27. Juni 2024
Die internationale Presseschau

Wir blicken heute nach Kenia zu den gewaltsamen Protesten gegen eine Steuerreform und nach Australien, wohin Wikileaks-Gründer Assange mittlerweile zurückgekehrt ist.

27.06.2024
Marc Rutte an einem Rednerpult vor einer Wand mit dem NATO-Logo, neben sich eine niederländische Flagge
Der niederländische Ministerpräsident Marc Rutte wird neuer NATO-Generalsekretär (picture alliance / Anadolu / Dursun Aydemir)
Zunächst aber die türkische Zeitung MILLIYET, die sich mit dem neuen NATO-Generalsekretär beschäftigt: "Nun ist es offiziell: Mark Rutte wird der neue NATO-Chef. Seit 2010 hat er als Regierungschef die Geschicke der Niederlande gelenkt, mal in einer Minderheitsregierung, mal mit wechselnden Koalitionspartnern. Seit 14 Jahren weiß er also, wie man die Zügel in der Hand hält. Im Verteidigungsbereich plädiert Rutte für eine verstärkte Zusammenarbeit der EU mit Ländern wie der Türkei. Und: Er ist sich der heiklen Balance bewusst, wenn Kompromisse zwischen den Staats- und Regierungschefs umgesetzt werden", zählt MILLIYET aus Istanbul auf.
Die französische Zeitung LOPINION beleuchtet mögliche Auswirkungen auf die NATO, sollte der frühere US-Präsident Trump wiedergewählt werden: "Trump hat 2018 sogar mit dem Austritt der USA aus dem Militärbündnis gedroht. Er wird das nicht umsetzen. Aber er könnte die Organisation schwächen. Erst im Februar hatte Trump die Mitgliedsländer gewarnt, dass Amerika ihnen im Falle eines russischen Angriffs nicht zur Hilfe kommen würde, solange nicht alle ihre Militärausgaben erhöht hätten. Diese Bemerkung ließ dem Westen das Blut in den Adern gefrieren. Aber sie zeigte Wirkung: Heute haben 23 der 32 NATO-Mitglieder das Ziel erreicht, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben", hebt L'OPINION aus Paris hervor.
THE BUSINESS TIMES aus Singapur lenkt den Blick weg von der NATO hin zur Neubesetzung von EU-Spitzenposten, die heute und morgen in Brüssel festgezurrt werden soll. Die Zeitung nimmt vor allem die EU-Kommissionspräsidentin unter die Lupe: "Ursula von der Leyen wird in ihrer zweiten Amtszeit sofort durchstarten müssen. Die anstehenden Entscheidungen spielen eine große Rolle dabei, welchen Weg die EU auf lange Sicht politisch und wirtschaftlich einschlagen wird. Bis zum Jahresende hat sie nun die historische Chance, den Kontinent zu stärken - bevor durch eine mögliche zweite Trump-Präsidentschaft Sturmwolken aufkommen", heißt es in einem Gastkommentar in der BUSINESS TIMES.
DIE PRESSE aus Wien meint, die Wiederbenennung der EU-Kommissionspräsidentin habe nicht unbedingt mit der Qualität ihrer bisherigen Arbeit zu tun. "Ausschlaggebend ist eher, dass sie am Ende ihrer ersten Amtszeit wendig war. Sie hat sich rechtzeitig, als der Gegenwind aus der eigenen politischen Familie gekommen ist, vom Green Deal abgewandt. Der Klimaschutz wich anderen Interessen wie jenen der großen Agrarbetriebe oder der Autofahrerlobby. Sie hat auch die notwendigen Reaktionen auf Rechtsstaatsverstöße nicht auf die Spitze getrieben, sondern hinausgezögert. Hoffentlich wird die CDU-Politikerin nach dieser unwürdigen Neubestellung wieder mehr eigenen europäischen Idealismus entwickeln", hofft DIE PRESSE aus Österreich.
"Es wartet eine neue Legislaturperiode, die nicht weniger anspruchsvoll ist als die vergangene", prophezeit LA REPUBBLICA aus Italien: "Die USA und China haben die EU im Zangengriff, und die Europäische Union wird sich bewegen müssen. Das künftige Spitzenpersonal muss also die Fähigkeit zum Kompromiss mit allen europäischen Kräften unter Beweis stellen, die nicht EU-feindlich sind. Nur wenn wir gemeinsam handeln, können wir Europa und vor allem unseren Ländern eine Zukunft sichern, die den künftigen Generationen gerecht wird", mahnt die Zeitung LA REPUBBLICA, die in Rom erscheint.
