08. Juli 2024
Die internationale Presseschau

Im Mittelpunkt steht die zweite Runde der Parlamentswahl in Frankreich, die das Linksbündnis überraschend gewonnen hat. Außerdem geht es um den Sieg des vergleichsweise moderaten Politikers Peseschkian bei der Präsidentschaftswahl im Iran.

08.07.2024
Eine Frau steht in einer Wahlkabine. Der Vorhang hat die Farben der französischen Flagge.
Die Wählerinnen und Wähler in Frankreich haben sich anders entschieden als erwartet. (AFP / MOHAMMED BADRA)
Die französische Zeitung LIBÉRATION ist erleichtert über den Ausgang der Parlamentswahl: "Die Franzosen haben einmal mehr eine außergewöhnliche politische Reife bewiesen, indem sie mit hoher Beteiligung zur Wahl gegangen sind, um die von der Aufklärung geerbten republikanischen Werte zu verteidigen, auf denen unsere Demokratie beruht. Mit ihrem Nein zu einer rechtsextremen Regierung haben sie die Vorstellung von einem fremdenfeindlichen, verkommenen, nach innen gerichteten Frankreich zurückgewiesen, in dem der Rechtsstaat zweifellos nach und nach ausgehöhlt worden wäre. Die Linke wird zu ihren Werten stehen, aber auch zu ihrem Programm, das mehr Gleichheit und mehr Aufmerksamkeit für soziale Fragen verspricht, das die Schule wieder in den Mittelpunkt stellt, Pflegekräfte belohnt und versucht, auf das Gefühl der Deklassierung zu reagieren, von dem die extreme Rechten lebt", erklärt LIBÉRATION aus Paris.
Der FIGARO, ebenfalls aus Paris, fasst das Ergebnis der Wahl so zusammen: "In einem Frankreich, das noch nie so weit rechts stand - die Europawahlen und die erste Runde der Parlamentswahlen haben dies hinreichend bewiesen -, muss Emmanuel Macron versuchen, eine Regierung zu bilden, indem er sich nach links wendet. Der Präsident kann sich freuen, dass er sein Duell mit Marine Le Pen ein drittes Mal gewonnen hat. Auch wenn er Dutzende von Abgeordneten verliert, hielt sein Lager deutlich besser stand als erwartet. Doch dieser Sieg für einen Abend kann nicht über das sich abzeichnende Chaos hinwegtäuschen. Die Klärung, die er herbeisehnte, stürzt Frankreich wahrscheinlich für lange Zeit in die größte Verwirrung. Seine Entscheidung für eine Neuwahl, die aus einer narzisstischen Verletzung entstanden ist, bleibt eine reine Dummheit", urteilt LE FIGARO.
Der Kommentator der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN sieht Frankreich vor Problemen: "Zwar konnte eine absolute Mehrheit der Rechtsextremen verhindert werden, aber nun ist eine Situation entstanden, bei der man nicht weiß, wie eine Regierung gebildet werden kann. Der Plan des rechtsextremen Rassemblement National dürfte nun so aussehen: zuerst den anderen Parteien die Regierung überlassen. Und wenn die Unzufriedenheit der Wähler wächst, bei den 2027 anstehenden Präsidentschaftswahlen einen großen Sieg feiern. Das Worst-Case-Szenario ist also nicht verhindert, sondern nur vertagt worden", warnt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
"Das Erste, was nach der französischen Parlamentswahl zu spüren ist, ist Erleichterung", erklärt die dänische Zeitung POLITIKEN. "Marine Le Pens rechtsextremer Rassemblement National ist weit von dem Wahlresultat entfernt, das er sich vorgenommen hatte. Puh. Nach der Erleichterung meldet sich aber auch Nachdenklichkeit. Denn das Wahlergebnis spiegelt ein zutiefst polarisiertes Frankreich wider. Auf der einen Seite steht der große Wahlgewinner, das Linksbündnis Nouveau Front Populaire, auf der anderen Seite Le Pens Nationalisten, die trotz geringerer Fortschritte als erwartet erheblich zulegten. Der Nationalismus ist in Frankreich noch lange nicht besiegt. Macrons Projekt, Frankreich in der Mitte zu einen, muss nun erneut angegangen werden. Jetzt ist die letzte Chance für Emmanuel Macron, auf ein Frankreich zuzugehen, das ihn größtenteils als Präsidenten der Reichen betrachtet. Hören Sie nun aufmerksam hin, Monsieur le President", verlangt POLITIKEN aus Kopenhagen.
