Dazu schreibt die türkische Zeitung STAR: "Während die ganze Welt über die Wiederwahl von Donald Trump spricht, hat der amtierende US-Präsident Biden Fakten geschaffen. Er hat der Ukraine erlaubt, US-Langstreckenraketen gegen militärische Ziele tief in Russland einzusetzen. Diese Entscheidung ist ein Zeichen für einen grundlegenden Wandel in der amerikanischen Politik. Der russische Präsident Putin hatte angekündigt, eine solche Entscheidung als Kriegserklärung zu werten. Das heißt, die Messer werden gewetzt oder die Raketen in Stellung gebracht. Auch wenn die Demokraten in der Zeit bis zur Machtübernahme der Republikaner nicht viel ausrichten können, sind sie entschlossen, Putin zu provozieren", beobachtet STAR aus Istanbul.
"Bidens Entscheidung ist ein bahnbrechender diplomatischer Triumph der Ukraine", findet der britische TELEGRAPH: "Der ukrainische Einsatz von ATACMS-Raketen wird dem Land in seiner immer schwächer werdenden Frontstellung unmittelbare Vorteile bringen. Dies könnte Putin davon abhalten, im kommenden Jahr weitere Truppen aus Nordkorea zu rekrutieren. Kurz vor Trumps Amtsantritt stellen sich die USA endlich voll und ganz hinter die Sache des ukrainischen Sieges. Es ist ein vielversprechender Schwenk, der für die Ukraine aber auch zu wenig und zu spät sein könnte", befürchtet der TELEGRAPH, der in London erscheint.
Die US-Zeitung WALL STREET JOURNAL hält fest: "Was das Weiße Haus nicht sagt, ist, dass Biden versucht, die Lage der Ukraine zu verbessern, bevor er aus dem Amt scheidet. Biden würde die Ukraine gerne stärken, indem er die gesamte Munition liefert, die der Kongress in seinem jüngsten Hilfspaket bewilligt hat. Die Tragödie ist aber, dass Biden die Ukraine bei der Lieferung und Verwendung hoch entwickelter Waffen so lange gelähmt hat. Der designierte US-Präsident Trump verspricht, dass er versuchen wird, den Krieg schnell zu beenden, auch wenn es noch lange nicht sicher ist, wie er das machen will. Die Freigabe für die Langstreckenraketen und die Militärhilfe insgesamt könnten eine Lösung voranbringen, wenn sie die Ukraine in eine stärkere Verhandlungsposition versetzen", ist das WALL STREET JOURNAL überzeugt.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG beleuchtet, was sich unter dem künftigen US-Präsidenten Trump für die Ukraine verändern könnte: "Trump gibt sich überzeugt, einen Kompromiss aushandeln zu können, der die Waffen dauerhaft zum Schweigen bringt. Trumps Friedensplan liegt noch nicht im Detail vor, aber die Umrisse sind erkennbar. Die Ukraine müsste auf die besetzten Gebiete verzichten, ebenso auf eine Aufnahme unter den Schutzschirm der NATO. Westliche Waffen würden weiter an die Rumpf-Ukraine geliefert, finanziert allerdings durch die Europäer. Es ist aber schwer vorstellbar, dass sich Russlands Diktator auf einen echten Frieden einlässt. Er braucht das Schreckgespenst des bösen Westens, um seine Herrschaft zu legitimieren. Wie man es dreht und wendet: Der realistischste Weg zum Frieden führt über eine Erhöhung der Militärhilfe an die Ukraine – mit dem Ziel, Russland die Aussichtslosigkeit des Kriegskurses vor Augen zu führen", meint die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
In einem Gastkommentar im österreichischen STANDARD aus Wien heißt es: "Für einen nachhaltigen Frieden sind aufgrund der historischen Erfahrung insbesondere Sicherheitsgarantien für die Ukraine unverzichtbar. Solange ein ersehnter, aber auch nachhaltiger und rechtskonformer Frieden nicht gesichert ist, wird westliche Hilfe daher für die Ukraine essenziell bleiben."
