01. August 2024
Die internationale Presseschau

Im Mittelpunkt der Kommentare steht die gezielte Tötung des Hamas-Führers Hanija in Teheran.

01.08.2024
Ein Mann hält ein Bild in den Händen. Auf dem Foto ist der Anführer der Hamas abgebildet: Ismail Hanija.
Erinnerung an Ismail Hanija: Im Iran gingen Menschen auf die Straße, um des Hamas-Chefs zu gedenken. (picture alliance / Anadolu / Fatemeh Bahrami)
Die Gastkommentatorin der japanischen Zeitung ASAHI SHIMBUN ist überzeugt: "Zu 99 Prozent ist Israel für die Tötung Hanijas ist verantwortlich. Ministerpräsident Netanjahu, dessen Umfragewerte sich im Tiefflug befinden, wollte innenpolitisch punkten. Israel hatte wohl lange nach einer Gelegenheit für die Tat gesucht. Nach der Ausreise Hanijas aus Katar hat Israel dann zugeschlagen. Hanija galt für die Terrororganisation Hamas als Gesicht der Außenpolitik. Für die Hamas dürfte es nun schwierig werden, einen Nachfolger zu finden, der in der Außenpolitik so starken Einfluss ausüben könnte wie Hanija", erwartet ASAHI SHIMBUN aus Tokio.
In der JERUSALEM POST heißt es: "Die Frage, die sich am Samstagabend nach dem Massaker von Majdal Shams mit zwölf toten Kindern und Jugendliche stellte, war nicht, ob Israel reagieren würde, sondern wie und gegen wen. Die Antwort kam wenige Tage später in Form von zwei gezielten Attentaten. Der erste Anschlag galt Fuad Shukr, dem Stabschef der Hisbollah, in den südlichen Vororten von Beirut. Wenige Stunden später wurde der Hamas-Führer Hanija getötet, als eine Rakete in seine Wohnung in Teheran einschlug, in der er schlief. Während Israel die Verantwortung für die Tötung von Shukr übernahm, schwieg es offiziell zur Tötung von Hanija, obwohl der Iran Israel die Schuld gab und Rache schwor. Mit anderen Worten: Mit zwei Schlägen hat Israel - falls es tatsächlich für die Ermordung Hanijas verantwortlich war - die Hisbollah, den Libanon, den Iran und, als zusätzlichen Bonus, die Hamas getroffen", konstatiert die JERUSALEM POST mit einer gewissen Befriedigung.
Israel habe den Iran gedemütigt, meint die österreichische Zeitung DIE PRESSE. "Es ist ein schwerer Schlag für Irans Regime und seine Verbündeten. Das ist für die iranische Führung eine besondere Demütigung. Denn die ganze Welt konnte sehen: Das Regime ist nicht in der Lage, wichtige Gäste in seiner eigenen Hauptstadt zu beschützen. Innenpolitisch verschafft der Doppelschlag dem israelischen Premier, Benjamin Netanjahu, etwas Luft. Er steht derzeit in Israel von allen Seiten unter Druck. Dazu kommt der internationale Druck auf Netanjahu wegen der verheerenden humanitären Lage im Gazastreifen. Und die Wut der Familien der israelischen Geiseln in Gaza, die die Rettung ihrer Angehörigen fordern", erläutert DIE PRESSE aus Wien.
Die iranische Zeitung KHORASANNEWS plädiert für eine deutliche Reaktion auf die Tötung Hanijas in Teheran: "Die Antwort muss koordiniert, hart, schmerzhaft und abschreckend sein und sich auf diplomatische, militärische und sicherheitspolitische Ebenen auswirken. Wahrscheinlich wird der Mord an Hanija die Spannungen im Nahen Osten verschärfen und sogar die US-Präsidentschaftswahlen beeinflussen. Bei den Palästinensern wird die Tötung Hanijas wahrscheinlich die Stellung, das Ansehen und die Legitimität der Hamas sowie den Widerstand stärken. Die Ermordung wird vermutlich Verhandlungen für einen Waffenstillstand zunichte machen. Unter diesen Umständen ist kein Ende des Gaza-Krieges in Sicht", prophezeit die in Teheran herausgegebene Zeitung KHORASANNEWS.
Die Tötung Hanijas werde dem Friedensprozess im Nahen Osten schaden, findet die panarabische Zeitung SHARQ AL-AWSAT: "Hanija wurde ermordet, weil er der bekannteste Anführer der Hamas-Bewegung war. Er gehörte zwar nicht zu den gemäßigten Figuren der Hamas und war auch kein Befürworter eines unbedingten Friedens. Doch er galt als pragmatischer und weniger abenteuerlustig als der Kommandeur der Hamas im Gazastreifen, Sinwar, zu dem er seit Jahren kein gutes Verhältnis hatte. In den Verhandlungen für ein Ende des Gaza-Kriegs versuchte Hanija Druck auf Sinwar auszuüben. Ein Abkommen mit Israel hätte möglicherweise das Blut Tausender Palästinenser retten können. Hanijas Tod spielt den radikalen Kräften in der Hamas ebenso in die Hände wie denen in der Regierung Netanjahu", analysiert die panarabische Zeitung SHARQ AL-AWSAT, die in London herausgegeben wird.
