12. Juli 2024
Die internationale Presseschau

Viele ausländische Zeitungen ziehen eine Bilanz des NATO-Gipfels. Daneben geht es um den Auftritt von US-Präsident Biden in Washington und die Regierungsbildung in Frankreich.

12.07.2024
US-Präsident Joe Biden spricht auf einer Pressekonferenz am letzten Tag des NATO-Gipfels in Washington. Er zeigt mit der rechten Hand ins Publikum.
Der Auftritt von US-Präsident Biden beim NATO-Gipfel in Washington ist ein Thema in den ausländischen Zeitungen. (Jacquelyn Martin / AP / dpa / Jacquelyn Martin)
Die tschechische Zeitung LIDOVE NOVINY aus Prag bemerkt zur Gipfel- Abschlusserklärung: "Der Pfad der Ukraine zur NATO-Mitgliedschaft sei 'unumkehrbar', heißt es darin. Die Frage ist also nicht ob, sondern wann. Es ist wichtig, dass die Ukrainer, sowohl die Soldaten als auch die Zivilisten, ihren Kampfgeist aufrechterhalten können. Und dafür brauchen sie diese Beitrittsperspektive. Doch man kann die Sache auch so sehen: Wie wird das in der Praxis ausgelegt? Genauso flexibel wie Artikel 5 des Washingtoner Vertrags? Tatsächlich hat die NATO in der Vergangenheit zwar befeindete Staaten aufgenommen - Griechenland und die Türkei im Jahr 1952 -, niemals aber solche, die nicht über die volle Kontrolle über ihr Territorium verfügen wie Zypern und die Ukraine. Das ist allgemein bekannt, nur sagt man es nicht laut", vermerkt LIDOVE NOVINY.
Dieses Treffen werde als Gipfel der kriegerischen Eskalation in Erinnerung bleiben, resümiert die portugiesische Zeitung CORREIO DA MANHA: "Die Verschärfung der militärischen Rhetorik liegt derzeit im Interesse der USA, und zwar aus wahltaktischen Gründen, und auch im Interesse Russlands, weil man die Ukraine von der Atlantischen Allianz fernhalten kann, solange die Waffen sprechen. Die Ereignisse des Gipfels, die dort gehaltenen Reden und die wichtigsten Beschlüsse - wie etwa die Stationierung von Raketen in Deutschland - zwingen uns zu einer Auseinandersetzung mit dem, was bis vor Kurzem noch ein unmögliches Hirngespinst zu sein schien: das Gespenst einer nuklearen Apokalypse, die dringend verhindert werden muss", urteilt CORREIO DA MANHÃ aus Lissabon.
Die Kreml-nahe russische Zeitung ISWESTIJA äußert sich zur Ankündigung der USA, ab 2026 in Deutschland Tomahawk-Marschflugkörper und andere Waffen mit hoher Reichweite zu stationieren: "Das Weiße Haus verhehlt nicht, dass eigentliches Ziel dieses Konzepts eine Abschreckung auf dem europäischen Kontinent ist. Washington sagt, dass es auf diese Weise auf die wachsende Sorge der osteuropäischen Staaten reagiert. Der 'Tomahawk' kann von Deutschland aus nicht nur Moskau erreichen, der Radius dieser Rakete reicht nach Osten über die russische Hauptstadt hinaus. Einige Politiker haben schon reagiert und ihre Befürchtungen geäußert. Die meisten sagen, dass die Umsetzung dieser Pläne zu einer verschärften Konfrontation führt, zu Spannungen und zu einem neuen Rüstungswettlauf", schreibt ISWESTIJA aus Moskau.
Für die türkische Zeitung EVRENSEL macht dieser Schritt "Deutschland wieder zum größten Stützpunkt und Unterstützer der USA. Während des Kalten Krieges hatten die Vereinigten Staaten auch in Deutschland atomar bestückbare Langstreckenraketen stationiert. Hunderttausende protestierten dagegen. Vermutlich war Kanzler Scholz damals unter den Demonstranten. Heute ist er der wichtigste Befürworter der Stationierung der Tomahawk, einer moderneren Version der Langstreckenraketen, die er in den 1980er Jahren noch abgelehnt hatte. Wir brauchen eine neue Friedensbewegung, nicht nur in Europa", verlangt EVRENSEL aus Istanbul.
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN aus Tokio erwartet einen Wechsel in der Außenpolitik der USA. In einem Gastkommentar heißt es, die Vereingten Staaten "werden irgendwann für den indo-pazifischen Raum, wo China aufmarschiert, mehr Ressourcen und Interessen investieren müssen, auch wenn dafür die Sicherheit in Europa geopfert würde. Die europäischen NATO-Mitgliedsstaaten könnten dann den Platz der USA teilweise einnehmen. Es ist in der Tat auch die einzige vernünftige Lösung, dass Europa mehr Verantwortung übernimmt."
