29. Juni 2024
Die internationale Presseschau

Im Mittelpunkt steht die Fernsehdebatte von US-Präsident Biden mit seinem Herausforderer Trump. Außerdem geht es um die Parlamentswahl in Frankreich, deren erste Runde am Sonntag stattfindet.

29.06.2024
Präsident Joe Biden und Ex-Präsident Donald Trump stehen auf der Bühne.
Präsident Joe Biden und sein republikanischer Herausforderer Donald Trump beim ersten TV-Duell zu den Präsidentschaftswahlen 2024. (IMAGO / UPI Photo / IMAGO / ELIJAH NOUVELAGE)
Die türkische Zeitung EVRENSEL ist ernüchtert vom Duell Biden gegen Trump: "Während der ganzen Sendung behaupteten die Kandidaten, der beste Präsident gewesen zu sein, die beste Wirtschaftspolitik gemacht zu haben, die meisten Arbeitsplätze geschaffen zu haben und der größte Umweltschützer zu sein. Zwischendurch gab es Beleidigungen, die aber aufgrund des diesjährigen Formats ohne Publikum etwas langweilig waren. Die Fragen wurden abgearbeitet, es gab keine Nachfragen. Und niemand überprüfte den Wahrheitsgehalt des Gesagten. Die US-Wahlen sind von Anfang bis Ende eine Show", bilanziert EVRENSEL aus Istanbul.
Die japanische Zeitung YOMIURI SHIMBUN urteilt: "Beide Kandidaten können nicht von sich behaupten, bei diesem ersten TV-Duell Qualitäten und Fähigkeiten gezeigt zu haben, die eines US-Präsidenten würdig sind. Ganz im Gegenteil: Durch diese Debatte sind eher Bedenken gegen die beiden Bewerber gewachsen. Besonders ernst ist es, dass Trump de facto Bedingungen stellte, als er gefragt wurde, ob er das Wahlergebnis annehmen wird. Damit verachtet er das Wahlsystem und die Justiz, die das Fundament der Demokratie stützen. Trotz zahlreicher falscher Behauptungen geht Trump aus Umfragen nach der Debatte als Sieger hervor. Joe Bidens schlechte Performance hat die Sorgen bei den Wählern sicherlich vergrößert. Das Chaos, das dieser außergewöhnliche Wahlkampf hervorruft, dürfte für die gesamte Welt eine große Herausforderung werden", erwartet YOMIURI SHIMBUN aus Tokio.
Die chinesische Zeitung XINJING BAO erklärt: "Das ganze TV-Duell bestand aus narzisstischen Äußerungen und gegenseitigen persönlichen Angriffen. Bei den für ihn unangenehmen Themen schaffte Trump es immer wieder, auszuweichen und den Spieß umzudrehen. Auch versprach er, den Ukraine-Krieg sofort zu beenden, wenn er gewinnen sollte - doch ohne hier konkret zu werden. Trump war eloquenter, während Biden Konzentrationsschwächen zeigte. Dieses TV-Duell weckte weltweit große Aufmerksamkeit. Aber bis die US-Wähler im November zur Wahlurne gehen, wird sich wohl keiner mehr daran erinnern können", vermutet XINJING BAO aus Peking.
"Die Frage ist, wie es weitergeht", bemerkt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. "Joe Biden hat in den demokratischen Vorwahlen gesiegt – er ist der gewählte Kandidat der Demokratischen Partei und soll noch vor dem Parteitag in Chicago Ende August offiziell nominiert werden. Vielleicht kommt Joe Biden selber zu der Einsicht, dass seine Kandidatur eine Zumutung für das Land ist, gerade weil die Alternative Donald Trump heißt. Doch dafür gibt es im Moment keine Anzeichen; sein Wahlkampfteam schob seinen kläglichen Auftritt auf eine Erkältung. Oder die Delegierten der Demokratischen Partei planen den Aufstand und küren am Parteitag in einer wilden Wahl einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin. Was vorgestern noch unwahrscheinliche Szenarien waren, liegt nach Joe Bidens katastrophaler Performance in der Fernsehdebatte nun offen auf dem Tisch", stellt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG fest.
