06. Juli 2024
Die internationale Presseschau

Mit weiteren Stimmen zur Parlamentswahl in Großbritannien. Zudem ist die Stichwahl um das Präsidentenamt im Iran ein Thema. Doch zunächst geht es um die Russland-Reise von Ungarns Ministerpräsident Orban.

06.07.2024
Der ungarische Ministerpräsident und der russische Präsident Putin sitzen sich im Kreml gegenüber und unterhalten sich.
Einige ausländische Zeitungen kommentieren das Treffen von Ungarns Ministerpräsident Orban mit Kreml-Chef Putin in Moskau. (AFP / VIVIEN CHER BENKO)
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA bemerkt, nach Kiew sei Moskau nun die zweite Station von Orbans selbsternannter Friedensmission: "Er bestreitet nicht, dass er als Regierungschef dorthin reist, der die EU-Präsidentschaft innehat – es handelt sich also nicht einfach um ein bilaterales Treffen der Führungen Russlands und Ungarns. Orban argumentiert, es müsse jemand reden, um die Möglichkeiten zur Beendigung dieses Krieges auszuloten. Er begießt all das mit einer pazifistischen Soße und stellt sich selbst als den einzigen Führer in der EU dar, der das Blutvergießen stoppen will. Andere trügen nur zur Tragödie bei, indem sie Waffen in die Ukraine schickten und Präsident Wolodymyr Selenskyj bedingungslos unterstützten. Ungarn dagegen schlägt vor: Stoppen wir die Waffenlieferungen und lassen wir die Kriegsparteien zu einer Einigung kommen. Er erwähnt nicht, dass sich in diesen Gesprächen definitiv die stärkere Seite durchsetzen würde", notiert die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA aus Rom urteilt, Orban habe Europa zur Geisel genommen und "in den Kreml geschleppt, um einem blutrünstigen Diktator wie Wladimir Putin zu huldigen. Auf niederträchtige Weise bot er ihm einen Waffenstillstand an, den er nicht anbieten konnte und den Putin prompt ablehnte. Orban hat Europa im Namen eines 'Friedens' ein Bein gestellt. Dies wird den Krieg in der Ukraine um keinen einzigen Tag verkürzen. Im Gegenteil: Er riskiert, ihn zu verlängern, indem er illusorische Botschaften über die Uneinigkeit des Westens sendet."
Auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz findet, der ungarische Ministerpräsident sei kein "ehrlicher Friedensmakler, sondern ein Mann mit guten Beziehungen zu Moskau und wenig Empathie für den Freiheitskampf der Ukrainer. Aber das wussten von der Leyen, Michel, Borrell und Co. schon lange vor Beginn der Budapester Ratspräsidentschaft. Sicher, man kann enttäuscht sein, dass dieses Ehrenamt nicht den versöhnenden Effekt auf Orban hat, den sich viele erhofft hatten. Der Ratsvorsitz ist idealerweise darauf ausgerichtet, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen zu vermitteln und nationale Interessen zurückzustecken."
Die regierungsnahe ungarische Zeitung MAGYAR NEMZET aus Budapest vertritt die Ansicht, Orban habe sich dazu entschlossen, etwas "für den Frieden zu tun und nicht nur über den Krieg zu reden, wie das so viele seiner Amtskollegen in Europa tun. Die überwiegende Mehrheit der EU-Mitgliedsländer ist entweder an der Fortdauer des Krieges interessiert, oder es ist für sie bequemer, der Herde zu folgen, anstatt etwas zu tun. Viktor Orban ist hingegen die einzige politische Führungspersönlichkeit in Europa, die ihre Aufgabe ernst nimmt."
Die österreichische Zeitung DER STANDARD aus Wien fragt: "Nimmt Orban den EU-Ratsvorsitz seines Landes ernst? Und will er bei seiner Amtsführung von den anderen EU-Mitgliedern ernst genommen werden? Bereits in der ersten Woche zeigt sich: Die Antwort lautet zweimal Nein."
Themenwechsel. In Großbritannien hat der neue Premierminister Starmer von der Labour-Partei die Amtsgeschäfte übernommen. Die türkische Zeitung SABAH untersucht die Gründe für die Niederlage der Torries bei der Parlamentswahl: "Die häufigen Führungswechsel der Konservativen Partei in den letzten Jahren, ihre wiederholten Misserfolge und die in allen politischen Analysen hervorgehobenen 'Lebenshaltungskosten, die Verschlechterung des Gesundheitssystems, das Wohnungsproblem und die Einwanderungsfrage' spielten dabei eine wichtige Rolle. Dies ebnete auch den Weg für den rechtsextremen Nigel Farage, der bei den sieben vorangegangenen Wahlen nicht als Abgeordneter gewählt worden war, zu einem ernst zu nehmenden politischen Akteur zu werden. Der Sieg von Labour hängt jedoch mit dem britischen Wahlsystem zusammen. Tatsächlich konnte die Labour-Partei ihren Stimmenanteil nur um zwei Prozentpunkte steigern", konstatiert SABAH aus Istanbul.
