"Zumindest im Moment hat die unermüdliche Positivität der Harris-Walz-Kampagne Trump und die Republikaner verunsichert. Ihre Bemühungen, Harris als gefährliche Liberale darzustellen, sind bisher gescheitert. Die Republikaner hatten eine Kampagne entwickelt, die darauf abzielte, gegen einen alten Mann anzutreten - jetzt ist Trump der älteste Kandidat. Sie haben versucht, Harris als lachendes Leichtgewicht abzutun; inzwischen ist ihr Lachen Sinnbild für die Begeisterung, die sie in den Wahlkampf gebracht hat. Trump entschied sich für JD Vance als Vize-Kandidat, dessen erste Wochen im Rennen der totale Reinfall waren; Harris wählte Walz, und damit den Inbegriff von Authentizität", schreibt die NEW YORK TIMES aus den USA.
"In den Reihen der US-Demokraten wächst die Hoffnung auf einen erneuten Einzug ins Weiße Haus bei den Wahlen im November", bemerkt die spanische Zeitung LA VANGUARDIA: "Der erste gemeinsame Auftritt von Harris und Walz in Philadelphia, der wichtigsten Stadt des Swing States Pennsylvania, war der Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen in weiteren wahlentscheidenden US-Bundesstaaten. Tatsächlich haben die beiden noch eine Menge Arbeit vor sich, und die Zeit dafür ist knapp. In weniger als drei Monaten wird gewählt, und Harris stand lange im Schatten von US-Präsident Biden, während Walz landesweit betrachtet noch relativ wenig bekannt ist", hält LA VANGUARDIA aus Barcelona fest.
Die chinesische Staatszeitung JIEFANG RIBAO nennt Harris' Entscheidung für Walz klug: "Der ruhige 60-jährige Demokrat, dem man Bürgernähe nachsagt, ist politisch erfahren, hat in seiner sechsjährigen Amtszeit als Gouverneur beachtliche Erfolge vorzuweisen, drängt sich aber nicht gern vor. Spannend bleibt die Frage, wie ihm seine Verbindung zu China ausgelegt wird. Walz hat Ende der 1980er-Jahre in China als Englischlehrer gearbeitet und die Volksrepublik seitdem viele Male besucht: könnte diese Verbindung im Wahlkampf zum Problem werden?" fragt sich JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
Die japanische NIHON KEIZAI SHIMBUN gibt zu bedenken: "Ob die aktuelle euphorische Stimmung bei den Demokraten den Sieg der Republikaner verhindern kann, hängt vor allem von Harris ab. Sie sollte so schnell wie möglich bekannt geben, wie sie die Herausforderungen angehen will, die Joe Biden bislang nicht lösen konnte; etwa Migrationsprobleme oder die hohe Inflation. Das Interesse der Wähler bei diesen Themen ist groß, aber von Harris waren bislang lediglich Slogans wie 'Stärkung der Mittelschicht' zu hören. Wünschenswert wäre auch, dass sie sich zu ihren außenpolitischen Plänen äußert", findet NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Nun nach Nahost. DIE PRESSE aus Österreich kommentiert die Ernennung von Jihia al-Sinwar zum neuen Anführer der Hamas: "Die Hamas hat nicht irgendwen zum Nachfolger ihres getöteten Chefs, Hanijeh, gemacht. Sie hat sich für Sinwar entschieden, einen der Hauptverantwortlichen für den Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober. Bisher war er nur der politische Anführer der Hamas im Gazastreifen. Jetzt steht Sinwar an der Spitze des Politbüros der gesamten Organisation. Sinwar zählt zu den Hardlinern innerhalb der extremistischen Palästinenserorganisation. Dabei ist aber klar: Auch wenn bisher mit Hanijeh und anderen Hamas-Vertretern in Katar über ein Geiselabkommen verhandelt wurde. Das letzte Wort hatte immer schon Sinwar. Er hält sich allem Anschein nach weiterhin im Gazastreifen versteckt. Und er bestimmt deshalb auch, was in dem belagerten Küstengebiet geschieht", unterstreicht DIE PRESSE aus Wien.
