22. Juli 2024
Die internationale Presseschau

Vielfach kommentiert wird die Ankündigung von US-Präsident Biden, auf eine erneute Kandidatur bei der Wahl im November zu verzichten.

Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA, hält eine Rede während einer Wahlkampfveranstaltung mit US-Präsident Biden.
US-Vizepräsidentin Harris will nach dem Rückzug von Präsident Biden als Kandidatin der Demokraten nachrücken. (Stephanie Scarbrough/AP/dpa)
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG begrüßt die Entscheidung und bemerkt: "Wären Biden und seine Entourage früher zu der Erkenntnis gekommen, dass er zu geschwächt ist, um nochmals gegen Donald Trump anzutreten, es hätte ihm die Schmach erspart und den Demokraten einige Nerven gespart. Und die Vorwahlen, in denen 14 Millionen Demokraten für Joe Biden gestimmt haben, wären nicht zur Makulatur verkommen."
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA zeigt sich von Bidens Rückzug überrascht: "Diese Entscheidung war keineswegs selbstverständlich. Biden ist ein politischer Krieger aus Fleisch und Blut. Und er gehört zu jenen Politikern, die nicht in den Ruhestand gehen, weil die Politik ihre ganze Welt ist. Leute wie er geben nicht auf. Was ist also in den vergangenen Wochen passiert? Möglicherweise ist Biden nun doch klar geworden, dass seine körperliche Kraft nicht für vier weitere Jahre im Amt ausreicht", überlegt die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
"Biden hat getan, was Trump niemals tun wird: Er hat das nationale Interesse über seinen eigenen Stolz und Ehrgeiz gestellt", lobt die NEW YORK TIMES: "Bidens Rückzug gibt den Demokraten nun die Gelegenheit, das öffentliche Interesse neu auszurichten - weg von Fragen zur Tauglichkeit des Präsidenten hin zu der ganz offensichtlich moralischen und gemütsmäßigen Untauglichkeit Donald Trumps."
"Die Amerikaner haben Biden viel zu verdanken", schreibt der BOSTON GLOBE - ebenfalls aus den USA - und führt aus: "Künftige Generationen werden sich an einen Präsidenten erinnern, der nach den turbulenten Jahren der Trump-Regierung den Anstand ins Weiße Haus zurückbrachte, der die Demokratie daheim und in Übersee verteidigte. Der eine parteiübergreifende Gesetzgebung zur Infrastruktur zuwege brachte und der die größte Anstrengung unter allen bisherigen amerikanischen Präsidenten unternahm, den Klimawandel anzugehen. Dieses Vermächtnis, das er in nicht einmal vier Jahren erreichte, lässt viele Präsidenten mit zwei Amtszeiten blass aussehen", bilanziert der BOSTON GLOBE.
Die kanadische Zeitung NATIONAL POST beobachtet: "Leute, die vor zwei Tagen noch über Joe Biden lästerten, singen nun ein Loblied auf ihn. Am Samstag war der US-Präsident ein alternder, tattriger, egoistischer Mann, ein eigensinniger 81-Jähriger, der sein Ego über die Interessen des Landes stellte. Heute ist er plötzlich ein Held - ein selbstloser Patriot, ein feiner und edler Mann, der sein Leben der Arbeit für andere gewidmet hat und nun erhobenen Hauptes von der Bildfläche verschwinden kann. Es wird noch lange dauern, bis die Geschichte ein faires und unparteiisches Urteil darüber fällen kann, welches dieser beiden widersprüchlichen Porträts über Joe Biden zutreffender ist", glaubt die in Toronto erscheinende NATIONAL POST.
Die schwedische Zeitung EXPRESSEN hält fest: "Hätte Biden sich an seiner Kandidatur festgeklammert, wäre es im ganzen Wahlkampf nur um seine mögliche Demenz und sein unausweichliches Altern gegangen. Es ist legitim, dass die Wähler beunruhigt sind, wenn der Anführer der freien Welt verwirrt wirkt und unzusammenhängend murmelt. Jetzt müssen die Demokraten noch vor dem Parteitag im August entscheiden, wer auf Biden folgen soll. Die nächste in der Schlange ist Vizepräsidentin Kamala Harris, und viel deutet darauf hin, dass sie es wird. Ihre Position ist durch Bidens Empfehlung gestärkt, und sie ist zwar kein politischer Fixstern, aber eindeutig die bessere Wahl", notiert die Zeitung EXPRESSEN aus Stockholm.
