09. Juli 2024
Die internationale Presseschau

Themen sind der Besuch des ungarischen Regierungschefs Orban in Moskau und Peking sowie der NATO-Gipfel, der heute in Washington beginnt. Doch zunächst zur Parlamentswahl in Frankreich.

09.07.2024
Auf dem Platz der Republik feiern zahlreiche Menschen und schwenken farbenfrohe Fahnen.
Tausende feiern auf dem Platz der Republik in Paris den Sieg des Linksbündnisses "Nouveau Front Populaire" bei der Parlamentswahl in Frankreich 2024. (picture alliance / Zumapress / Julien Mattia)
Die rechtsnationale Partei Rassemblement National ist entgegen vorheriger Prognosen nicht stärkste Kraft geworden. Dazu schreibt die NEW YORK TIMES: "Das ist ein wirklich erstaunliches Ergebnis. Mit einem überwältigenden Akt kollektiven Verantwortungsbewusstseins konnte die extreme Rechte gestoppt werden. Aber in Frankreich ist die Welt nicht plötzlich wieder in Ordnung. Keine Gruppe hat mehr als ein Drittel der Sitze gewonnen, und das bedeutet Ungemach. Die Rechte hat zwar einen Dämpfer bekommen, aber sie ist stärker als je zuvor. Neben der Erleichterung ist das wahre Resultat dieser Wahl politischer Stillstand. Es ist unklar, wie es weitergeht", notiert die NEW YORK TIMES.
LE FIGARO aus Paris hebt hervor: "Für die Partei des Präsidenten geht es nur noch ums Überleben. Das Linksbündnis hat ein imposantes Programm geschrieben, eine Art ideologischen Erguss, fernab von Realität und gesundem Menschenverstand, ein Gebilde aus imaginären Milliarden. Und der Erfolg des Rassemblement National darf nicht vergessen werden. Die Partei von Marine Le Pen in Schach zu halten und auf ihre Schwächen hinzuweisen, wird nicht dazu führen, dass sie verschwindet. Die Probleme bleiben: Die Einwanderung ist weiterhin die große Baustelle der Linken und der Mitte. Der wirtschaftliche Abstieg trifft die Menschen in den kleinsten Details des Alltagslebens. Die Schulden, die uns hinter der nächsten Ecke erwarten, werden totgeschwiegen. Niemand hat gewonnen, Frankreich hat verloren", konstatiert die französische Tageszeitung LE FIGARO.
Dass es in der Nationalversammlung nun drei große Blöcke gebe, sei ein Problem, befindet DER STANDARD aus Wien und führt aus: "Niemand dominiert, sie sind einander spinnefeind, das linke Lager wegen Mélenchon auch intern gespalten. Dieser lehnt – wie auch Le Pen – die bisherige Politik der Liberalen und des Präsidenten total ab. Macron wiederum ist nun in seiner gestalterischen Rolle nicht nur in Frankreich, sondern auch auf EU-Ebene beschädigt bzw. deutlich eingeschränkt. Das Wahlergebnis schafft Neuland: Statt klarer Mehrheiten und Konfrontation von rechts und links im Parlament sind Kompromisse gefragt", unterstreicht DER STANDARD aus Österreich.
Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT aus Amsterdam kommt zu folgender Einschätzung: "Das Schlimmste wurde zwar verhindert, doch das politische Herz Europas wurde weiter geschwächt. Frankreich läuft Gefahr, ähnlich wie Deutschland von einer schwachen, zänkischen Koalition regiert zu werden."
Die taiwanische Zeitung LIANHE RIBAO aus Taipeh vermerkt: "In Frankreich konnte sich das Linksbündnis zwar gegen Marine Le Pen behaupten. Zu den Linken gehört aber auch Jean-Luc Mélenchon, der Russland ebenfalls nahe steht und sich zudem weigert, die Menschenrechtsproblematik in Xinjiang anzuerkennen. Zudem betrachtet er Taiwan als Teil Chinas. Diese jüngsten Entwicklungen könnten der EU noch große Probleme bereiten."
