09. März 2023
Die internationale Presseschau

Mit Stimmen zu den Massenprotesten in Georgien und der Neutralität der Schweiz im Ukraine-Krieg. Zunächst jedoch zu den jüngsten Ermittlungsergebnissen, wer hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-Gaspipelines stecken könnte. Die These lautet diesmal, dass pro-ukrainische Kräfte verantwortlich seien.

09.03.2023
Die Aufnahme des dänischen Militärs zeigt ein Leck an der Gaspipeline Nord Stream 2 in der Ostsee.
Aufsteigende Blasen: Die Aufnahme des dänischen Militärs zeigt ein Leck an der Gaspipeline Nord Stream 2 in der Ostsee. (Imago / Danish Defence)
Die norwegische Zeitung VERDENS GANG kommentiert: "Man kann sich durchaus vorstellen, dass die Ukrainer ein Motiv haben. Sie waren entschieden gegen die Gasleitungen von Russland nach Deutschland. Aber als die Rohre zerstört wurden, wurde schon kein Gas mehr durch sie geleitet. Russland hatte die Exporte im Energiekrieg gegen Europa selbst gestoppt. Es scheint ein merkwürdiger Zeitpunkt für die Ukrainer zu sein, um zuzuschlagen. Die Fallhöhe für die Ukraine, wenn wirklich Ukrainer dahinter stecken, ist zudem enorm. Sie würden Unterstützung in den USA und Europa verlieren. Letztlich wissen wir noch viel zu wenig. Interessant ist jedoch, dass die Deutschen tatsächlich an das Boot gelangt sind, von dem sie glauben, dass es beim Anschlag benutzt wurde, und dass sie offenbar den Tätern auf der Spur sind", betont VERDENS GANG aus Oslo.
"Nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines scheint jemand Nebelkerzen zu zünden", vermutet die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO. "Sechs Personen einer pro-ukrainischen Gruppe sollen die Pipelines gesprengt haben, heißt es. Die westlichen Medien unterschätzen offenbar massiv die Intelligenz der Menschen. Die in dicker Betonschicht geschützten Pipelines liegen rund 80 Meter tief im Meer und im NATO-Schutzgebiet. Kann eine technisch so schwer durchführbare Operation überhaupt von einigen wenigen Menschen unbemerkt umgesetzt werden? Die Behauptung, dass weder die Regierung in Kiew noch das Weiße Haus oder Downing Street mit dem Anschlag zu tun hätten, ist schon bemerkenswert", so HUANQIU SHIBAO aus Peking.
Im DAILY TELEGRAPH aus London ist zu lesen: "Die jüngsten Berichte werfen für den ukrainischen Präsidenten Selenskyj unangenehme Fragen auf. Wenn er von der Operation wusste und sie genehmigte, was sagt das über ihn aus? Falls er nichts davon wusste und es sich um die Tat einer kleinen Gruppe von Ukrainern außerhalb der Regierung handelte, wie kamen dann Privatpersonen an so viel Sprengstoff? Selenskyj mag diplomatisch versiert sein. Aber es gibt womöglich Leute im ukrainischen Geheimdienst- und Militärapparat mit weniger Hemmungen gegenüber der Meinung der Verbündeten", gibt der DAILY TELEGRAPH zu bedenken.
Von einem "kleinen Propagandaerfolg" für Moskau spricht die österreichische Zeitung DER STANDARD: "In Moskau sieht man sich bestätigt. Der Kreml hatte die Schuld stets von sich gewiesen. Doch wohin die neuen Spuren tatsächlich führen, muss sich erst erweisen. Mit 'proukrainisch' können westliche Geheimdienste gemeint sein oder auch russische Gegner von Wladimir Putins Kriegskurs. Auch eine False-Flag-Operation des Kreml, um die Ukraine zu diskreditieren, wäre denkbar."
Die russische Zeitung KOMMERSANT betrachtet vor allem die wirtschaftlichen Folgen des Anschlags: "Auch wenn es wichtig ist, die Täter zu ermitteln und herauszufinden, wer vom Anschlag auf die Gaspipelines tatsächlich profitiert hat, so lautet die Wahrheit doch, dass der Markt dieses Ereignis inzwischen längst verdaut hat. So zynisch es auch klingen mag: wer nun tatsächlich hinter den Anschlägen steckt, ist für den Gasmarkt nicht mehr relevant. Zu einer Situation, die vor den Explosionen herrschte, wird man nie wieder zurückkehren. Zu einer Reparatur und einem Neustart der Pipelines könnte es – als Teil neuer Wirtschaftsvereinbarungen – ohnehin nur im Kontext eines Friedensabkommens zwischen Moskau und Kiew kommen“, notiert die Zeitung KOMMERSANT aus Moskau.
