DIE PRESSE aus Wien erläutert: "Das grenzfreie Europa existiert - derzeit - nur noch auf dem Papier: Österreich führt Kontrollen zu Slowenien und Ungarn durch, Deutschland zu Österreich und neuerdings zu Polen und Tschechien. Die Regierungen in Berlin, Wien oder Warschau wollen vor dem Wähler nicht den Eindruck erwecken, tatenlos zuzusehen. Um diesem traurigen Pingpong-Spiel ein Ende zu bereiten, ist eine Einigung auf den Asyl- und Migrationspakt mitsamt schärferer Kontrollen der EU-Außengrenzen und Asylverfahren dringender denn je", ist die österreichische Zeitung DIE PRESSE überzeugt.
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA erklärt: "Die deutsche Entscheidung, Kontrollen an den Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik einzuführen, ist kein Angriff auf die polnische Regierungspartei PiS, die sich in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs befindet. Wenn man hier politische Berechnungen sehen will, stehen sie vielmehr im Zusammenhang mit den bevorstehenden Landtagswahlen in mehreren deutschen Bundesländern, wo die Alternative für Deutschland an Zustimmung gewinnt. Der Hauptgrund aber ist die Welle illegaler Einwanderer, die in den letzten Monaten nach Deutschland gekommen ist. Die deutsche Entscheidung, Checks an den Grenzen durchzuführen, ist nichts Besonderes – fünf weitere EU-Länder behalten sich seit Jahren ähnliche Maßnahmen vor. Die Situation stellt jedoch die Widerstandsfähigkeit des Schengen-Raums angesichts des Migrationsdrucks in Frage", betont RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die schwedische Zeitung EXPRESSEN hebt hervor: "Die polnische PiS-Regierung will keine Verteilung von Migranten in der EU, und das Thema spielt im polnischen Wahlkampf eine zentrale Rolle. Die Hoffnung der Opposition besteht darin, dass sich die Doppelmoral der Regierung rächt, nachdem polnische Konsulate für teures Geld Schengen-Visa in Afrika und Asien verkauft haben. Der Umfang ist unklar, aber Deutschland diskutiert bereits die Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Sollte PiS die Wahlen gewinnen, muss die EU eingefrorene Mittel in Milliardenhöhe zurückhalten, bis Polen wieder ein Rechtsstaat ist. Und es muss ein Ende dieser Visumsgeschäfte geben – die Migrationskrise am Mittelmeer ist schon schwierig genug", unterstreicht EXPRESSEN aus Stockholm.
Die ungarische Zeitung NEPSZAVA erinnert: "2015, als Angela Merkels geflügeltes Wort 'Wir schaffen das!' die Runde machte, gelang es Deutschland, den Großteil der Zuwanderer zu integrieren. Heute jedoch ist die Situation eine andere. Die Parteien der Regierungskoalition, darunter selbst die Grünen, glauben nicht mehr daran, dass Deutschland in der Lage ist, so viele Flüchtlinge aufzunehmen. Die Lösung wäre eine gemeinsame Regelung auf EU-Ebene. Doch einer solchen widersetzen sich Ungarn und andere mitteleuropäische Länder auf starrsinnige Weise. Damit wird aber nur erreicht, dass immer mehr westliche Länder mit den Errungenschaften des grenzkontrollfreien Schengen-Systems brechen und erneut Grenzkontrollen einführen", konstatiert NEPSZAVA aus Budapest.
Die spanische Zeitung LA VANGUARDIA aus Barcelona kommt zu folgender Auffassung: "Anstelle von Mauern, Zäunen, Inhaftierungen, Internierungszentren und sofortiger Rückführung sollte die irreguläre Einwanderung durch die Errichtung von Bildungs-, Berufs- und Sprachausbildungszentren sowie mit Maßnahmen zur kulturellen und sozialen Integration geregelt werden."
Nun in die USA. Präsident Biden hat sich in Michigan streikenden Arbeitern der Automobilindustrie angeschlossen. Dazu schreibt DER STANDARD aus Wien: "Auch Biden kann Populismus. Und er hat offenbar verstanden, dass sein größtes politisches Problem im Wahlkampf die hohe Inflation und die wirtschaftlichen Probleme der Arbeiterklasse und der schrumpfenden Mittelschicht sind. Zwar wurden wichtige politische Maßnahmen zur Bekämpfung der zunehmenden Ungleichheit in den USA von ihm vorangetrieben. Dennoch hat der Präsident bisher nicht davon profitieren können. Sich nun an der Seite der Arbeiter gegen die Marktmacht der – in diesem Fall wieder prosperierenden – Industrie und gegen die Gier der Unternehmen zu stellen, könnte sich als kluger, nachhaltiger Schachzug erweisen", meint der österreichische STANDARD.