Zum nächsten Thema. Bundeskanzler Scholz hat mit dem russischen Präsidenten Putin über den Krieg in der Ukraine gesprochen. Die finnische Zeitung ILTA-SANOMAT fasst zusammen: "Zum ersten Mal seit Jahren hat Scholz mit Putin telefoniert und ihn gedrängt, den Krieg zu beenden und die russischen Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Als Reaktion darauf verschärfte Russland am Wochenende die Raketenangriffe auf ukrainische Städte und Energieanlagen. Vielleicht hätten diese verheerenden Schläge auch ohne den Anruf stattgefunden, aber so wirkte es, als habe Putin dem deutschen Kanzler den Mittelfinger gezeigt. Es ist verständlich, dass Scholz wegen der Neuwahlen innenpolitisch unter Druck steht und sich als Friedensstifter präsentieren will. Aber die Show ist ihm gründlich misslungen, denn das Telefonat hinterlässt eher den Eindruck einer peinlichen Anbiederung an Putin", stellt ILTA-SANOMAT aus Helsinki fest.
"Das Scholz-Telefonat mit Putin ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit", titelt das luxemburgische TAGEBLATT und führt weiter aus: "Offensichtlich vermochte keiner der europäischen Staats- und Regierungschefs den deutschen Kanzler von seinem Vorhaben abzubringen. Sofern es einer von ihnen versucht haben sollte. In seiner Selbstüberschätzung mag Scholz noch davon überzeugt sein, die Bundestagswahlen für seine Partei im Februar zu gewinnen. Mit diesem Problem müssen sich die deutschen Sozialdemokraten herumschlagen. Wenn Scholz aber glaubt, er könne Putin, der seit Monaten und Jahren Hunderttausende seiner Soldaten in den sicheren Tod schickt, um Respekt für Russland einzufordern, zu Verhandlungen bewegen, dann zeugt das von einer Realitätsferne, die sich Europa derzeit nicht leisten kann", moniert das TAGEBLATT aus Esch-sur-Alzette.
Die belgische Zeitung DE TIJD blickt auf die Reaktionen aus Kiew: "Nach Ansicht der Ukraine war das Gespräch eine Legitimierung der russischen Kriegsmaschinerie. Es sei der Anschein entstanden, dass damit der Weg für erzwungene Friedensverhandlungen geebnet werde. Scholz habe mit seinem Anruf bei Putin die 'Büchse der Pandora' geöffnet, sagte der ukrainische Präsident Selenskyj. Er bekam dafür Beifall von Polens Ministerpräsident Tusk, der erklärte, Putin habe kein Interesse an diplomatischen Überlegungen. Irgendwie fühlt man sich erinnert an die Wochen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, als eine Reihe von europäischen Staats- und Regierungschefs nach einem Besuch bei Putin meinte, dass es keinen Krieg geben werde", erinnert DE TIJD aus Brüssel.
Die polnische RZECZPOSPOLITA bezeichnet die Rückkehr der Telefonanrufe an Putin als "besorgniserregend": "Als Grund für diesen Schritt wird Trumps Rückkehr an die Macht genannt – er hatte vor einigen Tagen offenbar auch ein Gespräch mit Putin, was der Kreml bislang bestreitet. Der Westen sollte Putin isolieren, ihn zum Paria machen und Russland mit Sanktionen von seiner imperialistischen Aggression abhalten. Was bleibt von der Isolation eines Kriegsverbrechers, wenn ihn der Regierungschef des wichtigsten EU-Landes anruft, um sich verlockende Worte über die Rückkehr zur traditionellen Energiekooperation anzuhören?", fragt die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Der Schweizer TAGES-ANZEIGER vertritt die Auffassung, dass das Telefonat für Scholz vor allem innenpolitische Gründe hatte: "Er wird von links wie rechts bedrängt. Die neue Partei von Sahra Wagenknecht und die Alternative für Deutschland wollen die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine lieber heute als morgen stoppen und rufen die Ukraine kaum verhüllt zur Kapitulation auf. Die Christdemokraten von Friedrich Merz wiederum, aber auch FDP und Grüne rufen Scholz dazu auf, die Hilfe an die Ukraine noch zu steigern. Sein Gespräch mit Putin liefert Scholz im Wahlkampf nun ein Argument gegen beide Seiten. Wagenknechts Anhängerinnen kann er sagen: 'Während ihr nur von Diplomatie redet, spreche ich mit Putin.' Merz' Wählern kann er entgegnen: 'Während ihr zur Eskalation des Kriegs aufruft, bereite ich den diplomatischen Weg zum Frieden vor'", ist im TAGES-ANZEIGER aus Zürich zu lesen. Mit dieser Stimme endet die internationale Presseschau.