01. März 2024
Die internationale Presseschau

Themen sind die Berichte über den Tod zahlreicher Palästinenser bei der Ankunft von Hilfsgütern im Gazastreifen sowie die Wahlen im Iran. Reichlich kommentiert wird zudem die Rede zur Lage der Nation von Russlands Präsident Putin.

Eine Gruppe von Menschen steht zusammen. Zwei Personen umarmen sich in Trauer.
Menschen trauern in Gaza-Stadt, nachdem dort zahlreiche Zivilisten bei Tumulten um eine Lieferung von Hilfsgütern getötet worden waren. (AFP / -)
Die polnische RZECZPOSPOLITA schreibt: "Es war Putins erster – und wahrscheinlich einziger – Auftritt dieser Art in so etwas wie einem 'Wahlkampf'. Vielleicht ungewollt offenbarte der russische Präsident, was er am meisten fürchtet: ein Wettrüsten mit dem Westen. Wie er selbst sagte, brach die UdSSR zusammen, weil sie in einen solchen Wettbewerb hineingezogen wurde. Er versicherte, dass er diesen Fehler nicht wiederholen würde - verschwieg jedoch, wie er ihn vermeiden will. Bereits jetzt gibt er sechs Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts für Rüstung aus. Doch seine Rede richtete sich vor allem an potenzielle Wähler, und ihm war offenbar klar, dass geopolitische Spiele nur für wenige interessant sind - im Gegensatz zu Zuschüssen für kinderreiche Familien, Renovierungen von Schulen und Kindergärten oder Sportanlagen", vermerkt die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die russische NESAWISSIMAJA GASETA geht ebenfalls auf die zahlreichen Versprechen Putins an seine Bevölkerung ein: "Putin präsentierte der Öffentlichkeit ein grandioses Programm zur Umgestaltung des Landes im Sinne einer echten Souveränität. Es ist jedoch nicht klar, welche Organisation diese Pläne erfolgreich umsetzen soll. Da die angekündigten Veränderungen in der Produktions-, Sozial- und Wissenschaftsinfrastruktur aus dem Haushalt finanziert werden sollen, ist zu befürchten, dass die verfügbaren Mittel des Staates nicht ausreichen." Die Zeitung aus Moskau kommentiert zudem den internationalen Teil von Putins Rede: "Dieser war klein, aber klar: Solange der Westen das Ziel verfolgt, Russland auf dem Schlachtfeld strategisch zu besiegen, ergeben Verhandlungen keinen Sinn. Die Erwähnung der prinzipiellen Möglichkeit, dass russische Raketen das Territorium westlicher Länder erreichen könnten, ist wahrscheinlich als Einladung zu Verhandlungen über eine strategische Stabilität gemeint. Die Botschaft: Wir sind keine Partner und werden auch in absehbarer Zukunft keine sein, aber wir müssen irgendwie existieren." So weit die NESAWISSIMAJA GASETA.
Putin ging auch auf Äußerungen von Frankreichs Präsident Macron ein, der den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht gänzlich ausgeschlossen hatte. Die Zeitung MÜSAVAT aus Aserbaidschan unterstreicht: "Putin machte unmissverständlich klar, dass ein Interventionsversuch die Gefahr eines nuklear bewaffneten Großkonflikts in sich berge. Das ist eine klare Warnung. Es ist in der Tat nicht auszuschließen, dass die militärisch-politischen Kreise Russlands den Einsatz von Atomwaffen beschließen könnten, wenn die Gefahr eines Krieges mit der NATO droht", befürchtet MÜSAVAT aus Baku.
Die tschechische Zeitung HOSPODARSKE NOVINY sieht das anders: "Putin hätte seine Anhänger und Gegner enttäuscht, wenn er in seiner Rede nicht wenigstens einmal das Atomwaffenarsenal seines Landes erwähnt hätte. Doch eine akute Gefahr, dass Kernwaffen zum Einsatz kommen könnten, lässt sich daraus nicht ableiten. Vielmehr versuchte Putin damit, der russischen Gesellschaft zu versichern, dass das Land trotz des Krieges in der Ukraine stark bleibe. Er hält an seinen Kriegszielen wie der Eroberung Odessas und Kiews fest. Die westlichen Verbündeten Kiews sollte das dazu bewegen, die Ukraine stärker zu unterstützen. Größere Vorsicht aufgrund der Sorgen vor einem - sehr wenig wahrscheinlichen - Atomkrieg wäre fehl am Platze", meint HOSPODARSKE NOVINY aus Prag.
