04. Juli 2024
Die internationale Presseschau

Die politische Lage in der USA ist ein Thema, ebenso wie der sogenannte Wolfsgruß. Im Mittelpunkt steht aber die heutige Unterhauswahl in Großbritannien.

04.07.2024
Sir Keir Starmer steht im schwarzen Sakko vor einer pinkfarbenen Wand auf der "change" zu lesen ist.
Sir Keir Starmer (picture alliance / empics / Stefan Rousseau)
Aus Sicht des INDEPENDENT aus London spricht alles für einen Machtwechsel: "Die Argumente für einen Wandel sind einfach zu zwingend, um sie zu ignorieren - und Labour-Chef Keir Starmer und sein Team sind die einzige Alternative. Die konservativen Tories haben ihr Recht zu regieren verwirkt und ihre Macht zu oft missbraucht. Die Labour-Partei, die sich nach dem Debakel der Corbyn-Jahre so mühsam wiederaufgebaut und neu positioniert hat, hat sich das Recht verdient, zu regieren. Zweifellos wird Starmer etwas Ähnliches versprechen wie Cameron im Jahr 2010, nämlich Stärke, Stabilität und eine gute und anständige Regierung. Auch er sollte zu seinem Wort stehen, und er wird sicherlich die parlamentarische Mehrheit haben, um Probleme anzugehen - die Wiederherstellung der öffentlichen Dienste, das Wachstum der Wirtschaft, die Stärkung der Verteidigung des Vereinigten Königreichs", unterstreicht der britische INDEPENDENT.
Der DAILY TELEGRAPH aus London gibt eine andere Wahlempfehlung: "Da die Labour-Partei die Ausgaben für Sozialprogramme und Sozialleistungen nicht kürzen wird und versprochen hat, keine weiteren Kredite aufzunehmen, wird sie irgendwoher Geld benötigen. Die Mittelschicht, die bereits den Löwenanteil der Einkommenssteuern zahlt, wird die Melkkuh sein, wobei Pensionsfonds und Immobilien die Ziele sind. Nur eine Stimme für die Konservativen kann dieses Schicksal verhindern."
Die regierungsnahe russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA befasst sich mit dem möglichen künftigen Premierminister: "Starmer übernahm 2020 die Führung der Partei, nachdem sie bei den Parlamentswahlen im Dezember 2019 eine vernichtende Niederlage erlitten hatte. Er löste den überzeugten Sozialisten Jeremy Corbyn ab. Tatsächlich war es Corbyns übermäßige Links-Orientierung, gepaart mit Labours vager Position zum Brexit, der zum Fiasko der Labour-Partei bei den Wahlen 2019 beitrug. Unter Starmers Führung rückte die Partei deutlich in die Mitte des politischen Spektrums. Nun vertritt sie nach Ansicht ihres Vorsitzenden die Interessen sowohl der Wirtschaft als auch der Arbeitnehmer. Im Wahlkampf betonte er, dass Labour nicht länger die 'Partei der Steuern und Ausgaben' sei. Das Wahlprogramm markiert den endgültigen Bruch mit der Corbyn-Ära", urteilt die NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
Die Zeitung ZHONGGUO SHIBAO aus Taiwan findet: "Der größte Unterschied der Unterhaus-Wahl zur vorherigen besteht darin, dass kaum ein Politiker noch den Brexit thematisiert. Das bedeutet keinesfalls, dass der EU-Austritt besonders erfolgreich gewesen wäre. Vielmehr will bloß niemand in das politische Minenfeld treten. Jedem Verantwortlichen dürfte klar sein, dass der Brexit mit Schuld ist an der Misere des Landes. Selbst wenn die Labour-Partei die Konservativen besiegt, wird sie die Probleme nicht lösen können. Denn die steigende Arbeitslosigkeit und Zuwanderung, die niedrigen Investitionen, die schwache Währung und Konjunktur werden zum großen Teil vom Brexit verursacht", notiert ZHONGGUO SHIBAO aus Taipeh.
In der staatlichen Zeitung THE NATIONAL aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ist zu lesen: "Ein Sieg der Labour-Partei bietet die Möglichkeit, Großbritannien in einer Zeit des raschen globalen Wandels zu erneuern. Als die Konservativen 2010 an die Macht kamen, war Großbritannien noch in der EU, eine Präsidentschaft von Donald Trump unvorstellbar und es fanden direkte Gespräche zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde statt. All das hat sich geändert. In solch herausfordernden Zeiten ist es leicht, sich ablenken zu lassen. Aber es ist immer wichtig, die Beziehungen aufrechtzuerhalten", heißt es in der Zeitung THE NATIONAL aus Abu Dhabi.
