05. September 2023
Die internationale Presseschau

Chinas Staats- und Parteichef Xi reist nicht zum G20-Gipfel nach Indien. Weitere Themen sind die Entlassung des ukrainischen Verteidigungsministers und der vorerst gescheiterte Vermittlungsversuch der Türkei, die Wiederaufnahme der Getreidelieferungen aus der Ukraine zu erreichen.

Der türkische Präsident Erdogan und Russlands Staatschef Putin geben sich die Hand und schauen in die Kamera.
Der türkische Präsident Erdogan und Russlands Staatschef Putin. (IMAGO/ITAR-TASS/Sergei Karpukhin)
Dazu schreibt die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA: "Nach dem Gespräch erklärte der russische Präsident Putin, er sei bereit, zum Getreideabkommen zurückzukehren, sofern einige der Sanktionen gegen Russlands Agrarexporte aufgehoben würden. Wahrscheinlich wird er den Einsatz so lange erhöhen, bis er zu dem Schluss kommt, dass ohne ihn keine nennenswerte Menge ukrainischen Getreides in die Welt fließen wird. Um sein Kalkül zu erschweren, ist es notwendig, den Landweg durch Polen und den Weg über die Donau freizumachen und die Lieferungen über diese Routen zu erhöhen. Die Forderung der polnischen Regierung, das Einfuhrverbot für fünf Agrarprodukte aus der Ukraine zu verlängern, nützen eindeutig Putin", kritisiert die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die türkische Zeitung SABAH lobt Präsident Erdogan für seine diplomatischen Bemühungen: "Er ist der einzige Politiker, der in der Lage ist, sowohl mit Putin als auch mit Selenskyj zusammenzukommen. Erdogan hat es geschafft, zu vermitteln, ohne die Beziehungen zu beiden Ländern zu verschlechtern. Die Gespräche über einen Getreidekorridor werden weitergehen. Genauso wie Putin will auch Erdogan, dass das Getreide an die armen afrikanischen Länder geht - und nicht nach Europa. Das Ergebnis des Treffens in Sotschi ist, dass Moskau noch eine Weile warten will, bis der Westen seine Versprechen umsetzt. Inzwischen sind die türkisch-russischen Beziehungen noch stärker geworden", meint die regierungsnahe Zeitung SABAH aus Istanbul.
Nun in die Ukraine. Zur Entlassung von Verteidigungsminister Resnikow im Zuge eines Korruptionsskandals in seinem Ressort meint die belgische Zeitung DE STANDAARD: "Es ist auffallend, wie vorbildlich und professionell dieser Wechsel vollzogen wird. Olexij Resnikow soll nicht selbst geschummelt, aber die politische Verantwortung dafür übernommen haben. Die Ukraine wird noch einige Zeit mit Korruption zu kämpfen haben, und Präsident Selenskyj hat auch strategische Gründe, das Verteidigungsministerium so sauber wie möglich zu halten", analysiert DE STANDAARD aus Brüssel.
Die dänische Zeitung POLITIKEN notiert: "Wenn es etwas Positives zu dem Thema zu sagen gibt, dann ist es die Tatsache, dass die Enthüllungen dieser Skandale von Ukrainern selbst stammen. Das bedeutet, dass es selbst in einem blutigen Krieg eine Zivilgesellschaft gibt, die auf die Respektierung des Rechtsstaats pocht, wie ihn die Politiker versprochen haben und der unverzichtbar für einen EU-Beitritt ist", unterstreicht POLITIKEN aus Kopenhagen.
Als möglicher Nachfolger an der Spitze des ukrainischen Verteidigungsministerium gilt der bisherige Chef des Fonds für Staatsvermögen, der Krim-Tatare Rustem Umerow. Die KLEINE ZEITUNG aus Österreich hebt hervor: "Die Krimtartaren stellen nicht nur eine ethnische und linguistische, sondern auch eine Minderheit in Glaubensfragen dar. Der neue ukrainische Verteidigungsminister steht als Moslem neben dem jüdischen Präsidenten Selenskyj für die Vielfältigkeit eines Landes, von dem die Russische Föderation glaubt, es 'entnazifizieren' zu müssen. Dass Umjerow die Rückkehr in die Heimat im Auge hat und den Abzug Russlands als Leitlinie ausgibt, dürfte ihm als Motivation im neuen Amt dienlich sein", vermutet die KLEINE ZEITUNG.
Die spanische Zeitung LA VANGUARDIA aus Barcelona überlegt: "Die Ernennung von Umerow kann auch als Reaktion auf die Forderungen aus Brüssel verstanden werden, denn als Leiter des ukrainischen Treuhandfonds verstärkte er die Anstrengungen zur Bekämpfung der Korruption bei Privatisierungen."
