10. April 2024
Die internationale Presseschau

Mit Stimmen zum Gaza-Krieg und zu Äußerungen des ehemaligen US-Präsidenten Trump über Abtreibungen. Zunächst aber zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Straßburger Richter hatten mit der Schweiz erstmals ein Land wegen unzureichenden Klimaschutzes verurteilt.

Mitglieder des Schweizer Vereins "Klimaseniorinnen" jubeln nach der Urteilsverkündung in Straßburg.
Mitglieder des Schweizer Vereins "Klimaseniorinnen" jubeln nach der Urteilsverkündung in Straßburg. (picture alliance / KEYSTONE / JEAN-CHRISTOPHE BOTT)
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kritisiert: "Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat nach einer Klage mehrerer Rentnerinnen ein weiteres Mal gezeigt, dass er eine aktivistische Rechtsprechung pflegt, die weit über einen vernünftigen Menschenrechtsschutz hinausgeht. Jeder Einzelne habe ein Recht darauf, vom Staat vor den schädlichen Folgen des Klimawandels auf das Leben, die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität wirksam geschützt zu werden, sagen die Strassburger Richter. Sie schaffen damit kurzerhand ein Menschenrecht, das es bisher nicht gegeben hat und das in seiner Unbestimmtheit Tür und Tor für Ansprüche aller Art öffnen kann. Dass sich das Gericht immer mehr als Instanz versteht, die von der Kanzel herab 'progressive' Anliegen durchsetzt, hat mit Demokratie nichts zu tun", meint die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Die schwedische Zeitung EXPRESSEN wirft ein: "Es stimmt zwar, dass der Klimawandel zu mehr Hitzewellen führen wird, aber es ist bizarr, die Schweiz dafür verantwortlich zu machen. Es gibt eben nicht einfach einen Akteur, der für alles verantwortlich ist. Indem der Staat verklagt wird, geht Macht von demokratisch gewählten Parlamenten an Juristen über. Die Unterstützung für eine ehrgeizige Klimapolitik wird jedoch kaum zunehmen, wenn die Bürger den Eindruck bekommen, dass die Politik von Aktivisten mit der Hilfe von Gerichtsurteilen gelenkt wird statt durch demokratische Wahlen", bemerkt EXPRESSEN aus Stockholm.
"Ein bahnbrechendes Urteil", heißt es hingegen in der österreichischen Zeitung DER STANDARD: "Wo Regierungen bisher nicht auf die Rufe der Wissenschaft gehört haben, könnten sie nun dazu gezwungen werden. Die erfolgreiche Klage gibt Klimaschützerinnen und Klimaschützern erstmals ein Werkzeug dafür, ihre Regierungen vor dem Höchstgericht in Straßburg zum Handeln zu zwingen. Diese können haftbar gemacht werden, wenn sie ihre Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung verletzen. Unter den jahrzehntelangen klimapolitischen Schlendrian könnte nun ein Schlussstrich gezogen werden. Bleibt zu hoffen, dass der Straßburger Gerichtsspruch zumindest manchen Regierungen die Augen öffnet und sie dazu bringt, schon jetzt die richtigen Maßnahmen zu ergreifen", stellt DER STANDARD aus Wien heraus.
Die dänische Zeitung POLITIKEN geht darauf ein, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Klagen gegen weitere Länder abgewiesen hat: "Dass der Gerichtshof die Klagen aus Portugal und Frankreich zurückgewiesen hat, ist enttäuschend, in diesem Zusammenhang aber weniger wichtig. Nun steht nämlich fest, dass die Reduzierung von Treibhausgasemissionen nicht nur etwas ist, wozu sich Staaten gegenseitig verpflichten, sondern etwas, auf das die Bürger explizit das Recht haben. Der Gerichtshof in Straßburg ist nur für Europa zuständig, während die Klimakrise global ist. Aber andere völkerrechtliche Instanzen könnten nun in die gleiche Richtung gehen", konstatiert POLITIKEN aus Kopenhagen.
Ähnlich sieht es NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio: "Gerade läuft an einem niederländischen Gericht ein Berufungsverfahren des Ölkonzerns Shell, der 2021 gerichtlich verpflichtet wurde, Emissionen zu senken. Auch darauf könnte sich das gestrige Urteil des Europäischen Menschengerichtshofes auswirken. Denn der Richterspruch könnte ein Präzedenzfall werden und eine starke Signalwirkung haben. Es ist aus japanischer Sicht bewundernswert, dass die Menschen in Europa den Mut nicht verlieren. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen gemeinsam gegen die Klimakrise vorgehen." So weit NIHON KEIZAI SHIMBUN.