Die Zeitung THE SCOTSMAN aus Edinburgh nimmt Änderungen des Wahlrechts in den Blick: "Die Vorschrift, dass sich die Wähler in den Wahllokalen mit einem Lichtbildausweis ausweisen müssen, wurde mit dem Wahlgesetz 2022 eingeführt. Nach Angaben der Organisation Electoral Reform Society können jedoch mehr als eine Million Menschen im Vereinigten Königreich keinen akzeptablen Lichtbildausweis vorweisen und werden daher nicht wählen können. Demokratische Regierungen sollten das Wahlrecht der Menschen garantieren und nicht Hindernisse in den Weg legen. Wenn Tausenden oder, Gott bewahre, Hunderttausenden von Menschen das Wahlrecht verweigert wird, muss eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung darin bestehen, dafür zu sorgen, dass sich ein solcher Skandal nie wiederholen kann", mahnt die schottische Zeitung THE SCOTSMAN.
In den USA feiern die Menschen heute den Nationalfeiertag. Die israelische Zeitung JERUSALEM POST kommentiert: "Da Amerika heute seinen 248. Geburtstag feiert, muss es in sich gehen und überlegen, wohin es geht und was es tun kann, um das Pendel wieder in die Mitte und weg von den Extremen zu lenken. In einer Rede, die er nach seinem enttäuschenden Auftritt bei der Debatte auf einer Kundgebung in North Carolina hielt, sagte Präsident Biden, dass er vielleicht nicht mehr so geschmeidig spreche und nicht mehr so sicher laufe wie früher, aber dass er Recht von Unrecht unterscheiden könne. Das war immer die Stärke Amerikas - ein guter moralischer Kompass, der wusste, was richtig und was falsch ist. Doch dieser Kompass scheint in diesen Tagen weniger klar zu sein", bemerkt die JERUSALEM POST.
Der TRINIDAD EXPRESS aus Port of Spain widmet sich dem Auftritt Bidens im TV-Duell: "Der kognitive Verfall des Führers der mächtigsten Nation der Welt sollte alle beunruhigen, nicht nur die Amerikaner. Nach den Regeln der Partei kann er jedoch nicht rechtlich als Kandidat der Demokraten für die bevorstehende Wahl am 5. November abgesetzt werden. Er muss freiwillig zurücktreten, und bisher scheint der innere Kreis von Biden das abzulehnen. Was dies für den Rest der Welt bedeutet, wird sich in den nächsten fünf Monaten zeigen."
Auch die italienische Zeitung LA STAMPA betont: "Die Tragödie von Joe Biden besteht darin, dass nur er allein den Schritt zurück machen kann, den er nicht machen will, den die Umstände aber diktieren. Wenn er das nicht tut, wird er das Präsidentschaftsrennen in ein langes Warten auf ein Ergebnis verwandeln, das von vornherein festzustehen scheint. Natürlich haben immer die Wähler das letzte Wort. Aber kein politischer Führer, weder in Amerika noch anderswo, kann davon ausgehen, Wahlen zu gewinnen, wenn er nicht den Enthusiasmus seiner Partei, die Überzeugung seiner politischen Freunde und Verbündeten, den Kredit der Medien und das Geld der Spender hat", ist LA STAMPA aus Rom überzeugt.
Zum Abschluss geht es noch um den türkischen Fußball-Nationalspieler Demiral, der nach dem Sieg im EM-Achtelfinalspiel gegen Österreich den sogenannten Wolfsgruß gezeigt hatte. Die Onlinezeitung T24 aus Istanbul erläutert: "Die Symbolisierung des Wolfs durch eine Handgeste ist sehr neu und wird in der Türkei von einer politischen Partei verwendet. Demiral sollte niemanden hinters Licht führen. Auch Fußballspieler können eine politische Meinung haben und diese auch zum Ausdruck bringen. Aber wenn es um die Nationalmannschaft geht, müssen sie verantwortungsvoller handeln. Und das hat Demiral nicht getan."
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz meint: "Verwundern kann der Eklat nicht. Der türkische Fußball hat sich oft genug als ein chauvinistisches Vehikel präsentiert. Die UEFA hat ein Verfahren eröffnet. Formal sind politische Äußerungen seitens der Sportler und Offiziellen im Stadion untersagt. Insofern wären alle Möglichkeiten vorhanden, Demiral mit Sanktionen zu belegen. Die Botschaft, wonach Rechtsextreme im Fußball nichts zu suchen haben, kann nicht deutlich genug formuliert werden."