06. November 2023
Die internationale Presseschau

Themen sind heute: Die anti-israelischen und anti-semitischen Kundgebungen, die Lage im Nahen Osten und der Krieg in der Ukraine.

Eine Menschenmenge steht vorm Neptunbrunnen in Berlin. Die Menschen tragen die palästinensische Flagge.
04.11.2023, Berlin: Zahlreiche Menschen nehmen an einer Pro-Palästina-Kundgebung am Neptunbrunnen teil. (Jörg Carstensen / dpa / Jörg Carstensen)
Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER beklagt einen zunehmenden Antisemitismus weltweit - Zitat - "getriggert von den Ereignissen in Israel und in Gaza": "Bei einer Demonstration in Malmö jubelten Menschen über die unbeschreiblichen Terror-Anschläge der Hamas. Vielerorts werden Plakate mit den Hamas-Geiseln heruntergerissen. Jüdische Veranstaltungen werden bedroht. Der schwedische Premier Kristersson hat nicht ganz unrecht, wenn er von importiertem Antisemitismus spricht. Judenhass kommt in manchen Migrantengruppen und in Ländern im Nahen Osten häufiger vor, wo Menschen mit einem selbstverständlichen Antisemitismus in Medien und Politik aufwachsen. Der Judenhass gedeiht aber auch in sozialen Netzwerken, gerade in rechtsradikalen Kreisen", betont DAGENS NYHETER aus Stockholm.
Die tschechische Zeitung LIDOVE NOVINY kann die Kritik an Israel nicht nachvollziehen: "Was auch immer Israel macht, es ist auf einmal falsch, weckt Widerstand und führt zu Demonstrationen. Als die westlichen Staaten gemeinsam mit arabischen Regierungen gegen den Islamischen Staat kämpften und die Millionenstadt Mossul eroberten, waren die Verluste unter den Zivilisten höher als nun im Gazastreifen. Doch niemand protestierte dagegen. Nun sagen alle - von US-Präsident Biden über den russischen Präsidenten Putin bis hin zum Palästinenserchef Abbas -, was Israel nicht machen soll oder darf. Doch wer rät Israel, was es unternehmen muss, damit es nicht als derjenige wahrgenommen wird, der vor der Hamas kapituliert?" fragt LIDOVE NOVINY aus Prag.
Die mexikanische Zeitung LA RAZON stellt fest: "Im Internet befeuern derzeit Hassbotschaften und Desinformationskampagnen weltweit den Antisemitismus. Die französischen Behörden registrieren eine enorme Zunahme antisemitischer Vorfälle, und es steigt die Zahl der Hassverbrechen. Dazu tragen die grausamen Bilder bei, die unkommentiert das Internet überschwemmen. Extremistische Einstellungen gepaart mit unzureichenden Informationen befördern diesen Hass, aber es sind nicht nur die inoffiziellen Kanäle, die solche Botschaften verbreiten. So hat zuletzt der ultrarechte israelische Minister für das Kulturerbe, Elijahu, den Einsatz einer Atombombe in Gaza gefordert. Das hat ihn zwar sein Amt gekostet, aber Medienberichten zufolge ist er weiterhin aktiv", erklärt LA RAZON aus Mexiko-Stadt.
Die JERUSALEM POST übt scharfe Kritik an den Äußerungen des israelischen rechtsradikalen Ministers Elijahu, der eine "Atombombe auf Gaza als Option" bezeichnet hatte. "Es ist eine Sache, ob Privatpersonen Kommentare in sozialen Medien posten; aber es ist etwas ganz anderes, wenn Regierungsbeamte in der Öffentlichkeit unverschämte Bemerkungen machen. Hohe Beamte sollten ein positives Beispiel sein. Jetzt reicht es. Sein Dienst ist überflüssig, seine Anwesenheit in der Regierung schädlich und sein Urteilsvermögen beklagenswert beeinträchtigt. Elijahu muss gehen", unterstreicht die JERUSALEM POST.