Von einer brandgefährliche Lage spricht die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO: "Der frisch vereidigte iranische Präsident Peseschkian steht unter enormem Handlungszwang. Er wird wohl eine Antwort auf die 'schwere Provokation Israels' geben müssen, auch wenn er keine militärische Auseinandersetzung möchte. Hanijas Tod wird ebenfalls negative Folgen für die Hamas haben. Die Aussicht, dass die Terror-Organisation die Waffen niederlegt und sich zu einer politischen Partei entwickelt, sollte die Zwei-Staaten-Lösung realisiert werden, wird immer unwahrscheinlicher. Die Hamas wird sich sicher an Israel rächen. Der Frieden im Nahen Osten rückt in immer weitere Ferne", glaubt die Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking.
Die israelische Zeitung HAARETZ widmet sich der nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober verschleppten Geiseln: "Es gibt nur einen Ausweg aus dem Schlamassel: einen Waffenstillstand und ein Abkommen. Israel muss ernsthaft handeln, um in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten ein Geiselabkommen voranzutreiben. Ein Vorschlag von US-Präsident Biden verknüpft das Geiselabkommen und die Beendigung des Krieges mit einem Verteidigungspakt und der Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien sowie der Wiederaufnahme von Verhandlungen zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Es ist höchste Zeit für eine Einigung", hebt HAARETZ aus Tel Aviv hervor.
Die kolumbianische Zeitung EL TIEMPO ist der Ansicht: "Die Hamas könnte sich nach dem Tod eines so wichtigen Anführers umso stärker genötigt fühlen, eine endgültige Vereinbarung über die Freilassung der israelischen Geiseln zu schließen. Die Hisbollah ist ungleich stärker als die Hamas und hat ihr Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Zusammen mit ihrer Unterstützermacht Iran zeigt sie ihre Zähne und greift immer wieder an, ohne so weit zu eskalieren, dass ein umso heftigerer Gegenschlag erfolgt. Das ist allerdings ein gefährliches Spiel. Die internationale Gemeinschaft muss jetzt alle Kräfte in Bewegung setzen, um die Beteiligten zur Deeskalation aufzurufen", mahnt EL TIEMPO aus Bogotá.
Die dänische Zeitung POLITIKEN notiert: "Was nun passiert, lässt sich kaum absehen, aber schon länger besteht die Gefahr, dass der Gaza-Krieg auf die gesamte Region übergreift. Doch statt immer nur das Schlimmste zu befürchten, sollte die internationale Gemeinschaft lieber alles tun, um die Ruhe wiederherzustellen. Die Krise hat wieder einmal deutlich gemacht, wie alles im Nahen Osten miteinander zusammenhängt. Der Gaza-Krieg hat weitere schwelende Konflikte eskalieren lassen. Wenn Israel bereit zu einem Vergleich ist, wird es eher Frieden bekommen als durch Krieg und Präzisionsschläge. Noch nie haben Israel, der Iran, die Palästinenser, die Hamas, die Hisbollah und die arabischen Staaten an einem Tisch gesessen. Ist das wirklich unmöglich? Es wäre schändlich, es nicht wenigstens zu versuchen", unterstreicht POLITIKEN aus Kopenhagen.
Hören Sie abschließend einen Kommentar aus der polnischen Zeitung GAZETA WYBORCZA zur gestrigen Gedenkfeier an den Warschauer Aufstand vor 80 Jahren: "Ohne diesen tragischen Aufstand wäre Polen eine andere Nation. Diese Niederlage hat uns Realismus, Besonnenheit und Denken mit Blick auf das Gemeinwohl gelehrt. Der Warschauer Aufstand richtete sich militärisch gegen Hitler, politisch gegen Stalin, und emotional sollte er eine Demonstration gegen die Zustimmung zu Sklaverei und ausländischer Diktatur sein. Er war der letzte, verzweifelte Versuch, die politische Logik umzukehren, die die Polen zu langen Jahren kommunistischer Diktatur und sowjetischer Herrschaft verurteilte. Der Preis für dieses Stück freies Polen waren Hunderttausende Tote, zerstörte Häuser und Schulen. Heute hat Polen offene Grenzen, ein demokratisches Parlament und eine Marktwirtschaft. Es gibt sich damit zufrieden und verflucht gleichzeitig sein Schicksal", notiert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.