10. Oktober 2023
Die internationale Presseschau

Der Angriff der islamistischen Hamas und Israels Reaktion darauf dominiert weiterhin die Kommentarspalten.

10.10.2023
Israel, Gaza: Israelische Soldaten sind in der Nähe der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen im Einsatz.
Die Kämpfe zwischen israelischen Soldaten und islamistischen Hamas-Kämpfern gehen im Grenzgebiet zum Gazastreifen weiter. (Ohad Zwigenberg/AP/dpa)
"Will Israel alle Palästinenser bestrafen und Gaza dem Erdboden gleichmachen?", fragt die finnische Zeitung HUFVUDSTADSBLADET: "Israel hat die Bewohner von Gaza zur Flucht aufgefordert. Nur: Sie können nirgendwohin fliehen. Schon vorher war Gaza weitgehend abgeriegelt, doch nun wurde die totale Blockade verhängt. Es kommen keine Lebensmittel mehr dorthin, kein Strom, kein Kraftstoff und auch kein Wasser. Außerdem hat Israel 300.000 Reservisten einberufen. Die Frage ist, ob die israelische Armee zusätzlich zu einer vollständigen Belagerung auch eine Bodenoffensive plant. Natürlich gibt es den Wunsch, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Und es wäre wohl naiv zu glauben, dass Israel und seine Verbündeten jetzt nach einem anderen Ausweg als Krieg suchen", fürchtet HUFVUDSTADSBLADET aus Helsinki.
Die NEW YORK TIMES gibt zu bedenken: "Die israelische Belagerungstaktik des Gazastreifens wird, wenn sie fortgesetzt wird, ein Akt der kollektiven Bestrafung sein und viel Leid mit sich bringen. Doch auch Israel ist an das Völkerrecht gebunden. Es braucht eine internationale Vermittlung zwischen der israelischen Regierung, palästinensischen Führern und humanitären Organisationen, um sicherzustellen, dass die zivilen Opfer in Israel und Gaza nicht weiter in die Höhe schnellen."
Zu einer möglicherweise bevorstehenden Bodenoffensive der israelischen Armee schreibt die FINANCIAL TIMES: "Während eine Eroberung oder eine langwierige Besetzung des Gazastreifens realisierbar ist, wäre sie doch mit hohen strategischen Kosten verbunden. Es gäbe nicht nur zahlreiche Tote und benötigte erhebliche wirtschaftliche Ressourcen, sondern würde auch potenziellen Schaden für Israels internationales Ansehen mit sich bringen. Doch die klar ist: Die Hamas muss geschwächt und ein hoher Preis für jede zukünftige Aggression verlangt werden."
Die schwedische Zeitung GÖTEBORGS-POSTEN setzt sich mit den Anschlägen der Hamas auf Zivilisten auseinander: "Für die Hamas sind Angriffe auf Kinder und ältere Menschen kein Missgeschick – vielmehr beabsichtigt sie Übergriffe und Morde an Zivilisten. Schon früh zirkulierten auf der Plattform X Videos, wie tote Männer und Frauen, teilweise vollständig entkleidet, als Trophäen durch Gaza gefahren wurden, während jubelnde Menschenmengen 'Allahu akbar' skandierten. Laut Hamas sind solche Clips, die die Erniedrigung von Menschen zeigen, der Beweis für den Erfolg ihres Angriffs auf Israel. Doch die Hamas macht sich damit selbst zum Symbol für das Böse. Ebenso wie beim Angriff auf das Festival Supernova mit Teilnehmern aus aller Welt. Allein hier wurden 260 Menschen ermordet, Frauen wurden neben den Körpern ihrer toten Freunde vergewaltigt, andere als Geiseln nach Gaza verschleppt. Alles dokumentiert von der Hamas. Nichts davon hat das Leben auch nur eines Palästinensers verbessert – im Gegenteil. Alles, was Friedensprozess, Zwei-Staaten-Lösung oder Versöhnung heißt, ist tot und begraben", fasst GÖTEBORGS-POSTEN zusammen.
Die in Schanghai erscheinende Tageszeitung JIEFANG RIBAO befasst sich mit der Frage, warum die israelischen Geheimdienste den Großangriff der Hamas am Wochenende nicht kommen sahen: "War es Ermüdung und Nachlässigkeit von Seiten der israelischen Armee angesichts eines Nahostkonflikts als Normalzustand oder hat die innenpolitische Spaltung des Landes in der Frage der Justizreform das Land derart geschwächt? Fest steht jedenfalls, dass die Operation von der Hamas von langer Hand geplant wurde. Man fragt sich auch, wie derart viele Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert werden konnten, zu dem Israel den Zugang streng kontrolliert."
