29. September 2023
Die internationale Presseschau

Kommentiert werden unter anderem die Flüchtlingsbewegung aus der Konfliktregion Berg-Karabach und die Bandenkriminalität in Schweden. Doch zunächst Stimmen zur geplanten Asylreform in der Europäischen Union.

Menschen mit teils großen Gepäckstücken stehen in einer Schlange auf der italienischen Insel Lampedusa.
Auf der italienischen Insel Lampedusa kommen Tausende Migranten an. Für eine solche Ausnahmesituation plant die EU eine "Krisenverordnung" - ein Thema in der Presseschau. (imago / ZUMA Press / Ciro Fusco)
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE aus Wien stellt fest: "Die EU funktioniert also doch. Am Donnerstag rauften sich die Innenminister der 27 in Brüssel zusammen, um einen großen Brocken auf dem Weg zur Reform der Asyl- und Migrationspolitik beiseite zu rollen. Auch wenn die nationalautoritären Regierungen Polens und Ungarns dagegen stimmten und Länder wie Österreich sich enthielten, gab es eine klare Mehrheit dafür, nun mit dem Europaparlamentüber den neu zu schaffenden Krisenmechanismus zu verhandeln.Das ist eine gute Nachricht für alle Europäer. Bloß ist diese Krisensituation seit dem traumatischen Sommer 2015 zum Normalzustand geworden. Ständig ballen sich an zumindest einer der Hauptrouten irregulärer Migration die Massen jener, die um jeden Preis nach Europa wollen. Insofern ist zu befürchten, dass der Krisenmechanismus zum Dauerzustand wird", notiert DIE PRESSE.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz findet: "Der EU-Migrationskompromiss ist eine historische Chance. In diesem Jahr wird in Polen und den Niederlanden gewählt. Im kommenden Jahr stehen die Wahl zum europäischen Parlament sowie drei Landtagswahlen in Ostdeutschland an, wo die AfD stärkste Kraft werden könnte. Wenn die liberalen Kräfte in der EU jetzt keine realistische Regulierung der Migration in Aussicht stellen, werden das in absehbarer Zeit die Abriegler und Rechtsextremen übernehmen", vermutet die NZZ.
Die französische Zeitung LE FIGARO aus Paris blickt voraus: "Wenn das Europäische Parlament ein wenig Realismus walten lässt, wird das Paket die Möglichkeit bieten, die Bedingungen für die Einreise in die EU im Falle einer neuen Migrationswelle zu verschärfen. Abkommen mit den Herkunftsländern nach dem Vorbild der Türkei oder Tunesiens werden wahrscheinlich kein Allheilmittel sein, aber es besteht Hoffnung auf einen Fortschritt. Nachdem sich die Europäer jahrelang über den Umgang mit der unkontrollierten Einwanderung zerstritten hatten, entdecken sie gerade, dass sie sich einig waren, das Wesentliche anzugehen", folgert LE FIGARO.
Themenwechsel. Die dänische Zeitung POLITIKEN aus Kopenhagen äußert sich zur eskalierenden Bandengewalt in Schweden: "Und wieder ist es passiert. Erst wird ein 18-Jähriger vor den Augen seiner Kameraden auf einem Sportplatz in Stockholm erschossen, dann ein weiterer junger Mann an einem anderen Ort in der schwedischen Hauptstadt, und gestern kam eine junge Frau bei der Explosion einer Bombe in einem Wohnhaus in Uppsala ums Leben. Die Banden kämpfen um die Kontrolle über den lukrativen Drogenmarkt, und ihre Anführer haben jeden Skrupel abgelegt. Ursprünglich gab es eine Art Kodex, dass man keine Familienangehörigen der Gegner oder Unbeteiligte angreift. Diese Regel ist nun aufgehoben", analysiert POLITIKEN.
Die norwegische Zeitung ADRESSEAVISEN aus Trondheim verweist auf Maßnahmen der schwedische Regierung: "Jetzt wird sogar erwogen, dem Militär mehr Vollmachten bei der Unterstützung der Polizei einzuräumen. Das erinnert immer mehr an einen Kriegszustand. Wir müssen verhindern, dass sich diese schwedischen Zustände auch nach Norwegen ausbreiten. In Schweden ist die Bildung sogenannter Parallelgesellschaften zu einem großen gesellschaftlichen Problem geworden. Eine vernünftige Integrations- und Wohnungsbaupolitik kann einer solchen Entwicklung vorbeugen. Die kriminellen Netzwerke rekrutieren bewusst Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen durchs Raster gefallen sind. Deshalb ist auch der Kampf gegen Ausgrenzung eine effektive Waffe gegen organisierte Kriminalität. Wir brauchen frühe Maßnahmen in Schulen", mahnt ADRESSEAVISEN.