Die türkische Zeitung DUVAR ergänzt: "Indirekt wird mit Sinwars Ernennung der Versuch vereitelt, die Hamas zur Anerkennung Israels und der Zweistaatenlösung zu bringen. Seit fast zehn Monaten sucht Israel Sinwar im Gazastreifen. Finden wird es ihn am Verhandlungstisch, wenn auch nicht physisch. Sinwar könnte aber auch einen neuen Vorwand für Netanjahu liefern, den Krieg zugunsten von dessen eigenem politischen Überlebens zu verlängern. Am Ende wird Netanjahu vielleicht einem Waffenstillstand zustimmen müssen. Denn jemand wie Sinwar hat nichts mehr zu verlieren", heißt es in DUVAR aus Istanbul.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ist überzeugt: "Mit Sinwar an der Spitze werden die Verhandlungen über eine Waffenruhe und eine Freilassung der Geiseln noch schwieriger werden. Während die Exilführung um Haniya zu gewissen Kompromissen bereit war, gab sich Sinwar stets unnachgiebig. Lieber stirbt er in seinem Bunker unter Gaza, als die Waffen niederzulegen. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Israel die Frage, wie klug die Tötung Haniyas war. Es bestätigt sich einmal mehr, dass auf einen getöteten Gegner ein noch radikalerer Nachfolger folgt. Die israelische Regierung gibt sich zwar unbeirrt und bekräftigt ihr Ziel, die Hamas komplett zu zerschlagen. Doch ist dies ebenso wenig realistisch wie das Ziel der Hamas, durch Terror einen palästinensischen Staat zu errichten. Letztlich fehlt Israel ebenso wie der Hamas eine langfristige Strategie. Allein mit Gewalt wird es den Konflikt nicht beenden können", betont die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz.
Die JERUSALEM POST aus Israel sieht es anders. Nach Einschätzung des Blattes könnten die Motive des Politbüros eine Einigung auf ein Geiselabkommen sogar beschleunigen: "Es besteht die Möglichkeit, dass die Ernennung Sinwars dazu dienen sollte, die Verhandlungen über das Geiselabkommen voranzutreiben und den Krieg in Gaza zu beenden. Sinwar vertritt dabei eine pragmatischere Linie als sein Vorgänger Hanija, somit wäre ein Hindernis für ein Abkommen aus dem Weg geräumt. Da Sinwar nun gleichzeitig Chef des Politbüros und Anführer im Gazastreifen ist, hätte er noch mehr Handhabe, eine Einigung herbeizuführen. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, würde Sinwar seine Position als Anführer der Hamas festigen. Gleichzeitig könnte er so auch die Position der Hamas als Alternative zur Fatah stärken - mit dem Ziel, die Kontrolle über die Palästinensische Autonomiebehörde und die PLO zu übernehmen." Das war die JERUSALEM POST.
Die schwedische Zeitung AFTONBLADET greift die Äußerung von Israels Finanzminister Smotrich zum Aushungern der Palästinenser im Gazastreifen auf: "Smotrich erklärte kürzlich, es könne moralisch gerechtfertigt sein, zwei Millionen Menschen in Gaza verhungern zu lassen, um die Hamas-Geiseln zurückzubekommen. Das ist wohl nicht allzu verwunderlich. Während die Welt den Atem anhält und einen umfassenden Krieg im Nahen Osten befürchtet, hört Israel nicht auf mit seinen Übergriffen gegen die palästinensische Bevölkerung. 96 Prozent der Menschen in Gaza leiden an Hunger. Wasserwerke werden gesprengt. Krankheiten grassieren, Kinder sterben im Bombenhagel - und Vertreter der israelischen Regierung halten das für moralisch gerechtfertigt", kritisiert AFTONBLADET aus Stockholm.
Die dänische Zeitung JYLLANDS-POSTEN befasst sich mit den Vorwürfen gegen die UNO-Behörde für palästinensische Flüchtlinge UNRWA: "Mehrere Mitarbeiter UNRWA waren nachweislich direkt an dem Angriff auf Israel am 7. Oktober beteiligt. Eigentlich soll die UNRWA sich um alle kümmern, die zwischen 1946 und 1948 ihre Existenzgrundlage verloren. Aber inzwischen geht es überwiegend um deren Nachkommen, und viele Menschen sind abhängig von der Hilfe der UNRWA. Es ist daher auszuschließen, dass die Organisation in einer Art Symbiose mit den Menschen lebt, die sie zu betreuen hat. Aber es sollte Anlass zum Nachdenken geben, wenn sich in den Reihen einer vorgeblich humanitären Organisation Menschen befinden, die nicht nur mit der Hamas sympathisieren, sondern auch zu brutalen Angriffen bereit sind. Das widerspricht dem Mythos, Israel unterminiere die UNRWA, der ja inzwischen auch in Europa weit verbreitet ist", notiert JYLLANDS-POSTEN aus Århus, und damit endet die Internationale Presseschau.