27. Juli 2024
Die internationale Presseschau

Im Mittelpunkt der Kommentare steht die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris, die von Sabotageakten auf das französische Eisenbahnnetz überschattet war. Außerdem geht es um den Wahlkampf in den USA, der durch die wahrscheinliche Kandidatur von Vize-Präsidentin Harris neuen Schwung bekommen hat.

Pyrotechnik in den Farben der französischen Nationalflagge - blau, weiß, rot - wird über einer Brücke auf der Seine gezündet.
Die Eröffnungsfeier findet erstmals nicht in einem Stadion statt. (Sina Schuldt / dpa / Sina Schuldt)
"Die Sinne spielten verrückt", titelt die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA und schreibt zur Eröffnung der Olympischen Spiele gestern Abend in Paris: "Es regnete in Strömen, aber das Spektakel war atemberaubend. Jeder konnte sehen, was ihm am Herzen lag und wichtig war. Die Feier musste beeindrucken, denn sie kostete 148 Millionen Euro, hatte über 40.000 Teilnehmer, und über 300.000 Zuschauer saßen auf den Tribünen. Zum ersten Mal in der Geschichte fuhren die Sportler auf Schiffen einen Fluss hinunter. Hinter der visuellen Show verbarg sich eine weniger farbenfrohe – und fragwürdige, angstauslösende – Realität. Die Stadt war lahmgelegt, U-Bahn-Stationen wurden geschlossen, ganze Viertel wurden abgeriegelt. Die Metropole war am Ende wie leergefegt, selbst die Obdachlosen fehlten. Wie üblich wurden sie vor den Spielen entfernt, damit die sensibleren Olympia-Gäste sie nicht sehen mussten", ist in der Warschauer GAZETA WYBORCZA zu lesen.
Die niederländische Zeitung AD aus Rotterdam führt aus: "Die Feier war groß und spektakulär. Paris eröffnete die Olympischen Spiele auf eine Art und Weise, für die die französische Hauptstadt bekannt ist. Mit einer farbenfrohen Bootsparade auf der Seine, begleitet von Weltstars wie Lady Gaga. Auf die Künstler wären selbst die Organisatoren des Super Bowl neidisch."
Paris habe mit seiner Olympischen Eröffnungsfeier Geschichte geschrieben, unterstreicht die chinesische Zeitung XINJING BAO. "Sportler aus aller Welt kamen mit Booten der Seine entlang und empfingen die jubelnden Zuschauer an den Ufern. Die Feier bringt Klassik und Moderne, Tiefsinnigkeit und modische Leichtigkeit, Freude und Nachdenklichkeit, Leidenschaft und Romantik in diesen Stunden zusammen. Sie zeigt die Vielfältigkeit und das Avantgardistische der französischen Kultur. Sie denkt grün und ökologisch. Sogar bei der Anzahl der teilnehmenden Sportlerinnen und Sportler gibt es eine Gleichberechtigung im wahrsten Sinne des Wortes. Vier Disziplinen - Breakdance, Skaten, Freiklettern und Surfen - sind zum ersten Mal dabei. Paris 2024 steht im Zeichen der Offenheit. Es ist Zeit, Streit und Vorurteile zwischen Nationen beiseitezulegen und verschiedene Kulturen kennen und zu schätzen zu lernen", so lautet das Plädoyer von XINJING BAO aus Peking.
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN erinnert: "Im Nazi-Deutschland fand die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele mit einer Inszenierung in einem großen Stadion statt. Die Zeremonie damals hatte die formale Schönheit des NS-Parteitages übernommen und als medienwirksames Event und Propaganda in der Welt gedient. Dieses negative Erbe ist nun von Paris zerschlagen worden. Dass Frankreich, das damals von den Nazis verleumdete Land, die olympische Eröffnungsfeier aus dem Stadion befreit und auf die Seine und in der Stadt veranstaltet hat, ist sowohl historisch als auch politisch innovativ und von großer Bedeutung. Diese kreative Avantgarde von Frankreich dürfte viele Befürworter finden", vermutet ASAHI SHIMBUN aus Tokio.
Die französische Zeitung LES DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE aus Straßburg ist voll des Lobes: "Paris hat sich auf die schönste Art und Weise in Szene gesetzt. Die Zeremonie feierte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und vor allem die Vielfalt eines Landes, das sein Erbe annimmt und sich in die Zukunft wagt, indem es seine Kulturen ohne Komplexe und mit Kühnheit vereint."
In der Pariser Zeitung LIBERATION heißt es: "Zwischen Sabotage von Bahnanlagen am Morgen und Regen am Abend war der Eröffnungstag der Olympischen Spiele chaotisch. Aber er hat mit einer grandiosen Feier entlang der Seine geendet, die jeglichen Rahmen gesprengt hat."
