08. Oktober 2024
Die internationale Presseschau

Heute steht noch einmal die Lage im Nahen Osten am ersten Jahrestag des Überfalls der militant-islamistischen Hamas auf Israel im Mittelpunkt. Einige Zeitungen kommentieren aber auch den Rückzug von SPD-Generalsekretär Kühnert. Zuerst aber nach Israel.

Der israelische Staatspräsident Isaac Herzog (2.v.r) trifft Angehörige der Opfer des Hamas-Anschlags auf das Nova-Festival, als er an einer Gedenkfeier zum Jahrestag des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 teilnimmt.
Der Jahrestag des Hamas-Massakers ist erneut Thema in der Auslandspresse. (dpa / Koby Gideon)
"Wie gedenkt man eines Geschehens, das noch nicht abgeschlossen ist?", fragt sich die JERUSALEM POST in ihrem Leitartikel. "Wie kann man den Familien der Geiseln und den Überlebenden des 7. Oktober in die Augen sehen, wenn man weiß, dass man nicht einmal ansatzweise begreifen kann, was sie durchgemacht haben und bis heute durchmachen? Ein Teil der Fassungslosigkeit ist auch darin begründet, dass es keine klare Exit-Strategie gibt - zumindest nicht jetzt, wo das israelische Militär nach Norden vorgedrungen ist und mit einer Bodenoffensive im Südlibanon begonnen hat", gibt die JERUSALEM POST zu bedenken und schließt: "Die israelische Gesellschaft bleibt stark, stolz und vereint gegen ihre Feinde."
Die israelische Zeitung HAARETZ überlegt, welche Perspektiven es geben könnte. "Israel muss sich in Zusammenarbeit mit seinen Verbündeten für eine alternative palästinensische Regierung in Gaza einsetzen - und zwar in Form der palästinensischen Autonomiebehörde. Das ist die Voraussetzung für eine multinationale Truppe und internationale Hilfe für den Gazastreifen. Ebenso muss Israel Abstand von der Idee einer Militärregierung in Gaza nehmen, ganz gleich ob eine dauerhafte oder eine vorübergehende. Denn dieses 'vorübergehend' ist immer ein fruchtbarer Boden für jüdische Siedler, ihre Pläne an Ort und Stelle umzusetzen und Israel dauerhaft in etwas hineinzuziehen", urteilt HAARETZ aus Tel Aviv.
EL ESPECTADOR aus Kolumbien verweist darauf, dass Israel seine Kriegsziele - die Zerstörung der Hamas und die Rückkehr der Geiseln - nicht erreicht habe. "Gleichzeitig sind rund 60 Prozent der Infrastruktur im Gazastreifen zerstört, und der Konflikt hat sich auf den Libanon, auf den Jemen und auf den Iran ausgedehnt. Dem brutalen Anschlag der Hamas fielen rund 1.200 Menschen zum Opfer. Die Behörden im Gazastreifen berichten von 42.000 Toten durch die israelischen Angriffe. Israel hat das legitime Recht auf Selbstverteidigung, aber dafür gibt es Auflagen wie die Angemessenheit der Reaktion", betont EL ESPECTADOR aus Bogotá.
"Israel muss sich einer wachsenden Feindseligkeit der Gesellschaften auf der ganzen Welt stellen", hebt die polnische GAZETA WYBORCZA aus Warschau hervor. "Obwohl es immer noch die Unterstützung der USA genießt, bleibt es in seinem Kampf ums Überleben zunehmend allein. Ganz gleich, welche stichhaltigen Argumente Israel anführt, es ist für den Tod von Kindern verantwortlich. Andererseits rekrutiert die Hamas weiterhin neue Terroristen. Und es ist kein Problem, sie zu rekrutieren – für nachfolgende Generationen von Männern, die im Gazastreifen aufwachsen, ist die Teilnahme am Krieg der einzige Lebensweg."
Die panarabische Zeitung SHARQ AL-AWSAT aus London kommentiert, derzeit sei zwar weder in Gaza noch im Libanon eine politische Lösung des Konflikts in Sicht. "Und doch muss es ein Jahr nach dem Hamas-Überfall darum gehen, drohende weitere Katastrophen zu verhindern - darunter die Gefahr eines Bürgerkriegs im Libanon, die mögliche Vertreibung von Millionen Menschen aus dem Gazastreifen und dessen Besatzung durch Israel."
LIANHE ZAOBAO aus Singapur überlegt, wie die israelische Reaktion auf den jüngsten Raketenangriff des Iran ausfallen könnte. "Es bleibt abzuwarten, ob Israel eher auf US-Präsident Biden hören wird, der davor warnt, die iranischen Atomanalagen anzugreifen - oder doch auf Donald Trump, der Ministerpräsident Netanjahu zu diesem Schritt ermutigt hat. Schon 2007 hat Israel in Syrien eine mutmaßliche Atomanlage zerstört, aber diesmal wären die Folgen unabsehbar. So könnte der Iran als Reaktion den Persischen Golf blockieren und dadurch den Welthandel lahmlegen", vermutet LIANHE ZAOBAO.