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE blickt auf das schlechte Abschneiden des Lagers von Präsident Macron: "Der zweite Durchgang der Wahlen zur Nationalversammlung endete mit demselben Ergebnis wie der erste und wie die Europawahl vor einem Monat: mit einer Vernichtung der Macronisten. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend. Seit Jahren zeigt eine Umfrage nach der anderen das bis tief in die Mittelschicht greifende Gefühl der wirtschaftlichen und sozialen Deklassierung auf. Macron scheint diese Malaise nicht berührt zu haben: weder politisch noch menschlich. Seine sprunghafte Politik stößt vielen Franzosen bitter auf als Spielerei privilegierter Pariser Insider. Fortan muss er sein Land mit einer Regierung führen, die er nicht handverlesen hat. Große Europa-Reden sind von diesem Präsidenten nicht mehr zu erwarten", glaubt DIE PRESSE aus Wien.
Die polnische RZECZPOSPOLITA schreibt: "Noch kurz vor der Wahl hatte Macron erklärt, dass Frankreich von zwei extremen Lagern bedroht werde: von links und von rechts. Er stellte damit Mélenchon und Le Pen auf eine Stufe. Jetzt wird er zugeben müssen, dass der Linken-Chef Mélenchon weniger gefährlich ist. Allerdings wird der Anführer der Neuen Volksfront einen hohen Preis für die Zusammenarbeit mit dem Elysée-Palast verlangen. Dabei handelt es sich in erster Linie um eine Rücknahme einer Reihe von Macrons Reformen, angefangen bei der Regulierung des Arbeitsmarktes und der Renten. Das ist ein schwerer Schlag für den Präsidenten, der als großer Heiler des Landes in die Geschichte eingehen wollte", stellt die RZECZPOSPOLITA aus Warschau fest.
Die algerische Zeitung L'EXPRESSION bemerkt: "Der Rassemblement National, der alles getan hat, um sich als Partei des bürgerlichen Lagers zu präsentieren, wurde von einer beispiellosen Mobilisierung der französischen Wählerschaft gestoppt. Sie hat sich der Bedrohung durch Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Hass auf den Islam entgegengestellt. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass der Anstieg des politischen Extremismus in vielen europäischen Ländern, auch in Deutschland, zu beobachten ist. Auch wenn die Gefahr heute gebannt scheint, gibt es weiter dunkle Wolken am Horizont", betont LEXPRESSION aus Algier.
Thema in der niederländischen VOLKSKRANT ist der Erfolg des vergleichsweise moderaten Kandidaten Peseschkian bei der Präsidentschaftswahl im Iran: "Über allem, was man zur Präsidentschaft von Massud Peseschkian sagen kann, hängt ein großer Schatten: der von Religionsführer Chamenei. Er bestimmt seit 1989 die großen und manchmal selbst die kleinen politischen Linien in Teheran. Das wird auch künftig nicht anders sein. Peseschkian hat angedeutet, dass er die Beziehungen zum Westen verbessern will, doch angesichts der Verwicklung des Iran in den Gaza-Krieg geht es dem Regime vor allem darum, Israel zu schaden. Peseschkian hat auch gesagt, er wolle das internationale Atomabkommen mit dem Westen wiederbeleben, aber das ist so, als würde man ein fast schon totes Pferd reiten wollen", heißt es in DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO überlegt: "Auch wenn die Sicherheits- und Außenpolitik Irans traditionsgemäß vom Obersten Führer kontrolliert sind, könnte Präsident Peseschkian auch als die 'Nummer zwei' in wirtschaftlichen Fragen einiges erreichen und die Gesellschaft liberalisieren. Er kann eine Entspannung mit dem Westen ansteuern, was der Wirtschaft des Irans zugutekommen würde. Einfach wird das allerdings nicht. Solange die USA ihre Sanktionen gegen das Land nicht lockern, werden sich die hohe Inflation und die Schwäche der iranischen Währung weiter negativ auf die Wirtschaftslage auswirken", hebt JIEFANG RIBAO aus Shanghai hervor.
Die britische FINANCIAL TIMES führt aus: "Es ist fraglich, ob Peseschkian in der Lage sein wird, in einer für die Republik kritischen Phase einen ernsthaften Wandel herbeizuführen. Dennoch kann die Präsidentschaft den Ton und das Vorgehen der Regierung beeinflussen. Allerdings ist Peseschkian dem Regime gegenüber sehr loyal und hat seinen Gehorsam gegenüber dem geistlichen Führer Chamenei deutlich gemacht. Doch sollte es ihm gelingen, einen gewissen Wandel herbeizuführen, könnte er den Iranern eine Atempause verschaffen und damit beginnen, die Spannungen im In- und Ausland abzubauen."