02. August 2024
Die internationale Presseschau

Kommentiert wird die Lage in Venezuela nach der Präsidentschaftwahl vom vergangenen Sonntag. Hauptsächlich geht es aber um den Gefangenenaustausch zwischen zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern, darunter Deutschland.

02.08.2024
Russlands Präsident Putin schüttelt einem Mann mit blauer Kappe die Hand.
Russlands Präsident Putin (r.) empfing den freigelassenen sogenannten Tiergartenmörder Vadim Krasikow persönlich. (IMAGO / ITAR-TASS / IMAGO / Mikhail Voskresensky)
Dazu schreibt die britische Zeitung THE TIMES: "Die erste Reaktion sollte Freude darüber sein, dass der Leidensweg von Evan Gershkovich ein Ende gefunden hat. Der Reporter des Wall Street Journal, der 2023 in Russland unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet und vor zwei Wochen zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt wurde, kam im größten Ost-West-Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg frei. Die zweite Reaktion sollte Verachtung sein. Verachtung für eine russische Regierung, die auf zynische Weise westliche Journalisten zu Geiseln macht, um sie gegen Mörder einzutauschen, die im Westen inhaftiert sind, weil sie die schmutzige Arbeit des Kremls verrichten. Und die dritte Reaktion sollte Überraschung darüber sein, dass es der US-Administration in einer Zeit fast beispielloser Spannungen mit Russland gelungen ist, eine deratige Vereinbarung zu erzielen", meint THE TIMES aus London.
Die belgische Zeitung DE STANDAARD führt aus: "Acht Russen, die in europäischen und amerikanischen Gefängnissen saßen, kehren nach Russland zurück. Unter ihnen der Auftragskiller Wadim Krassikow, der in einem Berliner Park einen tschetschenischen Dissidenten ermordet hat. Ein Auftragsmörder für einen Journalisten. Dieser Deal sieht nach Erpressung aus. Russland empfängt Krassikow nun wie einen Helden. Die russischen Regimekritiker, die der Westen befreit hat, sieht der Kreml gerne gehen. Exilanten verschwinden schneller aus den Nachrichten als Märtyrer in russischen Zellen. Aber das macht Russland nicht zum Gewinner dieser Erpressung. Das sind und bleiben jene Länder, denen es vor allem um die Freiheit unschuldiger Bürger geht", unterstreicht DE STANDAARD aus Brüssel.   
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio merkt an: "US-Präsident Biden verkauft den Gefangenenaustausch als große diplomatische Leistung. Ex-Präsident Trump, der behauptet hatte, dass er im Fall seiner Wiederwahl eine sofortige Freilassung des Reporters Gershkovich und der anderen Häftlinge aus den USA ermögliche, wurde nun ein Bein gestellt. Und Russlands Präsident Putin nutzt den Deal als eine Botschaft ins Inland, russlandtreue Menschen würden nicht im Stich gelassen. Das ist ein Gefangenenaustausch, hinter dem viele politische Absichten stehen."
Die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA notiert: "Das Ereignis vom 1. August 2024 wird in die Geschichte eingehen, auch wenn unklar ist, in welcher Art und Weise: entweder als Zeichen der bevorstehenden Versöhnung zwischen Russland und dem Westen oder einfach als Veranschaulichung der unterschiedlichen Wertesysteme, in denen sich die beteiligten Länder bewegen. Was auch immer die langfristigen Folgen des Gefangenenaustauschs sein mögen – klar ist bereits, dass ein Staatsoberhaupt definitiv davon profitiert: der türkische Präsident Erdogan. Er bemühte sich sehr darum, den Ruf seines Landes als Vermittler bei der Lösung wichtiger Weltprobleme zu sichern - und es ist ihm gelungen", stellt die Moskauer NESAWISSIMAJA GASETA fest.
In der türkischen Zeitung STAR ist zu lesen: "Es scheint, dass der türkische Geheimdienst beim Gefangenenaustausch eine entscheidende Rolle gespielt hat. Die Bilder erinnerten an vertraute Szenen aus der Zeit des Kalten Krieges. Nur dass diesmal die Türkei der Ort des Gefangenenaustauschs war. Er konnte nur über die Türkei stattfinden, weil die 26 Gefangenen aus Polen, Norwegen, Slowenien, Belarus, den USA, Deutschland und Russland kamen. Diese Länder hatten ihre Beziehungen zu Russland wegen der Spannungen in der Ukraine völlig eingefroren. Da kam nur die türkische Hauptstadt Ankara in Frage. Alle sind dankbar für die Vermittlung der Türkei. Das Land hat damit seine 'Verhandlungs- und Friedensfähigkeit' unter Beweis gestellt", findet STAR aus Istanbul.
