23. Juli 2024
Die internationale Presseschau

Viele ausländische Zeitungen äußern sich zu den Chancen von Kamala Harris als mögliche Kandidatin der Demokraten im US-Präsidentschaftswahlkampf, nachdem Joe Biden seinen Rückzug erklärt hat.

23.07.2024
USA, Wilmington: Vizepräsidentin Kamala Harris spricht in der Zentrale ihrer Kampagne.
Ein Thema in den Kommentaren: US-Vizepräsidentin Kamala Harris als mögliche Kandidatin der Demokraten bei den Wahlen im November (Archivbild). (Erin Schaff/POOL The New York Times/AP/dpa)
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE erläutert: "Wenn Harris als erste Frau ins Weiße Haus einziehen will, muss es ihr in diesem kurzen Wahlkampf noch gelingen, ihre fachlichen Kompetenzen in den Vordergrund zu rücken. Es wird eine harte Schlacht, die einen hohen Tribut erfordert und persönlich zermürbend, schmerzvoll und belastend sein wird. Eine Schlacht, die schon hartgesottene Profis wie Hillary Clinton oder Neuseelands Ex-Premierministerin Jacinda Ardern in die Knie gezwungen hat. Es ist ein Kampf, der sich lohnt. Denn US-Bürger müssen erst überzeugt werden, dass ihr Land sehr wohl bereit für seine erste Präsidentin ist", meint DIE PRESSE aus Wien.
Auch die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER vermutet, die bisherige Vizepräsidentin dürfte es als Frau im Wahlkampf nicht leicht haben. Harris könnte "mit sexistischen und rassistischen Äußerungen überhäuft oder als reine Quotenfrau bezeichnet werden, die ihre Position ohne eigene Meriten erreicht hat. Manche Vorwürfe wiederholen sich regelmäßig. So wird Frauen, die nach Macht streben, oft eine schrille Stimme nachgesagt. Sind sie erfolgreich in von Männern dominierten Bereichen, werden sie als kalt, berechnend und aggressiv sowie als rücksichtlose Karrieristinnen dargestellt. Auch wird bestimmt darauf verwiesen werden, dass Harris keine eigenen biologischen Kinder hat. Es wird interessant sein zu beobachten, wie einfach es auch 2024 wird, den seit Jahrzehnten üblichen Werkzeugkasten zu aktivieren, um aufmüpfige Frauen in ihre Schranken zu weisen", notiert DAGENS NYHETER aus Stockholm.
Die türkische Zeitung BIRGÜN aus Istanbul erwartet, dass der Kandidat der Republikaner, Trump "einen frauenfeindlichen und rassistischen Diskurs gegenüber Harris führen wird, indem er ihre ethnische Herkunft in Frage stellt. Harris' Mutter ist eine Inderin tamilischer Abstammung. Ihr Vater ist ein schwarzer Jamaikaner. Ihr Mann ist Jude. Das sind Identitätscodes, die rassistische weiße Amerikaner in Rage bringen können. Trotz aller Kritik an ihr sollten alle Progressiven in den USA Harris bei ihrer Kandidatur zur ersten Präsidentin des Landes unterstützen. Um einen historischen Vergleich zu bemühen, könnte man Harris als die 'weibliche Obama' bezeichnen", schlägt BIRGÜN vor.
Harris sei keine ideale Kandidatin, lesen wir in der niederländischen Zeitung DE VOLKSKRANT aus Amsterdam: "Ihre Bewerbung um die Präsidentschaft ist vor fünf Jahren noch vor den Vorwahlen der Demokraten gestrandet. Angesichts von Mitbewerbern wie Bernie Sanders, Gretchen Whitmer, Pete Buttigieg und Joe Biden schien sie keine große Wählerschaft für sich einnehmen zu können. Aber Vorwahlen haben eine andere Dynamik als ein Wahlkampffinale."
Die US-amerikanische Zeitung WALL STREET JOURNAL beobachtet: "Monatelang drehte sich alles um die aufgestaute Nachfrage nach einer Präsidenten-Option, die nicht Biden, Trump oder Kennedy heißt. Die Umfragen haben stets angedeutet, dass der Hunger groß ist nach einer anderen Option, und die riesigen Spendeneinnahmen, die Vizepräsidentin Kamala Harris angekündigt hat, unterstreichen dies. Harris und den Demokraten wird es gewiss nicht an Ressourcen mangeln, wenn sie mit der Vizepräsidentin als neuer Kandidatin auf den November zusteuern. Mit Geld allein gewinnt man keine Wahlen. Die politische Geschichte ist übersät mit unterlegenen Kandidaten, die das beweisen", gibt das WALL STREET JOURNAL aus New York zu bedenken.