Nun zur selbst ernannten "Friedensmission" des ungarischen Ministerpräsidenten Orban. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG erklärt: "Orban reiste die letzten Tage nach Kiew, Moskau und Peking, angeblich mit dem Ziel, Frieden in der Ukraine zu fördern. Was man von diesen Reisen halten muss, hat Moskau am Montag auf seine Art und Weise demonstriert: Russland sandte einen Marschflugkörper auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew. Orban hat seine Reise mit niemandem in der EU abgestimmt, obschon sein Land seit Anfang Juli den Vorsitz der EU innehat. Er tut so, als müsse er sich auf Friedensmission begeben, weil der Rest Europas deren Dringlichkeit nicht begriffen habe. Doch Orbans Friedenswille ist nicht glaubwürdig, solange er sich mit keinem Wort gegen den Aggressor in diesem Krieg stellt. Der Angreifer heißt Moskau, doch aus Moskau kommen auch das günstige Erdgas für die ungarischen Haushalte und Unternehmen und die Technologie für ein neues Atomkraftwerk. Dafür drängt Orban Kiew zur Kapitulation, was genau den Kriegszielen Putins entspricht. Er geriert sich als Putins Lakai, der dafür reichlich belohnt wird", kritisiert die NZZ aus der Schweiz.
Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT hält fest: "Orban ist nach seinem Besuch in China zum NATO-Gipfel in die USA weitergereist. Dort wird er sich wohl mit Donald Trump treffen, dem ehemaligen und höchstwahrscheinlich künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Orban gelang es schon früher, mit Trump zusammenzuarbeiten. Sollte dieser in ein paar Monaten die Präsidentschaftswahl gewinnen, könnte Orban im Friedensprozess zu einem entscheidenden Faktor werden; auch wenn der ungarische Regierungschef bei seiner Friedensinitiative nicht die Europäische Union vertritt, deren derzeitigen Vorsitz Ungarn hat. Viktor Orban spricht nur im Namen Ungarns", betont MÜSAVAT aus Baku.
Die chinesische staatsnahe Zeitung HUANQIU SHIBAO stellt heraus: "Auch wenn es unterschiedliche Auffassungen über Orbáns Pendeldiplomatie gibt, so sind seine Bemühungen um einen Waffenstillstand und einen Dialog zwischen der Ukraine und Russland eine lobenswerte Initiative, die positive Energien freisetzen kann. Von der Öffentlichkeit wurde der Staatsbesuch als unangekündigt und plötzlich wahrgenommen. Dabei ist Orban bereits seit Jahren um eine vertiefte Kooperation zwischen Budapest und Peking bemüht. Dies hat dazu geführt, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern so gut sind wie noch nie in ihrer bisherigen Geschichte. Orbán dürfte mit seiner pragmatischen Haltung diesen Besuch genutzt haben, um mehr Raum für den Dialog und die Kommunikation zwischen beiden Seiten zu schaffen." Das war die Ansicht von HUANQIU SHIBAO aus Peking.
Nun zum NATO-Gipfel, der heute in Washington beginnt. Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER führt aus: "Mehrere NATO-Mitgliedsländer nähern sich dem Zwei-Prozent-Ziel für Militärausgaben. Und während Russland Kinderkrankenhäuser bombardiert und sich bei den Diktatoren in China, dem Iran und Kuba einschmeichelt, knüpfen die Verbündeten der NATO wie Japan, Südkorea und Australien engere Bindungen. Die NATO - wie der gesamte Westen - hat heute vor allem eine Aufgabe: zusammenzuhalten. Die russischen Verluste in der Ukraine sind enorm. Gegen die ausdauernde Unterstützung der NATO für die Ukraine wird Putin nicht ankommen - und den Krieg nicht gewinnen", ist DAGENS NYHETER aus Stockholm überzeugt.
Die RZECZPOSPOLITA aus Warschau erinnert: "Im vergangenen Jahr, anlässlich des NATO-Gipfels in Vilnius, machte Präsident Selenskyj keinen Hehl aus seiner Empörung darüber, dass es keine klare Perspektive für eine Mitgliedschaft seines Landes in der Allianz gab. Jetzt scheint er zu wissen, dass er mit dem, was ihm als Gegenleistung versprochen wird, zufrieden sein sollte – strukturiertere Hilfe für sein in Schwierigkeiten geratenes Land und ein neuer optimistischer Weg in Richtung Mitgliedschaft. Weder die Situation an der Front ist für ihn günstig, noch die politische Unsicherheit in den USA und in mehreren europäischen Ländern", bemerkt die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA.
Die norwegische Zeitung VERDENS GANG nimmt die Diskussion um die Eignung des US-Präsidenten für eine zweite Amtszeit in den Blick: "Alles, was Biden auf dem NATO-Gipfel sagt und tut, wird hinterfragt und analysiert. Ist er mental und körperlich fit für vier weitere Jahre als Präsident? Diese Frage überschattet alles seit Bidens katastrophalem Auftritt in der TV-Debatte gegen Trump. Es scheint, als ob Biden und sein engster Kreis die Realität verleugnen. Der amtierende US-Präsident glaubt immer noch, dass er der Einzige sei, der Trump besiegen und die amerikanische Demokratie retten könne. Das wirkt wie Wunschdenken."