Die CHICAGO TRIBUNE entgegnet: "Präsident Biden hätte nicht dort auftreten sollen. Es gibt ein großes Problem, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten am Streikposten steht: Er verliert seine Fähigkeit, ein unabhängiger Vermittler zu sein und beide Seiten zum Kompromiss aufzufordern - zum Wohle der amerikanischen Wirtschaft. Die Arbeiter sollten unbedingt höhere Renten bekommen, und das Lohngefälle ist beträchtlich. Aber die Forderungen der Gewerkschaft sind zu hoch für die Autostadt Detroit. Selbst Bidens politisches Kalkül droht nicht aufzugehen: Viele Amerikaner wollen lieber einen Präsidenten, der für Unabhängigkeit und Ausgewogenheit steht", notiert die US-amerikanische Zeitung CHICAGO TRIBUNE.
EL PAIS aus Madrid bemerkt: "Der Einsatz von Biden passt zum allgemeinen Klima der Unzufriedenheit. Der Industriegürtel - einer Industrieregion im Nordosten der USA - ging 2016 überraschend an Trump, und 2020 waren diese Stimmen unverzichtbar für den Sieg der Demokraten. So wird es auch 2024 wieder sein. Insgesamt zeichnet sich zurzeit ein Wiedererstarken der Gewerkschaften in den USA ab. Streiks wie der Ausstand der Drehbuchautoren in Hollywood machen sichtbar, mit welchen Problemen die Arbeitnehmer zu kämpfen haben – und dass es inzwischen unmöglich ist in der Mittelschicht zu bleiben, wenn man von Jobs lebt, in denen noch vor einer Generation anständige Löhne gezahlt wurden", stellt die spanische Zeitung EL PAIS heraus.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN nimmt die Rolle von Tesla beim Streik in den Blick: "Tesla-Chef Elon Musk postete auf X, ehemals Twitter, die Forderung der Gewerkschaften nach einer Lohnerhöhung und Verkürzung der Arbeitszeit sei die sicherste Methode, um die Big 3 - General Motors, Ford und Stellantis - schnell pleite gehen zu lassen. Bei Tesla liegt der Stundenlohn deutlich unter dem der Big 3. Irgendwann werden sich die Tarifparteien auf eine Lohnerhöhung einigen. Doch was denken dann die Tesla-Beschäftigten? Es wäre selbstverständlich, wenn sie ihre erste Gewerkschaft gründen, um eine bessere Verhandlungsposition zu erlangen. Auch die Tesla-Führung wird begreifen müssen, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr ist", bemerkt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Abschließend nach Berg-Karabach. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG wirft der EU und den USA Tatenlosigkeit vor: "Die Großmächte hätten ihr politisches Gewicht dafür einsetzen sollen, eine Volksabstimmung über die Zukunft des Gebiets durchzuführen oder zumindest auf eine Autonomielösung für die Karabach-Armenier zu dringen. Stattdessen haben sie zugeschaut, wie die Katastrophe ihren Lauf nahm. Nun ist die Territorialfrage zu Karabach wohl endgültig entschieden - aber nicht auf der Basis des Rechts, sondern mit roher Gewalt und einer faktischen Komplizenschaft des Auslands", vermerkt die NZZ aus der Schweiz.
Und die chilenische Zeitung EL MOSTRADOR führt aus: "Eine Neuordnung der Kräfte im Kaukasus könnte auch für Russland eine neue gefährliche Front eröffnen. Im russischen Teil gibt es Gebiete mit latentem Sezessionswunsch wie Tschetschenien. Auch Georgien könnte sich dieser neuen Dynamik anschließen. Ein Teil seines Territoriums ist durch Russland besetzt, und deshalb sucht Tiflis schon länger den Schulterschluss mit dem Westen. Moskau wird wohl versuchen, seinen Rückzug aus dem Kaukasus nicht allzu offensichtlich werden zu lassen, denn zu seinen größten Sorgen gehört der Zerfall Russlands. Der Kaukasus bleibt weiterhin ein Pulverfass."