Die kremlnahe russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau äußert sich zum weiteren Procedere: "Die Demokratische Partei will ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin auf dem Parteitag in Chicago, der vom 19. bis 22. August stattfinden soll, offiziell benennen. Allerdings liegt es im Interesse der Demokraten, Trump nicht einen Monat Vorsprung zu verschaffen, sondern sich schnellstmöglich auf dessen Gegner zu einigen. Finden nun dringende parteiinterne Wahlen statt oder bestimmt das höchste Gremium der Partei, das Nationalkomitee, den Kandidaten? Auf diese Frage hat bislang niemand eine Antwort gegeben“, notiert die NESAWISSIMAJA GASETA.
Die finnische Zeitung HUFVUDSTADSBLADET spekuliert, es könnte einen "offenen Konvent geben, bei dem rund 4.000 Teilnehmer Kandidaten vorschlagen und anschließend darüber abstimmen können. Möglich ist aber auch, dass die Entscheidung de facto von einem kleinen Kreis hinter verschlossenen Türen gefällt wird. Je mehr Vertreter der Partei-Elite sich für Harris aussprechen, desto geringer werden die Chancen für einen solchen offenen Konvent. Barack und Michelle Obama haben sich hingegen noch nicht geäußert, was als Unterstützung für eine solche Lösung gewertet werden könnte", hebt HUFVUDSTADSBLADET aus Helsinki hervor.
Die kolumbianische Zeitung EL ESPECTADOR aus Bogotá empfiehlt: "Die Demokraten müssen jetzt zeigen, dass sie zügig auf die ungewöhnliche Entwicklung reagieren und die Partei zusammenhalten könnten. Nicht weniger wichtig ist auch, wer der Kandidat für die Vizepräsidentschaft wird. Nachdem der Oberste Gerichtshof in seiner ultrakonservativen Besetzung das generelle Recht auf Abtreibung zurückgenommen hat, ist Harris eine der wichtigsten Figuren für den Kampf um die Rechte der Frauen geworden. Wenn sie nun auch die offizielle Kandidatin wird, hat sie die Chance, ihre eigenen Stärken in den Mittelpunkt zu rücken - und sie könnte verhindern, dass durch Trump die Demokratie im wichtigsten Land der Welt erneut bedroht wird", folgert EL ESPECTADOR.
Ähnlich äußert sich die chinesische Staatszeitung JIEFANG RIBAO: "Die Demokraten sollten nun keine Zeit mit einer unnötigen Debatte über mögliche Kandidaten verlieren, sondern sich möglichst schnell hinter Kamala Harris scharen. Es wird sich dann zeigen müssen, ob ihre offenkundigen Vorteile gegenüber Trump – ihr Alter, ihre Hautfarbe und ihr Geschlecht – ihre ebenso gewichtigen Nachteile ausgleichen und überwiegen können. Vor allem wird bezweifelt, ob sie mit ihrem Auftreten und ihren rhetorischen Fähigkeiten gegenüber dem 'Pitbull' Trump bestehen kann. Bislang war sie eine typische Vizepräsidentin, die blass im Hintergrund stand", argumentiert JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
Nach Einschätzung der arabischsprachigen Zeitung AL QUDS AL-ARABY, die in London erscheint, dürfte die mögliche US-Präsidentin Harris außenpolitisch "mit Blick auf die NATO, die Ukraine, China und den Klimaschutz kaum von Bidens Kurs abweichen. Ebenso dürften sich ihre Optionen in Bezug auf die amerikanisch-israelischen Beziehungen sowie den Krieg im Gazastreifen von ihrem Vorgänger unterscheiden."
Themwenchsel. Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio widmet sich der US-Reise von Israels Premierminister Netanjahu. Dieser werde "am Mittwoch vor den Abgeordneten der beiden US-Parlamentskammer eine Rede halten. Das wäre seine vierte. Nach dem Rückzug von Joe Biden dürfte sich Netanjahu den Republikanern weiter annähern. Sie befürworten Israels Gaza-Politik, anders als die Demokraten. In seiner Rede dürfte Netanjahu auch seine Haltung gegenüber Iran deutlich machen, die Donald Trump teilt. Israels Regierungschef will mit dieser Strategie offenbar verhindern, dass sein Land international isoliert wird."
Die israelische Zeitung HAARETZ hofft, dass US-Präsident Biden "in den verbleibenden Monaten seiner Amtszeit nicht zögern wird, weiterhin im Namen Israels zu handeln: Ein Konzept voranzutreiben, das ein Abkommen zur Beendigung des Krieges und zur Befreiung der Geiseln vorsieht; eine Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien im Rahmen eines Militärbündnisses zu erreichen, dem auch die Vereinigten Staaten angehören, und darauf zu bestehen, dass der israelisch-palästinensische Konflikt an den Verhandlungstisch zurückkehrt, um auf eine Zwei-Staaten-Lösung hinzuarbeiten. Und wir müssen Netanjahu erneut darauf hinweisen: Tun Sie zumindest nichts Böses", mahnt HAARETZ aus Tel Aviv zum Ende der internationalen Presseschau.