Die polnische RZECZPOSPOLITA erläutert: "Sogar Biden-freundliche Medien fragten sich nach dessen Auftritt, ob die Demokratische Partei nicht beim Parteitag im August einen anderen Kandidaten präsentieren müsste. In der Geschichte der Vereinigten Staaten ist es mehrfach vorgekommen, dass ein tüchtiger Politiker, der der breiten Öffentlichkeit unbekannt war, innerhalb von ein oder zwei Jahren aus dem Verborgenen geholt wurde und das Weiße Haus gewann. So geschah es mit Jimmy Carter, Bill Clinton und Barack Obama. Allerdings wurde noch nie ein neuer Kandidat zu einem so späten Zeitpunkt des Wahlkampfs an die Spitze gehoben. Es ist nicht einmal klar, wie dies technisch aussehen könnte, da die Vorwahlen ja gelaufen sind und die Ersetzung Bidens durch einen Parteikollegen die Glaubwürdigkeit des neuen Kandidaten in Frage stellen würde", notiert die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
"Biden scheint immer weniger in der Lage zu sein, Trump von einer zweiten Präsidentschaft abzuhalten", stellt die niederländische VOKSKRANT fest. "Und angesichts der Wunschliste eines Dikators, die der absehbare Wahlsieger Trump bereits ausposaunt, müssten einschneidende Maßnahmen ergriffen werden. Denn es gäbe ja Alternativen zu Biden, von Gavin Newsom bis Gretchen Whitmer. Zwar wären auch sie Trump zum jetzigen Zeitpunkt unterlegen, aber zumindest verfügen sie über die Energie relativer Neueinsteiger auf der nationalen Bühne, um das Blatt vielleicht noch zu wenden."
"Um seinem Land zu dienen, sollte Präsident Biden aus dem Rennen aussteigen", titelt die NEW YORK TIMES und führt aus: "Wenn das Risiko einer zweiten Amtszeit Trumps so groß ist, wie Biden sagt, dann lässt sein Engagement für dieses Land ihm und seiner Partei nur eine Wahl. Der klarste Weg für die Demokraten, einen Kandidaten zu besiegen, der sich durch seine Lügen definiert, besteht darin, der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber ehrlich zu sein: zuzugeben, dass Biden das Rennen nicht fortsetzen kann, und ein Verfahren zu schaffen, um jemanden auszuwählen, der fähiger ist, Trump im November zu besiegen. Das ist die beste Lösung, um die Seele der Nation vor Trump zu schützen. Und es ist der beste Dienst, den Biden einem Land erweisen kann, dem er so lange edel gedient hat", unterstreicht die NEW YORK TIMES.
Für die WASHINGTON POST ist dies nicht so eindeutig: "Trotz des Tenors einiger Reaktionen auf die TV-Debatte ist für Biden die Entscheidung nicht einfach, was nun das beste für das Land wäre. Biden hat vor drei Monaten genügend Delegierte gewonnen, um die Nominierung der Demokraten zu gewinnen. Die einzige Möglichkeit für die Demokraten, auf ihrem Parteitag in Chicago in sieben Wochen einen anderen Kandidaten zu nominieren, besteht darin, dass der Präsident sich entscheidet, zurückzutreten. Und das wäre kompliziert. Ein Rückzug Bidens wäre zudem keine Garantie für einen Sieg der Demokraten im November. Panik hat noch nie etwas Gutes gebracht. Biden kann nicht gezwungen werden, etwas zu tun, was er nicht tun will. Was er machen kann, ist das, was viele Amerikaner an diesem Wochenende tun: sich fragen, ob er der Aufgabe gewachsen ist." Das war die WASHINGTON POST.
Zur bevorstehenden Parlamentswahl in Frankreich heißt es im österreichischen STANDARD: "Es sieht ganz danach aus, dass die Partei des liberalen Präsidenten untergeht. Die radikale Rechte von Marine Le Pen dürfte triumphieren, vor einer von der radikalen Linken geführten Plattform. Die Folge wäre nach der Stichwahl zwei Wochen später eine von einem EU-skeptischen Premier geführte Regierung, die den Europakurs von Staatspräsident Emmanuel Macron konterkarieren würde. Das wäre ein Donnerschlag für das gemeinsame Europa. Und auch eine böse Ironie der Geschichte, wenn ausgerechnet das EU-Gründerland, das vor 74 Jahren mit dem Schuman-Plan die Inspiration zur heutigen Gemeinschaft gab, der Auslöser für die schwerste Krise seit Bestehen werden könnte", vermerkt DER STANDARD aus Wien.
Die französische Zeitung LIBERATION betont, Macron habe es nicht geschafft, seine Entscheidung für vorgezogene Neuwahlen überzeugend zu begründen. "Er konnte nicht erklären, warum eine Wahl, die auf eine schwere Niederlage folgt, ihm mehr Handlungsspielraum bieten könnte als eine Wahl im Schwung seiner Wiederwahl. Er hat auf eine endgültige Spaltung der Linken gesetzt; ihr aber durch sein übereiltes Handeln ermöglicht, sich zu vereinen. Er glaubte, dass der Rassemblement National, der bei den Europawahlen von einer Stimmungswahl profitiert hat, in der Wählergunst sinken würde; tatsächlich schickt er sich an, einen neuen Rekord zu erreichen. Macron dachte, dass die Konservativen keine andere Wahl hätten, als sich ihm anzuschließen. Stattdessen stehen die Republikaner vor einer Zerreißprobe", fasst die LIBERATION aus Paris zusammen.