Themenwechsel. Die australische Zeitung SYDNEY MORNING HERALD bewertet den Auftritt von US-Präsident Biden zum Abschluss des NATO-Gipfels: "Seine Performance wird zwar nicht ausreichen, aber sie war auch nicht das Desaster, das viele angesichts der ersten Präsidentschaftsdebatte im letzten Monat befürchtet hatten. Im Laufe von fast einer Stunde beantwortete Biden die Fragen der Reporter, gab eine Reihe wackeliger Antworten und bezeichnete Kamala Harris als 'Vizepräsidentin Trump'. Aber Biden demonstrierte auch, dass er die Außenpolitik beherrscht. Er nutzte sein Alter, um seine Erfahrung hervorzuheben, und ließ keinen Hinweis darauf erkennen, dass er erwägt, aus der Wahl 2024 auszusteigen", bilanziert der SYDNEY MORNING HERALD.
Ähnlich äußert sich die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA: "Abgesehen von dem einen oder anderen offensichtlichen Fauxpas und dem nicht gerade besten Redestil schnitt er deutlich besser ab als in der Debatte mit Trump. Andererseits war die Leistung alles andere als perfekt. Unmittelbar nach der Pressekonferenz gab es weitere Stimmen aus der Partei der Demokraten, die Biden zum Rückzug aufforderten. Dies ist ein Signal dafür, dass Biden noch schwierige Tage bevorstehen. Viele fragen sich, ob er genug getan hat, um den Chor der Kritiker zum Schweigen zu bringen", hält die GAZETA WYBORCZA aus Warschau fest.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz dagegen findet: "Joe Biden schafft es nicht mehr. Seine Auftritte bei der NATO wirken forciert oder unfreiwillig komisch. Dieser Präsident ist nicht fähig für eine zweite Amtszeit. Er gehört in den wohlverdienten Ruhestand. Eine frische Kandidatur stellt für die Demokraten in dieser dunklen Stunde der Parteigeschichte eine wirkliche Chance dar. Von jetzt an, bis zum und mit dem Parteitag in Chicago, könnten sie die amerikanische Aufmerksamkeitsökonomie beherrschen. Am Fernsehen und online würden engagierte und jüngere Demokraten debattieren, wer von ihnen Trump besiegen kann", vermutet die NZZ.
Die US-amerikanische Zeitung NEW YORK TIMES findet, die Demokraten führten zu Recht ihre eigene "Debatte darüber, ob Biden der richtige ist, um im Wahlkampf von seiner Partei nominiert zu werden, angesichts weit verbreiteter Wählerbedenken hinsichtlich seiner altersbedingten Eignung. Diese Debatte ist deshalb so intensiv, weil die berechtigte Sorge besteht, dass Trump eine Gefahr darstellen könnte, für das Land, dessen Stärke, Sicherheit und nationale Identität. Es ist eine nationale Tragödie, dass die Republikaner es versäumt haben, eine ähnliche Debatte über die offensichtliche Untauglichkeit ihres Spitzenkandidaten zu führen. Diese Aufgabe fällt nun dem amerikanischen Volk zu", argumentiert die NEW YORK TIMES.
Die französische Zeitung LES DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE geht auf die Regierungsbildung nach den Parlamentswahlen ein: "Es wäre gegenüber den europäischen Partnern gut, wenn Frankreich eine technische, provisorische Regierung aus der Linken, der Mitte oder der Rechten bilden würde. Mit einem Wunsch: dass der Präsident und der künftige Regierungschef mit einer Stimme sprechen. Europa wartet nicht. Und diejenigen, die davon träumen, es zu schwächen, spielen ihre Partitur. Man hört, dass Frankreich eine Regierung braucht, damit die Olympischen Spiele gut ablaufen. Man braucht auch eine Regierung in Frankreich, um Europa nicht zu schwächen. Und diese Herausforderung ist unbestreitbar viel größer", unterstreicht die in Straßburg erscheinende Zeitung LES DERNIERES NOUVELLES DALSACE.
Die taiwanesische Zeitung TAIPEI TIMES beobachtet: "Anstatt zu akzeptieren, dass niemand gewonnen hat, scheinen Politiker zu glauben, dass jeder gewonnen hat - insbesondere diejenigen, die die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027 im Auge haben. Deshalb sagen Mitte-Rechts-Politiker jetzt auch, dass sie eine Chance auf eine Regierungsbildung verdienen. Macron seinerseits versucht, Zeit zu gewinnen, indem er eine Koalition proeuropäischer Kräfte fordert, um die Extreme in Schach zu halten. Je länger sich dieses Chaos hinzieht, desto größer ist das Risiko eines Vertrauensverlustes in die Demokratie - alles gute Nachrichten für Le Pen, die auf ihre Zeit wartet und die eindeutig die Politikerin bleibt, die es 2027 zu schlagen gilt", lesen wir in der TAIPEI TIMES zum Ende der Presseschau.