Die schwedische Zeitung SVENSKA DAGBLADET fragt sich, was Behörden, Politik und Justiz gegen die Gewalt unternehmen können: "Die frustrierende Antwort ist, dass die schwedische Demokratie nicht viel mehr tun kann als das, was sie bereits getan hat oder vorhat. Es gibt keine rechtlichen Möglichkeiten für staatliche Sondervollmachten, solange nicht die Verfassung geändert wird. Die Frage wäre außerdem, wozu solche Vollmachten genutzt werden sollten. Tausende Menschen mit mutmaßlichen Verbindungen zum Bandenmilieu internieren? Checkpoints in allen größeren Städten zwischen den einzelnen Stadtteilen? So etwas signalisiert vielleicht Handlungsbereitschaft, aber die Wirkung ist höchst zweifelhaft", urteilt SVENSKA DAGBLADET aus Stockholm.
Die spanische Zeitung LA VANGUARDIA geht ein auf die Flucht ethnischer Armenier aus der von Aserbaidschan eroberten Region Berg-Karabach: "Obwohl Aserbaidschan behauptet, niemand sei gezwungen, alles aufzugeben, lässt die Massenpanik keine Zweifel. Dreißig Jahre Kriege und ein angespanntes Zusammenleben sind nicht die beste Garantie für den Respekt vor einer Minderheit - den Armeniern. Aserbaidschan hat den Kampf mit Armenien um Berg-Karabach gewonnen, eine Tatsache, die die wirtschaftliche Überlegenheit Aserbaidschans - einer der zwanzig größten Erdölexporteure - gegenüber dem Nachbarland Armenien widerspiegelt, das es anders als Israel nie schaffte, von seiner weltweiten Diaspora zu profitieren. Die internationale Gemeinschaft hat nun die Pflicht, sich um die vertriebenen Armenier zu kümmern und ihren Schutz zu gewährleisten", verlangt LA VANGUARDIA aus Barcelona.
Die USA und andere drängten zu Recht auf Zugang für eine UNO-Beobachtungsmission, meint die britische Zeitung THE GUARDIAN aus London: "Wenn Baku nichts Unrechtes tut, sollte es auch nichts zu verbergen haben. Angesichts der Schnelligkeit der Ereignisse müssen Washington, die EU und die europäischen Regierungen aber darauf bestehen, dass für das, was jetzt geschieht, Rechenschaft abgelegt wird, auch über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die europäischen Staats- und Regierungschefs scheinen wirklich schockiert über das Vorgehen Aserbaidschans zu sein, zu dem sie bisher freundschaftliche Beziehungen unterhielten. Sie sollten entsprechend handeln." So weit THE GUARDIAN und so viel zu diesem Thema.
Die US-amerikanische Zeitung NEW YORK TIMES widmet sich der zweiten TV-Debatte der Präsidentschafts-Anwärter der Republikaner, an der Donald Trump erneut nicht teilnahm: "Anstatt sich über ihn lustig zu machen, stürzten sich die sieben Kandidaten aufeinander und wetteiferten anscheinend nicht darum, Trump einzuholen, sondern zur Alternative Nr. 1 erklärt zu werden - wie ein Zweitplatzierter eines Schönheitswettbewerbs, der bereit ist, die Pflichten des Gewinners zu erfüllen und bei Bedarf das Sieger-Diadem zu tragen."
Das WALL STREET JOURNAL beobachtet: "Zweifellos scheuen die Kandidaten davor zurück, Trump-Wähler zu verärgern. Sich mit Trump anzulegen, könnte allerdings der beste Weg sein, sich von der Masse abzuheben und den Kampfgeist zu zeigen, den die republikanischen Wähler von einem Kandidaten erwarten."
Abschließend beleuchtet die panarabische Zeitung AL QUDS AL-ARABY das amerikanisch-europäische Verhältnis vor dem Hintergrund des andauernden Ukraine-Kriegs: "Mit ihrem Zermürbungsprojekt in der Ukraine versuchen die USA die Ängste der Europäer vor dem Zorn des russischen Bären konsequent für die östliche Erweiterung der NATO auszunutzen. So werden weit über die Ukraine hinaus Waffen in diese Region gepumpt und zugleich die Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten - und damit der Verkauf amerikanischer Waffen - erhöht. Es ist seltsam, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs in einer Zeit, in der sie durch den russisch-ukrainischen Krieg schwere Verluste erleiden, an ihrer Abhängigkeit von den USA festhalten und sich deren Willen beugen, in Osteuropa kurz- und langfristige Interessen durchzusetzen. In der Summe ist diese Politik nichts anderes als der Wille, auf politische und diplomatische Lösungen zugunsten von Krieg, Zermürbung und Arroganz zu verzichten", bilanziert AL QUDS AL-ARABY, die in London erscheint, zum Ende der internationalen Presseschau.