Die kanadische Zeitung THE GLOBE AND MAIL hat dafür kein Verständnis: "Während die Ukraine zwar mit Waffen kämpft, die von NATO-Staaten geliefert werden, sind es ukrainische Soldaten, die leiden und sterben - und die die Kugeln für die Nachbarländer im Norden, Westen und Süden abfangen, die andernfalls in das Visier des imperialen Russlands geraten könnten. Die Zusage, die Ukraine könne der NATO an einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft und nur unter Bedingungen beitreten, ist so herablassend, dass man der Ukraine verzeihen könnte, wenn sie sagt: 'Zum Teufel damit, wir kämpfen lieber allein gegen Russland. Das ist immer noch besser, als solche Beleidigungen von unseren so genannten Verbündeten ertragen zu müssen.' Kaum ein anderes Volk hat bisher ein stärkeres Engagement für NATO-Werte wie Demokratie und Freiheit gezeigt, gemessen an seiner Bereitschaft, dafür zu kämpfen und zu sterben. Die Frage ist nicht, ob die Ukraine der NATO beitritt, sondern ob die NATO der Ukraine beisteht", unterstreicht THE GLOBE AND MAIL aus Toronto.
"Die Frage ist nicht ob, sondern wann die Ukraine Teil der NATO wird", formuliert es die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA. "Und wie die Ukraine dann aussieht. Wird es ein stabiles Land sein, das sich auf den Wiederaufbau des Staates, die Stärkung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit konzentriert? Oder wird die Ukraine zu einem faulen Kompromiss gezwungen und strebt nach Rache am imperialen Russland? In letzterem Fall säße die NATO auf einem Pulverfass. Eine solche Ukraine würde zu einem sehr problematischen Mitglied. Insofern hat das Bündnis einen zusätzlichen Anreiz, die Unterstützung für das kämpfende Kiew jetzt sogar noch zu intensivieren. Ein Sieg in der Konfrontation mit Moskau könnte die imperialen Ambitionen Russlands für lange Zeit unterdrücken und gleichzeitig die Ukraine stabilisieren und die Garantien für einen friedlichen Weg ihrer Entwicklung stärken. In dieser Form könnte sie ein gleichberechtigtes Mitglied der Allianz sein", vermutet RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die portugiesische Zeitung PUBLICO befindet, der NATO-Beitritt sei für die Ukraine mehr als eine Garantie für Sicherheit und Verteidigung. "Er ist das Ende ihrer Unterwerfung unter den russischen Einfluss und das Symbol ihres Übergangs in den Westen. Es ist klar, dass die Ukraine mitten im Krieg nicht in die NATO aufgenommen werden kann, weil dann ein Krieg der NATO gegen Russland drohen würde. Präsident Putin wird deshalb versuchen, den Konflikt ohne Friedensvertrag einzufrieren. Deshalb muss klar definiert werden, dass das Ende des Krieges der Waffenstillstand ist. Und Putin muss gezeigt werden, dass die NATO die Ukraine schützen wird und dass die Ukraine selbst entscheiden wird, wo sie bleiben möchte. Und das ist anscheinend im Westen", hält PUBLICO aus Lissabon fest.
Der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz schlägt folgendes Szenario für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nach Ende des Krieges vor: "Die Beistandspflicht könnte nur für Territorien gelten, die von der Regierung in Kiew kontrolliert werden. Das wäre nicht einmal ein Präzedenzfall. Westdeutschland durfte schon 1955 kurz nach Kriegsende und lange vor der Wiedervereinigung in die NATO. Die Ukraine verteidigt Europa gegen Russland und hätte einen Platz unter dem Schutzschirm noch viel mehr verdient."
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN gibt zu bedenken, dass die NATO 2008 nicht nur der Ukraine, sondern auch Georgien eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt hat: "Als wollte Moskau genau das verhindern, kam es im August desselben Jahres allerdings zum Krieg zwischen Russland und Georgien, was die Diskussion über den NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine unter den Tisch fallen ließ. In der gegenwärtigen Situation sollte man Georgien nicht vergessen. Ohne Maßnahmen, die das osteuropäische Land mitbeziehen, würde man Russland eine neue Angriffsfläche bieten."