Die estnische Zeitung POSTIMEES schreibt: "Wieder kommen Völker dieser Welt zu den Olympischen Spielen der Neuzeit zusammen, um friedlich und unter Einhaltung der Regeln miteinander zu wetteifern. Aber bis heute haben die Wettkämpfe Europa keinen Frieden gebracht. 2014 gab es Spiele in Sotschi, und direkt danach begann Russland seinen Krieg gegen die Ukraine und annektierte die Krim. Acht Jahre später wurde daraus der größte europäische Krieg seit 1945. Die Olympischen Spiele haben daran nichts ändern können. Diese Beispiele zeigen, dass man nicht allzu große Hoffnungen an die Spiele oder generell an den Sport knüpfen sollte. Ein Friedensprojekt ist es nur für diejenigen, die auch ohne die Spiele für Frieden gewesen wären", bedauert POSTIMEES aus Tallinn.
Das französische Eisenbahnnetz war nach Brandanschlägen gestern schwer gestört. Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA führt aus: "Man konnte es wissen. Die Sicherheit - im eigenen Land und im Zusammenhang mit internationalen Konflikten - wird bei den Olympischen Spielen in Paris im Vordergrund stehen. Die Sabotage des französischen Eisenbahnnetzes, ein leichteres Ziel als die beeindruckende, bestens geschützte Eröffnungsfeier, ist eine Bestätigung dafür. Dies verstärkt die Unzufriedenheit des Durchschnittsfranzosen mit einem Mega-Ereignis, das dem Land großes Prestige bringen sollte, aber jetzt zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem Frankreich in einer politischen Sackgasse steckt wie nie zuvor", merkt LA REPUBBLICA aus Rom an mit Blick auf das Ergebnis der Parlamentswahlen im Juni.
Hören Sie nun Kommentare zum Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT sieht große Herausforderungen für die Vizepräsidentin: "Kamala Harris, die 2019 keine Unterstützung für ihre Präsidentschaftsambitionen erhielt und noch vor den Vorwahlen das Handtuch warf, ist heute die Verkörperung von allem, was Donald Trump nicht ist. Eine farbige, selbstständige Frau, eine Verfechterin der Bürgerrechte, eine Kämpferin gegen sexuellen Missbrauch und Kriminalität. Vor allem in der letztgenannten Rolle steht sie dem verurteilten Ex-Präsidenten diametral gegenüber. Harris wird nach den 'Flitterwochen' ihrer Kandidatur hart arbeiten müssen, um ihre Chancen auf die Präsidentschaft zu wahren. Denn sie wird von vielen Seiten angegriffen werden. Harris ist progressiver als Biden, aber es stellt sich die Frage, ob genügend Amerikaner sich auf sie einlassen werden", gibt DE VOLKSKRANT aus Amsterdam zu bedenken.
Die NEW YORK TIMES betont: "Die Amerikaner verdienen einen Wahlkampf, der die Stärken und Schwächen der Kandidaten auf den Prüfstand stellt, der die Menschen zur Stimmabgabe motiviert, indem er ihnen klar darlegt, wie sich ihre Wahl auf ihr Leben auswirken wird. In den ersten Tagen von Kamala Harris' Kandidatur gibt es vielversprechende Anzeichen. Sie ist mit einer freudigen Zielstrebigkeit in den Wahlkampf eingestiegen und hat die Gelegenheit genutzt, sich neu zu präsentieren", meint THE NEW YORK TIMES.
In der norwegischen Zeitung VERDENS GANG heißt es: "Viele Umfragen der letzten Woche haben Harris einen kleinen Vorsprung vor Trump gegeben, und das ist gut für die Stimmung innerhalb der Demokraten. Aber in der Realität hat das wenig Bedeutung, solange Trump in den wichtigen Swing-States vorne liegt. Insofern ist es geradezu sensationell, dass Harris jetzt in den Bundesstaaten Michigan und Pennsylvania gleichauf mit Trump liegt. Das Rennen um die Swing-States ist wieder offen, und das ist wichtig für die Motivation des Wahlkampfteams der Demokraten und für die Akquise von Spenden", betont VERDENS GANG aus Oslo.
Ähnlicher Meinung ist THE IRISH TIMES aus Dublin: "Um am 5. November zu gewinnen, muss Harris allerdings etwas bieten, was Biden offenkundig nicht konnte: eine Zukunftsvision, die in den Swing States attraktiv ist, ohne dabei die demokratische Basis zu verprellen. Das ist nicht unmöglich, aber es wird ein Maß an politischem Geschick erfordern, das alles übertrifft, was Harris bisher in ihrer Karriere geboten hat".