Die palästinensiche Zeitung Al AL-JADIDA aus Ramallah sieht den Grund in Israels, so wörtlich, "Arroganz der Macht": "Die Israelis konnten sich wohl zu keinem Zeitpunkt vorstellen, dass die Palästinenser in der Lage wären, derart kühn die Siedlungen rund um Gaza zu stürmen. Die Hamas hingegen plante intelligent und präzise. So machte sie die Israelis glauben, sie führe ihren Schlag vor allem mit Raketen aus. Dabei sollte dieser vor allem den Bodenangriff vertuschen. Der Fall Israels zeigt: Egal wie stark eine Armee ist und mit wie vielen neuesten Waffensystemen sie ausgerüstet ist, sie kann nicht ständig in höchster Alarmbereitschaft bleiben."
Die JERUSALEM POST kritisiert die bisherige westliche Entwicklungshilfe für die Palästinenser: "Auch unter Verwendung der Tonnen von Materialien, die großzügig und in den meisten Fällen blind von Regierungen, NGOs und UN-Organisationen bereitgestellt wurden, konnte die Hamas ihr tödliches Arsenal kontinuierlich ausbauen. Wichtig ist, dass Israel nun bei der Lieferung von humanitärem Material, das für Terroraktivitäten verwendet wird, weitaus restriktiver vorgeht. Auch wenn diese Politik Israel noch stärkeren Verurteilungen seitens westlicher Medien und sogenannter Menschenrechtsorganisationen aussetzen wird." So weit die JERUSALEM POST.
Zur Rolle des Irans beim Angriff der Hamas auf Israel meint der Londoner TELEGRAPH: "Teheran hat nie einen Hehl aus seinen völkermörderischen Absichten gegenüber dem jüdischen Staat gemacht. Seit langem unterstützt es finanziell und militärisch Gruppen wie die Hamas und die Hisbollah, die die Zerstörung des Landes anstreben. Aber man darf nicht zulassen, dass Teheran und seine Freunde mit ihren Gräueltaten irgendeine Art von Sieg erringen. Der Westen muss die Natur der Bedrohung durch das iranische Regime viel klarer sehen und darf weniger naiv sein, was die Notwendigkeit angeht, Saudi-Arabien als Teil einer regionalen Allianz an seiner Seite zu haben. Der Westen darf jetzt keine Schwäche zeigen", ist der TELEGRAPH überzeugt.
Die türkische Zeitung SABAH notiert: "Wenn Israel, wie der israelische Premier Netanjahu andeutet, den Iran und seine Stellvertreter wie die Hisbollah ins Visier nimmt, könnte sich der Konflikt auf die ganze Region ausweiten und es zu einer Welle der Turbulenzen kommen. Die Intensität der Gegenangriffe Israels und die Reaktionen darauf werden bestimmend dafür sein, wie es im Nahen Osten weitergeht. Erste Aussagen deuten auf einen sehr harten und weitreichenden Konflikt hin", analysiert SABAH aus Istanbul.
Von einem "beschämenden Schweigen" der arabischen Führer spricht DIE PRESSE aus Wien: "Kein Wort der Verurteilung der Hamas, keine Silbe der Kritik: Die arabische Welt duckt sich wieder einmal weg, wo eine klare Haltung gefragt wäre. Womöglich schweigen sie auch aus zynischem Machtkalkül – aus Angst, von der eigenen Bevölkerung ausgebuht oder im Extremfall weggeputscht zu werden. Im Zuge der Abraham-Abkommen haben arabische Staaten – die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko – die Aussöhnung mit Israel vollzogen. Und die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien war schon weit fortgeschritten, bis die Hamas den historischen Deal fürs Erste torpedierte", betont DIE PRESSE.
Eine Ursache für die Entwicklung sieht die estnische Zeitung POSTIMEES auch darin, dass die USA ihre Präsenz im Nahen Osten in den vergangenen Jahren immer weiter reduziert hat, - und fordert: "Der Westen muss eine aktivere Rolle im Nahen Osten einnehmen, als das zuletzt der Fall war. Oft haben bislang Russland und der Iran das Vakuum gefüllt. Nur: Moskau und Teheran haben nicht vor, das Problem bei der Wurzel zu packen und auf ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern hinzuarbeiten. Deshalb muss der Westen überlegen, wie der Einfluss Russlands und des Iran in der Region begrenzt werden kann. Und auch Israel sollte bei den nächsten Schritten bedenken, dass sich ein Krieg in die Länge ziehen und unerwartete Wendungen nehmen kann, wie wir bereits im Fall der Ukraine gesehen haben. Der Ukraine-Krieg hat außerdem eine Flüchtlingswelle nach Europa ausgelöst und für einen weltweiten Preisanstieg gesorgt. Alles das könnte auch bei einem Krieg zwischen Israel und der Hamas passieren."