Nach Kenia: Dort hat Präsident Ruto nach Protesten Steuerhebungen auf Waren des täglichen Bedarfs zurückgenommen. Die kenianische Zeitung THE NATION lobt den Schritt Rutos im Grunde: "Schade ist nur, dass die Entscheidung erst nach Tagen der Gewalt mit Toten und viel Zerstörung gefallen ist. Wieder einmal zeigte sich Kenia als Land, das gerne auf die harte Tour lernt. Was passiert ist, sollte eine Wende einleiten. Es sollte alle politisch Verantwortlichen daran erinnern, dass sie ihre Macht den Wählerinnen und Wählern zu verdanken habe. Die Arroganz und der Hochmut der vergangenen Regierungen sollten ein jähes Ende finden. Und alle sollten bekräftigen, dass die Souveränität vom Volk ausgeht", verlangt THE NATION aus Nairobi.
Die südafrikanische Zeitung BUSINESS DAY weist darauf hin, dass die wirtschaftlichen Probleme Kenias noch nicht gelöst sind: "Wenn die Regierung auf die vorgeschlagenen Steuern verzichtet, muss sie letztlich die öffentlichen Ausgaben kürzen. Und das verschlimmert die Not der ohnehin schon stark belasteten Bevölkerung. Eine Lösung für dieses alte Problem erfordert neue Denkweisen - und dazu sind die meisten Regierungen nicht in der Lage. Die Lehre für andere Länder mit wirtschaftlichen Herausforderungen besteht darin, das Problem nicht zu lange köcheln zu lassen. Denn die Reaktion der Bürger wird im Zeitalter neuer Mobilisierungsformen immer unberechenbarer", warnt BUSINESS DAY aus Johannesburg.
DAILY MONITOR aus Uganda überlegt, welche Schlussfolgerungen sich sonst noch ziehen lassen - und legt den Fokus auf den Einfluss junger Menschen: "Ihre Stimmen und Sorgen werden bisher bei politischen Entscheidungen selten berücksichtigt. Die Verantwortlichen müssen nach Wegen suchen, die Bürgerinnen und Bürger stärker an den Entscheidungen ihres Landes zu beteiligen. Wir leben in einer Zeit, in der die Mehrheit der ugandischen Bevölkerung aus jungen Menschen mit viel Energie besteht. Und sie haben nichts zu verlieren. Die politische Führungsriege muss das ernst nehmen", fordert die Zeitung DAILY MONITOR aus Kampala.
In Kenia selbst geht es nun nach Ansicht des Schweizer TAGES-ANZEIGER darum, zerstörtes Vertrauen wieder herzustellen. Dazu müsse sich der Präsident seine - Zitat: "autokratischen Reflexe abgewöhnen. Europa und die USA sollten ihm dabei dringend kritischer auf die Finger schauen als bisher – auch aus Eigeninteresse. Während dem Westen auf dem Kontinent ein Freund nach dem anderen wegbricht, ist Kenia einer der wenigen verbliebenen Partner, die die Position der USA zu den Kriegen in der Ukraine und in Gaza unterstützen. Der Westen will Kenia nicht verlieren. Doch Ruto seinen Kurs der Härte deshalb durchgehen zu lassen, wäre eindeutig der falsche Weg", betont der TAGES-ANZEIGER aus Zürich.
Zuletzt noch einige Stimmen zum Wikileaks-Gründer, der nun wieder in Australien ist. Die spanische Zeitung EL PAÍS zieht nach seiner Freilassung diese Bilanz: "Zwar hat es einen bitteren Beigeschmack, dass Assange sich der Spionage schuldig bekennen musste. Doch dass eine Schlüsselfigur der Pressefreiheit nicht weiter verfolgt wird, ist in dieser Zeit, in der das Recht auf Information weltweit stark bedroht ist, eine großartige Nachricht".
Die indische Zeitung THE ASIAN AGE unterstreicht: "Auch wenn Assange einen einzigartigen Kampf führte, zeigt sich in dem Fall doch die Macht des Staates gegenüber denjenigen, die er als Kriminelle oder Feinde einstuft. Diese Macht kann leicht missbraucht werden. Das wird eine Lehre für die Welt sein. Assage mag Australier sein, wo es kein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf freie Meinungsäußerung gibt und die Pressefreiheit weniger hoch eingeordnet wird als in den USA. Aber seine Opfer im Kampf für die Meinungsfreiheit werden nicht ungewürdigt bleiben", verspricht THE ASIAN AGE aus Delhi.
Laut der chinesischen Zeitung XINJING BAO begünstigte die politische Lage in Amerika und Großbritanniens Assanges Freilassung: "Der Fall war für beide Regierungen quasi eine heiße Kartoffel, die nun aus dem Feuer geholt wurde. US-Präsident Biden und der britische Premierminister Sunak stehen bei den anstehenden Wahlen unter Druck. Beide wollten das von den Vorgängern geerbte Assange-Problem loswerden. Mit diesem Deal gewinnen sie den Applaus der Weltöffentlichkeit und der Assange-Unterstützer, die die Mehrheit ihrer Wähler ausmachen", beobachtet XINJING BAO aus Peking.