Die Zeitung THE TIMES aus Großbritannien sieht das ähnlich: "Die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen ist wahrscheinlich ein Bluff: China, ein wichtiger Verbündeter Russlands, hat bereits hinter verschlossenen Türen und auch öffentlich deutlich gemacht, dass es eine solche Aktion nicht unterstützen würde. Doch nach einer Reihe ukrainischer Rückschläge auf dem Schlachtfeld fühlt sich Moskau nun selbstbewusster denn je und ist bereit, den Zermürbungskrieg fortzusetzen", notiert THE TIMES aus London.
Die dänische Zeitung POLITIKEN blickt auf die Beerdigung des Kremlkritikers Nawalny, die heute in Moskau stattfindet: "Würde es gerecht zugehen, hätte Nawalny ein Staatsbegräbnis bekommen. Stattdessen wird seine Beerdigung zu einer bescheidenen Veranstaltung, und wer daran teilnimmt, beweist damit extremen Mut. Nawalnys grausames Schicksal macht deutlich, wie heftig die Unterdrückung unter Putin geworden ist. Seit Stalin war Russland nicht mehr so totalitär. Aber es sind diese Regimegegner, die Putin am meisten fürchtet. Wie Nawalny selbst sagte: Ein Regime, das seine Gegner tötet, zeigt seine eigene Schwäche", betont POLITIKEN aus Kopenhagen.
Themenwechsel. In Gaza-Stadt sind zahlreiche Palästinenser bei Tumulten rund um die Ankunft von Hilfsgütern getötet worden. "Die Gefahr einer umfassenden Hungerkatastrophe im Gazastreifen ist längst akut", erklärt die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN. "Der Mangel an Lebensmitteln und Wasser führt dazu, dass verzweifelte Menschen Lastwagen mit Hilfsgütern angreifen. Es waren erschütternde Szenen, die sich dort abspielten. Und zu den Gründen gehört das vollkommen zerstörte Vertrauen Israels in die UNRWA. Eigentlich sollte das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge ebenjenen Palästinensern helfen, die nach der Gründung des Staates Israel geflohen waren. Die Beziehungen zwischen Israel und der UNRWA waren schon lange angespannt. Äußerungen von UNO-Mitarbeitern, wonach Israel die Palästinenser gezielt aushungere, sind allerdings wenig konstruktiv. Die Zivilbevölkerung in Gaza braucht Hilfe, und es gibt keine unmittelbare Alternative zur UNRWA. Israel muss eine Lösung finden, wie eine Zusammenarbeit funktionieren könnte. Das Land streitet ab, dass in Gaza ein Völkermord stattfindet. Aber um glaubwürdig zu sein, muss es dann auch bereit sein, genug Hilfsgüter in den Gazastreifen zu lassen", fordert AFTENPOSTEN aus Oslo.
In den USA blickt die NEW YORK TIMES auf das Schicksal der Kinder im Gazastreifen und schreibt: "Diese Kinder leiden nicht unter den Folgen einer Dürre, Missernte oder einer anderen Naturkatastrophe. Ihr Hunger ist eine von Menschen verursachte Katastrophe. Die israelische Regierung hat die Lieferung von Nahrungsmitteln in den belagerten Gazastreifen verlangsamt oder sogar verhindert. Selbst wenn Lastwagen durchkommen, haben die israelischen Bombardierungen und die wachsende Verzweiflung der hungrigen Massen die Verteilung von Lebensmitteln zu einem mühsamen und manchmal tödlichen Unterfangen gemacht. Und zu einem kleineren, aber wichtigen Teil hungern die Menschen auch, weil die US-Regierung es versäumt hat, ihren erheblichen Einfluss geltend zu machen, um Israel zu zwingen, den Gazastreifen mit Nahrungsmitteln zu versorgen", hebt die NEW YORK TIMES hervor.
Zum Schluss ein Blick in den Iran, wo heute erstmals seit den Massenprotesten vom Herbst 2022 gewählt wird. Der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz erwartet eine niedrige Wahlbeteiligung: "Es ist eine leichte Form des Protests, eine traurige ist es auch. Die einzig noch verbliebene, die nicht ins Gefängnis führt. Sie werden massenweise von ihr Gebrauch machen, die Iranerinnen und Iraner: Sie werden zu Hause bleiben. Unter Staatschef Khamenei und seinem treu ergebenen Präsidenten Raisi liegt die Macht vor allem bei den Revolutionsgarden. Jener Streitmacht, die damals die Proteste niederschlug und die das Atomprogramm vorantreibt. Die Garden sind ein Staat im Staat geworden, der die Regeln macht. Wofür sie stehen? Ein Land im Niedergang. Hyperinflation. Angst auf den Straßen, Brutalität in den Gefängnissen. Todesurteile gegen Demonstranten. Gegen Teenager. Wären die Wahlen frei, all das fände keine Mehrheit", ist der TAGES-ANZEIGER aus Zürich überzeugt.