Nächstes Thema. Deutschland darf weiterhin keine Schweizer Panzermunition an die Ukraine liefern. Bemühungen um eine entsprechende Lockerung des Schweizer Kriegsmaterialgesetzes sind im Parlament in Bern gescheitert. Dazu meint die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: "Die Zirkeldiskussion um das Kriegsmaterial schadet dem Ruf der Schweiz und ihrer Rolle als neutrales Land. Will sich die Schweiz konsequent als Teil der freien Welt positionieren, muss sie einen Schritt vorwärts machen. Natürlich kommen eine Aufgabe der Neutralität und ein NATO-Beitritt nicht infrage. Mutig, befreiend und konsequent wäre aber eine Orientierung an dem Modell, das Schweden nach 1989 praktizierte: Die Schweiz bleibt militärisch bündnisfrei, pflegt weiterhin eine ausgeprägte Neutralitätspolitik, verzichtet aber auf die fixe Bindung an das Neutralitätsrecht. Dieser fortschrittlichere Standpunkt erhöhte die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit", findet die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Der ebenfalls in Zürich erscheinende TAGES-ANZEIGER ergänzt: "Es zeichnet sich immer klarer ab: Von der Schweiz haben die Angegriffenen in der Ukraine nichts zu erhoffen und die russischen Aggressoren nichts zu befürchten. Die Neutralität zeigt wieder mal ihr kaltes Zahnpastalächeln. Dabei dürften wir für die Ukraine auch mal ein Risiko eingehen. Es gilt zu klären, wie wir uns der russischen Bedrohung am besten erwehren. Und ob Hilfe für die ukrainischen Verteidiger hierzu nicht zweckdienlicher ist als die Politur unseres 'neutralen' Images." Das war der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz.
Themenwechsel. Nach massiven Protesten in Georgien hat die Regierungspartei den umstrittenen Gesetzentwurf über "ausländische Agenten" auf Eis gelegt. Die spanische Zeitung EL MUNDO hebt hevor: "2008 ordnete Russlands Präsident Putin einen Einmarsch in Georgien an und innerhalb weniger Tage wurde rund ein Fünftel des Staatsgebiets besetzt. Nun ziehen erneut dunkle Kreml-Wolken über Georgien auf, nachdem die Regierung ein umstrittenes Gesetz auf den Weg bringen wollte. Es hätte dazu gedient, die freie Presse und NGOs zu unterdrücken und es ähnelt verdächtig einem russischen Gesetz. Das hat tausende Georgier auf die Straße getrieben, die um ihre demokratischen Hoffnungen und ihren Traum auf eine Integration in die EU fürchten. Die EU muss jetzt umgehend auf diese Alarmsignale reagieren, bevor Russland auch dieses Land verschlingt", mahnt EL MUNDO aus Madrid
Die aserbaidschanische Zeitung YENI MÜSAVAT aus Baku führt aus: "Russland verabschiedete 2012 ein ähnliches Gesetz. Der Status des 'ausländischen Agenten' in Russland ist vage gehalten. Der Staat benutzt ihn dazu, um unabhängige Meinungen zum Schweigen zu bringen. Die Gründe, warum auch die georgische Regierung ein solches Gesetz durchsetzen wollte, liegen auf der Hand. Die prowestliche Opposition im Land wird unterdrückt. Das zeigt sich auch darin, dass der ehemalige Präsident Saakaschwili trotz der Kritik Europas nach wie vor im Gefängnis festgehalten wird. Zudem hat der Krieg gegen die Ukraine den heimlichen Machtkampf um Georgien verstärkt", unterstreicht YENI MÜSAVAT aus Baku.
Die dänische Zeitung POLITIKEN analysiert: "Georgien hat sich an einen Scheideweg begeben: Der eine führt nach Westen und zur EU, der andere zu Putins Russland. Auf dem Papier unterstützten sowohl die georgische Staatspräsidentin Surabichvili als auch die Regierung einen prowestlichen Kurs, aber zuletzt tendierte die Regierung unter Führung der Partei 'Georgischer Traum' immer stärker gen Russland. Surabichvili hat sich nun auf die Seite der Demonstrierenden gestellt und fordert ein freies Georgien mit einer Zukunft in Europa. Die Alternative wäre eine Entwicklung gegen die Demokratie wie in Belarus. Die Situation erinnert teilweise an die Ukraine vor zehn Jahren, als das Land in eine prorussische und eine prowestliche Bewegung gespalten war", heißt es in POLITIKEN aus Kopenhagen.
Die estnische Zeitung POSTIMEES konstatiert: "Als die EU im vergangenen Jahr der Ukraine und Moldau den Kandidatenstatus verlieh, wurde Georgien auf die Wartebank verwiesen, bis es die Hausaufgaben gemacht hat. Der Gesetzentwurf hätte die Aussichten für Georgien nachhaltig zerstört. Liebe Georgier – wiederholt diesen Fehler nicht!", fordert POSTIMEES aus Tallinn.