Ein weiteres Thema des NATO-Gipfels ist der geplante Beitritt Schwedens. Die Türkei hatte ihren Widerstand dagegen kurz vor dem Treffen aufgegeben, sehr zur Freude der schwedischen Zeitung SVENSKA DAGBLADET: "Auf diesen Bescheid haben wir lange gewartet: Schwedens Beitritt kommt nicht einen Tag zu früh, sondern vielmehr 20 Jahre zu spät. Er hätte schon 2004 im Zuge der NATO-Osterweiterung passieren sollen, als auch die baltischen Staaten Mitglieder wurden. Jetzt haben wir die Chance, endlich die Verantwortung zu übernehmen, die wir schon früher hätten tragen müssen", konstatiert SVENSKA DAGBLADET aus Stockholm.
Auch die dänische Zeitung POLITIKEN lobt die Entwicklung: "Eine schwedische NATO-Mitgliedschaft ist ein kolossaler geopolitischer und militärischer Fortschritt für die gesamte Region. Und was sagt Putin? Er lässt verlauten, dass die NATO-Erweiterung für ihn eine Eskalation der Konfrontation mit Russland sei. Darauf kann man nur antworten: Stimmt nicht. Die NATO-Erweiterung ist vielmehr eine unmittelbare Folge des Kriegs, den Putin in der Hoffnung begonnen hat, die Ukraine zu erobern und den Westen zu spalten. Erreicht hat er das Gegenteil", stellt POLITIKEN aus Kopenhagen klar.
Die türkische Zeitung BIRGÜN blickt auf die aufgegebene Blockade-Haltung der türkischen Regierung und hält fest: "Das Regime in Ankara hatte von vorneherein nicht die Macht, Schwedens Mitgliedschaft zu verhindern. Könnte das auch ein Zeichen für einen Wandel in der türkischen Außenpolitik sein? Scheinbar versucht Ankara, die Beziehungen zu den USA und der EU neu zu ordnen. Das bedeutet aber nicht, dass die Kontakte zu Russland abbrechen - auch wenn Selenskyj die Türkei besucht hat, mit der Ukraine weitere Verteidigungsabkommen unterzeichnet wurden und Ankara der NATO-Mitgliedschaft Schwedens grünes Licht gegeben hat. Russland hat sich all das notiert, muss es jedoch hinzunehmen. Und die Türkei kann es sich nicht leisten, ganz auf Moskau ganz zu verzichten", vermutet BIRGÜN aus Istanbul.
Wir blicken nach Israel, wo gestern bis in die späte Nacht zehntausende Menschen gegen den geplanten Umbau des Justizsystems protestiert haben. DIE PRESSE aus Österreich schreibt: "Sollte Premierminister Benjamin Netanjahu darauf spekuliert haben, dass sich die Proteste gegen die Justizreform bis zum Hochsommer verlaufen haben werden und die Israelis sich stattdessen am Strand aalen, hat er sich gründlich getäuscht. Die Gegner der Entmachtung des Obersten Gerichtshofs haben neuerlich das halbe Land lahmgelegt. Netanjahu zeigt sich davon unbeeindruckt – sowohl vom Druck aus Washington als auch von der Polarisierung und den gesellschaftlichen Erosionserscheinungen in Israel. Gegen jeden Widerstand ist er gewillt, ein Kernstück der Reform durchzuboxen, die seine ultrareligiösen und ultrarechten Koalitionspartner blindlings vorantreiben. Sollten die verzweifelten Appelle des Präsidenten, Jitzhak Herzog, und der Opposition nach einer neuen Verhandlungsrunde verhallen und die von Illusion genährte Hoffnung für einen Kompromiss in sich zusammenfallen, tun die Reformgegner gut daran, mit Protesten und Streiks Netanjahus schamlose Regierung zu Fall zu bringen. Es ist ein Akt des Patriotismus“. Das war DIE PRESSE aus Wien.
Die NEW YORK TIMES meint, dass die US-Regierung ihr Verhältnis zur israelischen Führung neu bewerten sollte: "Auch in Washington beobachtet man das beispiellos radikale Verhalten der rechtsextremen israelischen Regierung unter dem Deckmantel der 'Justizreform'. Das untergräbt unsere gemeinsamen Interessen mit Israel, unsere gemeinsamen Werte und die wichtige gemeinsame Vision, dass die israelische Besetzung des Westjordanlandes nur ein vorübergehender Status ist. Eine Neubewertung der Beziehungen wäre eine echte Notwendigkeit, bevor die Situation in Israel aus dem Ruder läuft", unterstreicht die NEW YORK TIMES - und damit endet die Presseschau.