Themenwechsel. Die JERUSALEM POST befasst sich mit den Verhandlungen zwischen Israel und der militant-islamistischen Hamas über einen Waffenstillstand und die Freilassung von Geiseln: "Die Hamas setzt ihre Gewohnheit des Zögerns fort und lehnt israelische Angebote ab. Wie kann es der Terrorgruppe erlaubt sein, das Elend der Palästinenser zu verlängern, während die Welt weiterhin Druck auf Israel ausübt? Wo sind die pro-palästinensischen Demonstranten, die seit dem 7. Oktober auf den Straßen der Welt gegen den israelischen Völkermord trommeln? Warum stehen sie nicht auf und fordern, dass die Hamas ein Waffenstillstandsabkommen akzeptiert? Das Verhalten der Terrorgruppe ist das einer Organisation, die glaubt, das Steuer in der Hand zu haben. Sie sollte sich nicht überschätzen", mahnt die JERUSALEM POST.
"In Gaza wird die Saat für einen ewigen Krieg gepflanzt", fürchtet der britische GUARDIAN: "Mehr als 33.000 Menschen im Gazastreifen wurden getötet, die Mehrheit Frauen und Kinder. Hunderttausenden droht eine Hungersnot. Gaza ist nur noch eine zerstörte Hülle seiner selbst. Eine Zweistaatenlösung ist die einzige realistische Möglichkeit für langfristiges, friedliches Zusammenleben. Die ersten Schritte müssen ein Waffenstillstand und die Freilassung aller Geiseln sein. Falls Israel und die Hamas sich weigern, dabei mitzumachen, sollte die internationale Gemeinschaft unter Führung der USA eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates aushandeln, wie sie 2006 den Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah beendete. Das könnte bedeuten, auch die Staatlichkeit Palästinas anzuerkennen", betont der GUARDIAN aus London.
In der NEW YORK TIMES ist zu lesen: "Die Regierung Netanjahus sollte sich der US-Forderung anschließen und den Weg eines Zwei-Staaten-Abkommens beschreiten. Der Einmarsch in Rafah sollte abgeblasen werden. Stattdessen sollte Israel den Ansatz verfolgen, den Rest der Hamas-Führung gezielt auszuschalten. Alles Andere hätte eine israelische Dauer-Besatzung des Gazastreifens und einen permanenten Hamas-Aufstand zur Folge. Es würde Israel wirtschaftlich, militärisch und diplomatisch auf sehr gefährliche Weise ausbluten lassen", warnt die NEW YORK TIMES.
Die Türkei hat wegen des israelischen Militäreinsatzes im Gazastreifen mit tausenden toten Zivilisten den Handel mit Israel eingeschränkt. Damit setzt sich die türkische Zeitung KARAR auseinander: "Bislang beschränkte sich die Kritik der Türkei an Israels Vorgehen auf diplomatische Schritte. Da Präsident Erdoğan dringend Devisen braucht, wurde der Handel mit Israel nicht unterbrochen. Doch die Wahlniederlage von Erdoğans AKP bei den Kommunalwahlen hat die Regierung offenbar erschüttert. Demonstranten, die einen Exportstopp nach Israel fordern, werden nun gehört. Die Exporte werden auf nur noch rund 50 Artikel beschränkt. Aber Ankara hat sich eine Hintertür offengelassen. Aus dem Handelsministerium heißt es, bei einem Waffenstillstand würden alle Lieferstopps aufgehoben", erklärt KARAR aus Istanbul.
Damit zum nächsten Thema. Der frühere US-Präsident Trump hat sich dafür ausgesprochen, die Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen bei den einzelnen Bundesstaaten zu belassen. Die WASHINGTON POST schreibt: "US-Präsident Biden hat gewarnt, dass Trump Abtreibungen landesweit verbieten wird. Indem Trump die Abtreibung nun den Bundesstaaten überlassen will, nimmt er den Demokraten ein wichtiges Argument weg und dreht den Spieß um. Er positioniert die Republikaner offener und lässt die Demokraten plötzlich als Abtreibungsextremisten dastehen."
"Trump lügt", ist die Meinung der Zeitung BOSTEN GLOBE: "Dass Trump von früheren kompromissloseren Aussagen abweicht, ist kein Sinneswandel, sondern Kalkül. Er will Stimmen aus beiden Lagern haben - von Befürwortern und Gegnern der Abtreibung. Doch unabhängig davon, was Trump jetzt über Abtreibung sagt, sollte man bedenken: Er hat durch die Ernennung der Richter am Supreme Court dazu beigetragen, ein fast 50 Jahre altes Gesetz zum Abtreibungsrecht ins Wanken zu bringen. Er war der Hauptarchitekt bei der Demontage. Dafür lobt er sich immer wieder. Das werden die meisten nicht vergessen haben."