In der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN ist zu lesen: "Israels Position besteht darin, weder zu bestätigen noch zu dementieren, Atomwaffen zu besitzen. Dabei ist der Besitz der Atomwaffen längst ein offenes Geheimnis. Eliajahus Drohung, eine Atombombe auf den Gaza abzuwerfen, wird deshalb nicht nur die Palästinenser, sondern die gesamte Region Nahost in Alarmbereitschaft versetzen. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass der Iran die Entwicklung von Atomwaffen stark beschleunigt, sondern auch wegen eines Domino-Effekts über die arabische Region hinaus", warnt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
US-Präsident Biden habe einen großen Krieg im Nahen Osten verhindert, lobt die polnische RZECZPOSPOLITA: "Es sind die USA, die den israelischen Premierminister Netanjahu davon zu überzeugen versuchen, das Hamas-Problem politisch und nicht nur militärisch zu lösen. US-Außenminister Blinken riet Verteidigungsminister Galant von einem Präventivschlag gegen die Hisbollah ab. Es gelang ihm jedoch nicht, Netanjahu davon zu überzeugen, die Kriegshandlungen im Gazastreifen aus humanitären Gründen zumindest für einige Zeit auszusetzen. Es wird auch schwierig sein, die sich seit Jahren radikalisierende israelische politische Klasse von einem Frieden auf der Grundlage zweier Staaten zu überzeugen. Wenn dies scheitert, könnte tatsächlich noch ein großer Krieg im Nahen Osten Realität werden", befürchtet die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die österreichische Zeitung DER STANDARD notiert: "Indem die Regierung von Premier Netanjahu eine Waffenruhe, um Verhandlungen eine Chance zu geben, ablehnt, dürfte sie die Rettung der meisten Geiseln zugunsten ihres anderen Zieles, der Vernichtung der Hamas, stillschweigend aufgegeben haben. Daher ist auch Netanjahus Antwort auf die entsprechende Forderung von US-Außenminister Blinken, eine Waffenruhe könne es erst nach der Freilassung der Geiseln geben, nicht ernst gemeint. Ebenso muss man sich fragen, warum Israel nicht mehr tut, dass die Bevölkerung im südlichen Gazastreifen versorgt und von Bomben verschont wird, wenn es doch zur Vermeidung ziviler Opfer die Menschen im Norden zur Flucht drängen will. Ein solch differenziertes Vorgehen wird offenbar von den rechtsextremen Kräften in der Regierung verhindert", meint der Wiener STANDARD.
Deutschland muss nach den Worten von Bundesverteidigungsminister Pistorius "kriegstüchtig" werden. Dazu heißt es in der NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: "Pistorius rührt damit an ein Tabu in der politischen und gesellschaftlichen Debatte Deutschlands. Nie wieder Krieg, mit dieser pazifistischen Grundhaltung sind große Teile der Gesellschaft und der heutigen Regierung politisiert worden. Nun sollen Deutschland, seine Bürger und die Armee wieder wehrhaft werden. Doch was heißt es, Deutschland wieder "kriegstüchtig"zu machen? Was ist Kriegstüchtigkeit? Die Zeiten, als die Bundesrepublik Schecks ausstellte, in Krisen vermittelte und andere den Kopf hinhielten, sind vorbei. Deutschland müsste nun wieder kämpfen lernen. Kriegstüchtigkeit ist lediglich ein anderes Wort dafür. Allerdings hat es bisher kein einziges anderes Regierungsmitglied gebraucht. Die Gefahr droht, dass die vom Verteidigungsminister angeschobene Debatte mal wieder folgenlos verpufft", notiert die Schweizer NZZ.
Von einem Paradigmenwechsel der deutschen Verteidigungspolitik spricht die spanische Zeitung LA RAZON: "Das ist eine interessante Äußerung aus dem Mund des Verteidigungsminister des Landes, das zwei Weltkriege ausgelöst hat. Es ist die Forderung nach einem Paradigmenwechsel knapp 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es bedeutet unter anderem eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, eine Rückkehr zum Pflichtverdienst und eine Neuausrichtung der Wirtschaft. Kein Zweifel: Der Ukraine-Krieg war der Beginn des Kampfs um die künftige Weltordnung, und nun kommt auch noch der Krieg zwischen Israel und der Hamas hinzu, die aus der Ferne vom Iran unterstützt wird. Die Warnsignale sind nicht zu überhören – während Spanien sich weiterhin in innenpolitischen Auseinandersetzungen verliert", bedauert LA RAZON aus Madrid.
Die Ukraine brauche eine bessere Luftverteidigung, meint die britische Zeitung THE TELEGRAPH. "Ohne ständigen Waffennachschub wird die Ukraine im nächsten Frühjahr mit einer gefährlichen Situation konfrontiert sein. Bis dahin werden die Russen aufgerüstet und weitere Soldaten einberufen haben, um die Tausenden von Gefallenen zu ersetzen. Der Ukraine wurden amerikanische F-16-Kampfflugzeuge versprochen, doch gibt es keine Anzeichen für deren Lieferung, und die Piloten müssten erst noch geschult werden. Eine bessere Luftverteidigung ist dringend erforderlich, um zu verhindern, dass Russland ungestraft Städte und Infrastrukturen angreift. Wie bedrohlich die Lage im Nahen Osten auch sein mag, der Westen darf die Ukraine und die Notwendigkeit, sie im Kampf gegen die russische Aggression zu unterstützen, nicht aus den Augen verlieren", fordert der Londoner TELEGRAPH zum Abschluss der internationalen Presseschau.