noch an Kompetenz nach Europa geben müssen. Kann man vielleicht eines Tages auch mal wieder was zurückgeben?"

    Ein Satz, der bei den Briten einschlug wie eine Bombe und als Unterstützung für Cameron gefeiert wurde. Bekanntlich will der britische Premierminister neue EU-Verträge, weniger Europa und mehr Nationalstaat. Cameron setzt darauf, dass ihm die Kanzlerin hilft, in Brüssel Zugeständnisse zu erreichen, so dass er am Ende die Volksabstimmung über den Verbleib des Landes in der EU für sich entscheidet. Gestern meldete die Sunday Times gar, Merkel und Cameron seien sich bereits einig, die EU-Kommission drastisch zu verkleinern, so dass die künftig weniger Zeit hätte, Europa zu managen. Wie dem auch sei: Deutschland und sein Wahlkampf wird in den Medien immer stärker zum Thema.

    "Deutschland ist präsenter, teilweise weil wir große Erwartungen haben, was sich nach den Wahlen ändern wird, dass Deutschland vielleicht englische Pläne unterstützen wird, um die europäische Union etwas lockerer zu machen."

    Doch Roger Boyes, der bis vor zwei Jahren für die Times als Berliner Korrespondent berichtete, warnt vor solchen Illusionen. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen erklärt er sich die EU-kritischen Töne Merkels anders:

    "Es ist auch auf den Wahlkampf Merkels basierend. Sie muss gegen diese kleine euroskeptische Partei kämpfen und weiß sowieso, dass Europa nicht ein großer Stimmenfänger ist für die Deutschen. Also wir haben es als Durchbruch verstanden und sie hat das eher als ein taktisches Manöver verstanden."

    Egal wie groß der Europapolitische Gleichklang zwischen Deutschland und Großbritannien am Ende wirklich sein sollte - die Unterschiede sind auch künftig groß genug. Das wurde den Briten spätestens bewusst, als sie sich das trocken-sachliche Wahlduell zwischen Merkel und Steinbrück ansahen.

    "Das war erfrischend langweilig, so ruhig, das war so kompromißbereit, was man in der britischen Politik nie sieht."

    meint Jeremy Cliffe vom Economist und Times-Mann Roger Boyes ergänzt, dass der normale Engländer nach 15 Minuten abgeschaltet hätte - 90 Minuten ohne Humor und scharfe Polemik - das sei dann doch ein wenig "boring" gewesen

    "Ich meine wir schätzen auch den deutschen Ernst und das ist auch teilweise beeindruckend, dass man so lange ernst sein kann für so lange."

    Dann schon lieber "the last night of the Proms", wo am Wochenende wieder zehntausende voller Inbrunst sich jener Zeiten erinnerte, als Großbritannien noch die Weltmeere beherrschte.