Ähnlich argumentiert die belgische Zeitung DE TIJD: "Harris ist die beste Chance für die Demokraten, noch aus der Misere herauszukommen, in die sie sich selbst gebracht haben. Jemanden aus der zweiten Reihe zu nominieren, der weniger Erfahrung und hochwertige Referenzen hat als Harris, würde noch mehr Zeit vergeuden und dürfte ein noch größeres Risiko darstellen. Harris gilt zudem als gute Debattiererin. Eine Fähigkeit, die jetzt, da die Schwäche, die mit Bidens Alter zusammenhängt, vom Tisch ist, von großem Nutzen sein wird. Harris kann nun das tun, was Biden nicht schaffte: die Bilanz seiner Präsidentschaft hervorzuheben", findet DE TIJD aus Brüssel.
In der Zeitung EL ECONOMISTA aus Mexiko-Stadt ist zu lesen: "Unmittelbar nach Bekanntwerden der Ankündigung Bidens reagierten die Umfragen, und zwar zugunsten von Harris. Es ist also durchaus möglich, dass die Demokraten den Vorsprung von Trump wieder aufholen können. Zumal sich auch Ex-Präsident Obama und die Elite der Demokraten für Harris ausgesprochen haben."
DE TELEGRAAF aus Amsterdam kommt zu einer anderen Bewertung: "Donald Trump und sein Wahlkampfteam werden hoffen, dass tatsächlich Vizepräsidentin Kamala Harris als neue Präsidentschaftskandidatin aufgestellt wird. Sie wirkt auf das konservative Amerika wie ein rotes Tuch auf einen Stier und wird viele Anhänger der Republikaner mobilisieren zur Wahl zu gehen."
"Ob die amtierende Vizepräsidentin ihre Partei zum Sieg führen kann, ist fraglich", meint auch LIANHE BAO aus Taiwan: "Sie ist eine schwache Kandidatin und unter anderem wegen der misslungenen Migrationspolitik vorbelastet. Für die Demokraten, die mit dem Rücken an der Wand stehen, ist sie dennoch die letzte und die einzige Chance."
Die chinesische Zeitung XINJING BAO aus Shanghai notiert: "Mit dem Kandidatenwechsel verschwinden die Probleme nicht. Das Chaos im demokratischen Lager nützt den Republikanern. Seit dem Attentat erhält Trump zudem noch mehr Unterstützung aus den eigenen Reihen."
Die US-amerikanische Zeitung THE WASHINGTON POST betont, Harris sei für die Demokraten nicht die einzige Option: "Zwei demokratische Gouverneure, die 2022 gewählt wurden, könnten eine glänzende Zukunft haben: Wes Moore aus Maryland und Josh Shapiro aus Pennsylvania. Die Demokraten sollten das Verfahren transparent gestalten. Selbst wenn Kamala Harris schnell nominiert werden sollte, wäre es wichtig, dass ihre Kandidatur offiziell auf dem Parteitag im August beschlossen wird. Auch wenn er keine weitere Amtszeit anstrebt, kann Biden seiner Partei im Herbst im Wahlkampf gegen Donald Trump helfen. Seine bei weitem wichtigste Aufgabe ist es jedoch, das Land für seine Nachfolge in die bestmögliche Verfassung zu bringen", heißt es in der WASHINGTON POST.
Hören Sie abschließend zwei Kommentare zum israelischen Vergeltungschlag gegen die Huthi-Miliz im Jemen: Die Zeitung HAARETZ aus Tel Aviv vermerkt: "Nur 36 Stunden, nachdem eine von den Huthis gebaute iranische Drohne Tel Aviv getroffen hatte, schlug Israel mit der hundertfachen Sprengladung zurück. Es gibt auf den ersten Blick nichts Besseres, um die ziemlich angeschlagene nationale Moral zu stärken. Die Tatsache, dass israelische Piloten so weit geflogen sind, um einen Hafen im Jemen zu bombardieren, zeigt aber in Wahrheit, dass die Abschreckung gegen den Iran, die eigentliche Bedrohung Israels, begrenzt ist. Der Jemen bleibt für den Iran eine Abschussrampe, um Israel anzugreifen. Und die Huthi-Milizen haben bereits klar gemacht, dass sie die Angriffe nicht stoppen werden", betont die israelische Zeitung HAARETZ.
Die Zeitung DUVAR aus Istanbul analysiert: "Der israelische Angriff auf die 1.800 Kilometer entfernte Hafenstadt Hodeida im Jemen war vor allem ein Signal an den Iran. Die Botschaft lautete: Wir sind in der Lage, Teheran auf die gleiche Weise zu treffen. Sie richtete sich auch an die arabischen Länder, die ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben oder dies beabsichtigen. Ihnen wurde deutlich gemacht, dass Israel jederzeit gegen gemeinsame Feinde vorgehen kann. Allerdings irrt Israel sich, wenn es glaubt, die Huthis durch Angriffe auf Treibstofftanks, Kraftwerke und zivile Einrichtungen in Hodeida einschüchtern zu können." Sie hörten zum Abschluss der Presseschau einen Kommentarauszug aus der türkischen Zeitung DUVAR.