Das WALL STREET JOURNAL aus New York beleuchtet den Anteil Deutschlands am Gefangenenaustausch: "Die US-Amerikaner und die freigelassenen russischen Dissidenten schulden dem deutschen Bundeskanzler einen besonderen Dank. Olaf Scholz setzte sich dem Risiko politischer Kritik im eigenen Land aus, indem er den Spion freiließ, den Putin entsandt hatte, um auf deutschem Boden zu töten."
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG beobachtet: "Deutschland handelte vernünftig. Zunächst einmal sollten sich Demokratien für ihre Bürger einsetzen, wenn sie in Autokratien und Diktaturen unter fadenscheinigen Begründungen zu drakonischen Haftstrafen verurteilt werden. Dass Russland diese Bürger als Faustpfand einsetzt, um russische Schwerkriminelle freizupressen, ist ein zynisches Spiel. Doch bleibt dem Westen kaum etwas anderes übrig, als sich darauf einzulassen. So zeigt er, dass er zu seinen Werten steht. Dass er sich einsetzt für die Opfer von Willkürjustiz." So weit die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz.
"Die Rückkehr zu den Praktiken des Kalten Krieges wirft Probleme auf", heißt es in der spanischen Zeitung ABC aus Madrid: "Erstens verlangen die heutigen demokratischen Gesellschaften ein Höchstmaß an Transparenz und sind nicht bereit, Staatsräson blind zu akzeptieren, ganz gleich wie lobenswert ihre Ziele auch sein mögen. Zweitens ist die bewusste Entscheidung Russlands, Journalisten und politische Dissidenten mit erwiesenen Spionen und Attentätern gleichzusetzen, an sich schon eine Schande. Dieser Austausch verlangt nach Erklärungen."
Nun nach Venezuela. Die venezolanische Zeitung EL NACIONAL hält fest: "Die Oppostionspolitikerin María Corina Machado ist die umbestrittene Anführerin des Kampfs für einen politischen Wandel in Venezuela geworden. Sie genießt ein enormes Maß an Zustimmung und hat damit Nicolás Maduro und sein tyrannisches Regime in Bedrängnis gebracht. Es ist ihr gelungen, den Wahlsieg der Opposition eindeutig nachzuweisen, und sie hat dem Regime angeboten, die Niederlage demokratisch zu akzeptieren und anschließend in einen Dialog über einen friedlichen Übergang zu treten. Als Reaktion darauf gibt es jetzt noch mehr Unterdrückung, Lügen und Gewalt. Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hat gegen Maduro gestimmt, und deshalb besteht der einzige Ausweg darin, dass er seine Macht abgibt. Alles andere wäre eine Missachtung des Willens der Venezolaner", stellt EL NACIONAL aus Caracas klar.
Die dominikanische Zeitung HOY wirft ein: "In Venezuela steht nicht weniger auf dem Spiel als die Demokratie in der gesamten Region. Ein Land, das einst als Vorbild für den demokratischen Wandel galt, ist zum Sinnbild eines neuen Autoritarismus geworden. Hugo Chávez kam seinerzeit bei freien Wahlen an die Macht, aber unter Maduro ist dies längst unpopulär geworden. Das Experiment des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist Venezuela teuer zu stehen gekommen. Ähnlich wie einst Kuba ist Venezuela von einem der prosperierendsten Länder Lateinamerikas zu einem der ärmsten geworden", beobachtet HOY aus Santo Domingo.
Die kolumbianische Zeitung EL ESPECTADOR sieht es so: "Wenn Kolumbiens Präsident Petro als Demokrat anerkannt werden will, kann er sich gegenüber Venezuela nicht länger so doppeldeutig verhalten. Ist Petro ein ideologischer Gegner des venezolanischen Regimes, muss er die internationale Gemeinschaft zum Handeln auffordern, ohne weitere Ausflüchte zu machen. Betrachtet er Venezuelas Präsidenten Maduro als strategischen Verbündeten, macht er sich zum Komplizen einer Diktatur. Es ist verständlich, wenn Petro die Beziehungen zu einem so wichtigen Nachbarland nicht abbrechen will. Aber es muss auch klar sein, dass sich Kolumbien nicht an dem Versuch beteiligt, einen so offensichtlichen Wahlbetrug zu legitimieren." Das war zum Ende der internationalen Presseschau EL ESPECTADOR aus Bogotá.