Die tschechische Zeitung LIDOVE NOVINY resümiert: "Statt die vorhandenen Ermittlungsbehörden politisch und materiell zu unterstützen, will der ukrainische Präsident Selenskyj gegen die Korruption in Armee und Staatsverwaltung anders vorgehen als bisher. Er möchte, dass das Parlament so bald wie möglich ein Gesetz verabschiedet, das Korruption zu Kriegszeiten mit Hochverrat gleichsetzt. Künftig soll der Geheimdienst SBU in solchen Fällen ermitteln. Doch anders als eine unabhängige Behörde untersteht der SBU dem Staatspräsidenten. Das könnte dazu führen, dass der Kampf gegen die Korruption politisiert wird", warnt LIDOVE NOVINY aus Prag.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wird nicht zum G20-Gipfel nach Indien reisen. Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN vermutet innenpolitische Motive: "Nicht zuletzt wegen der Krise am Immobilienmarkt ist die Konjunktur der Volksrepublik stark unter Druck geraten. Seit diesem Sommer veröffentlicht die Führung in Peking keinerlei Daten mehr zur Jugendarbeitslosigkeit, die stark gestiegen sein dürfte. Auch die Politik und die Gesellschaft des Landes sind in einem chaotischen Zustand. Aus Sorgen um die Partei und um das Volk erteilte der Ältestenrat der Kommunistischen Partei Xi Jinping deshalb eine Ermahnung. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der Xi und seine Berater zum Handeln zwang. Angesichts der Krise im eigenen Land reist Xi nicht nach Indien zum G20-Gipfel, sondern schickt Ministerpräsident Li Qiang als Stellvertreter. Andernfalls hätte Xi womöglich politisch Schaden genommen und an Ansehen verloren", heißt es in NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN wertet die Absage des chinesischen Staatschefs Xi auch als Niederlage für die USA. "Präsident Biden hatte auf ein Vier-Augen-Gespräch mit Xi gesetzt. Das immer schlechtere Verhältnis zwischen Ost und West schadet allen Partnern. Rein wirtschaftlich betrachtet führt Feindschaft zu weniger Wachstum, und auch für die globale Sicherheit ist es wichtig, dass Gespräche vorankommen. Hier haben alle etwas zu verlieren – auch China. Ein G20-Besuch von Xi wäre daher wichtiger als die Teilnahme an dem Brics-Gipfel in Südafrika gewesen", findet AFTENPOSTEN aus Oslo.
Die taiwanesische Zeitung ZHONGGUO SHIBAO kommt zu dieser Einschätzung: "Peking scheint dabei immer mehr eine Mentalität anzunehmen, wie sie bei chinesischen Kaisern ausgeprägt war. Der chinesische Staats- und Parteichef ist es offenbar leid, dass US-Präsident Biden nicht müde wird, bei jedem Gipfeltreffen das Thema Ukraine immer wieder zur Sprache zu bringen. Xi Jinpings Entscheidung wird aber kaum hilfreich sein, wenn es darum geht, internationale Konflikte beizulegen und die globale Lebensmittelkrise zu lösen." Das schreibt ZHONGGUO SHIBAO aus Taipeh.
In Chinas staatlichen Medien findet das Thema keine Beachtung. Stattdessen befassen sich diese mit der Rolle der USA und dem aktuellen Treffen der ASEAN-Gruppe. Die in Peking erscheinende Zeitung HUANQIU SHIBAO sieht es so: "US-Präsident Biden zeigt Indonesien und den ASEAN-Ländern die kalte Schulter, denn lediglich Vizepräsidentin Harris wird an dem Gipfeltreffen teilnehmen. Da der US-Präsident jedoch zum G20-Gipfel nach Indien reisen und anschließend Vietnam besuchen wird, ist sein Affront gegenüber dem Gastgeber Indonesien noch offensichtlicher. Dies sollte aber nicht als Signal missverstanden werden, dass Washington sein Interesse an Jakarta und der gesamten Region verloren habe. Das Gegenteil ist der Fall. Biden erhofft sich offenbar von bilateralen Treffen mit einzelnen ASEAN-Ländern mehr Erfolg als von diesem multilateralen Gipfeltreffen, auf dem er sich auch mit China auseinandersetzen muss", mutmaßt HUANQIU SHIBAO aus Peking.
Und die chinesische Zeitung TAKUNGPAO aus Hongkong meint: "Wie schon sein Vorgänger Trump wird auch Biden dem ASEAN-Gipfel fernbleiben. Dies ist ein Zeichen für Washingtons Frustration darüber, dass sich die ASEAN-Länder beharrlich dagegen wehren, einen Block gegen China zu bilden. Weder die Philippinen noch Thailand oder Indonesien wollen sich als Schachfiguren gegen Peking missbrauchen lassen. Solange man jedoch an den Gründungsprinzipien des ASEAN festhält, wird es den USA auch nicht gelingen, diese Organisation zu spalten", ist sich TAKUNGPAO aus Hongkong sicher.