Die belgische Zeitung DE STANDAARD aus Brüssel analysiert: "Es war nicht politischer Enthusiasmus, der Labour zur Allmacht verhalf, sondern Abscheu, Wut und Frustration über das Treiben und Getöse der Tories. Ein Teil der Wählerschaft entschied sich für den Rechtsruck und für die Xenophobie von Nigel Farage. Aber es waren die Tories selbst, die mit dem Brexit, Boris Johnson und Liz Truss den Populismus in all seinen Dimensionen instrumentalisiert hatten. So sahen viele Wähler keinen anderen Ausweg, als in die brave Mitte zurückzukehren, in die Keir Starmer die Labour-Partei manövriert hat. Anständig, dienstbar, gemäßigt, fleißig, auf Sicherheit bedacht, und ohne Abenteuer mit dem Haushalt oder den Steuern", resümiert DE STANDAARD
Die in China der kommunistischen Partei nahestehende Zeitung JIEFANG RIBAO hebt hervor, Großbritannien sei politisch nach links gedriftet. "Dennoch ist die Labour-Regierung alleine kein Garant gegen den Rechtspopulismus in dem Königreich. Die 'Reform UK' hat immerhin 13 Sitze im Parlament errungen. Sie werden auf die Fehler der Regierung lauern, um die Stimmung im Land nach rechts zu lenken. Eine Analyse des Erfolgs der Labour-Partei könnte auch lehrreich sein für manche anderen europäischen Regierungen", meint JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
Die dänische Zeitung JYLLANDS POSTEN aus Århus erwartet auch Änderungen Londons in den Beziehungen zur EU, allerdings: "Es wäre leichtsinnig, auf Wunder zu hoffen. Bei der Wahl machte Starmer deutlich, dass er nicht erwartet, dass Großbritannien der EU wieder beitreten wird. Viele seiner Wähler werden von dieser Aussage wahrscheinlich enttäuscht sein, aber Labour hat so viel in das Brexit-Projekt investiert, dass es naiv wäre, sich dramatische Veränderungen in kurzer Zeit vorzustellen."
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN beleuchtet den Stellenwert der Briten in der internationalen Politik. "Durch den Aufstieg der rechten Parteien in Europa und den noch unklaren Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen im Herbst wächst die Verantwortung Großbritanniens, die Werte wie die Demokratie oder die Menschenrechte zu schützen. In dieser Hinsicht ist es klug, dass Keir Starmer verspricht, die Beziehungen zu der Europäischen Union reparieren und die Hilfe für die Ukraine fortsetzen zu wollen. Sollte die neue Labour-Regierung aber die britische Bevölkerung enttäuschen, bleibt die Sorge, dass diese zu den Populisten oder den rechten Kräften wandern könnten", vermutet ASAHI SHIMBUN aus Tokio.
Blicken wir nun noch in den Iran, wo der als moderat geltende Kandidat Masud Peseschkian die Stichwahl um das Präsidentenamt gewonnen hat. Dieser sei kein absoluter Reoformpolitiker, betont die libanesische Zeitung ELAPH aus Beirut: "Es gibt andere Reformer, die rebellischer und eher bereit sind, das Gesicht des Regimes völlig zu ändern und über jene Grenzregionen hinauszugehen, die das religiöse Establishment setzt. Zudem neigt Peseschkian zum Fundamentalismus, wenn auch in Maßen. So war er gegen die Grüne Bewegung des Jahres 2009 und sprach sich auch gegen die Demonstrationen aus, die nach der Ermordung von Mahsa Amini den gesamten Iran erfassten. Zudem hält er die absolute Vormundschaft des Ayatollah für ein unbestreitbares religiöses Recht." So weit die Meinung von ELAPH.
Die iranische Zeitung HAM-MIHAN aus Teheran erwartet: "Die Auswirkungen dieser Wahlen auf die politische Szene im Iran werden sehr weitreichend sein. Es wird Änderungen an allen politischen Fronten geben. Ein sehr schwieriger Weg liegt vor uns, aber es ist ein Weg, den wir gehen müssen, weil es gefährlicher wäre, im bisherigen Zustand zu verharren – ein Zustand, der der Nation keine Perspektive eröffnet. Wir als politische Beobachter sind sehr optimistisch. Hoffnung ist das wichtigste Bedürfnis der heutigen iranischen Gesellschaft. Es muss darauf geachtet werden, dass diese Flamme nicht erlischt", mahnt HAM-MIHAN zum Ende der internationalen Presseschau.