LE FIGARO aus Paris geht darauf ein, dass der französische Staatspräsident Macron kurz vor dem Jahrestag des Hamas-Massakers den Stopp internationaler Waffenlieferungen an Israel gefordert hat. "Der Zeitpunkt war, gelinde gesagt, äußerst ungünstig gewählt. Die Erklärung erweckt den Eindruck, dass der französische Präsident dem jüdischen Staat die Mittel vorenthalten will, sich gegen die offensichtlichen Angriffe zu verteidigen, denen er seit einem Jahr ausgesetzt ist. Schlimmer noch, sie erweckt den Eindruck, dass Frankreich sich im Nahen Osten im Gegner täuscht. Es war nicht Israel, das am 7. Oktober 2023 den Gazastreifen angriff; es war die Hamas, die ein schreckliches Massaker verübte", unterstreicht LE FIGARO aus Frankreich.
Die Zeitung SYDSVENSKAN aus Malmö lenkt den Blick nach Schweden. "Viele schwedische Juden verstecken ihre jüdische Identität. Es hat sich zudem Enttäuschung darüber breitgemacht, dass selbst Bewegungen aus Bereichen wie Klimaschutz, Antirassismus, Feminismus und Queer-Aktivismus Antisemitismus in ihren Reihen dulden. Das Gefühl hat zugenommen, dass es an der Bereitschaft fehlt, die jüdische Minderheit zu schützen. Dass sich eine uralte gut integrierte Minderheit fühlt, als werde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen, ist eine Schande", steht für die schwedische Zeitung SYDSVENSKAN fest.
Nun nach Deutschland und zum Rücktritt des SPD-Generalsekretärs. "Kevin Kühnert will nicht mehr, er kann nicht mehr", heißt es in der KLEINEN ZEITUNG aus Graz. "Als stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender kümmerte er sich mit 26 Jahren um die Steuerpolitik, Rentenpolitik, Strukturpolitik, Rechtsextremismus und Migrationspolitik. Daneben verantwortete er den Social-Media-Auftritt der Jugendorganisation. Mit Kühnerts Abgang geht der politische Aderlass bei den Parteien der Ampelregierung weiter. Vor zwei Wochen hatte der grüne Bundesvorstand nach den Wahlen in Brandenburg geschlossen den Hut genommen. Als einen 'der klügsten und schlagfertigsten Politiker, die ich kennenlernen durfte', würdigte die scheidende Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang nun Kühnert. Es sind versöhnliche Worte zum Abschied, die Kühnert während seiner politischen Karriere nie suchte - weder von Parteigegnern noch Parteifreunden", schreibt die KLEINE ZEITUNG aus Österreich.
"Knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl muss sich die deutsche Kanzlerpartei einen neuen Organisator für den Wahlkampf suchen", stellt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG fest und blickt zurück auf Kühnerts Verhältnis zu Bundeskanzler Scholz. "Bis zuletzt zeigte sich der eloquente und streitbare 35-Jährige dem Regierungschef gegenüber loyaler als erwartet. Dass Kanzler und Generalsekretär relativ geräuschlos zusammenarbeiten würden, war zunächst alles andere als sicher. Mit Kühnert rückte jemand an die Spitze der Parteiorganisation, der 2019 geholfen hatte, Scholz als Parteichef zu verhindern. Er machte sich damals für das Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans stark", merkt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG an.
DER STANDARD aus Wien fährt fort: "Kühnert versuchte im Herbst 2019 auch den Ausstieg der SPD aus der damaligen großen Koalition unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel zu erreichen. 'An Nikolaus ist GroKo-Aus', lautete das Motto. Doch der Bruch blieb aus."
Hören Sie zum Abschluss die Meinung des TAGES-ANZEIGERS aus Zürich. "Wer nach konkreten Gründen für den schlagartigen Ausstieg sucht - in der Partei sprach man von 'psychischen Problemen' - kann natürlich anführen, dass der Druck auf Kühnert zuletzt enorm war. In Umfragen steht die Kanzlerpartei auf Platz 3 hinter der AfD. Die SPD müsse wieder 'Visionen' haben und 'die Zukunft im Herzen tragen', verlangte Kühnert 2019, als er sich für den Vorstand der Partei bewarb. Er wurde gewählt, weil viele ihm gerade das zutrauten. Doch an Visionen ließ er es fehlen", urteilt der TAGES-ANZEIGER, der aber dennoch hervorhebt: "Kühnerts Abgang ist für die SPD in jedem Fall ein großer Verlust."