23. November 2024
Die internationale Presseschau

Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Regierungschef Netanjahu wird weiter kontrovers diskutiert. Außerdem geht es in den Kommentaren um den Krieg in der Ukraine und um die Kanzlerkandidatur der SPD.

Benjamin Netanjahu, Ministerpraesident des Staates Israel
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (picture alliance / AA / photothek.de / Kira Hofmann)
Die spanische Zeitung EL PAÍS schreibt zu den Reaktionen auf die Entscheidung des Strafgerichtshofs: "Die extremistische israelische Regierung hält die Entscheidung für einen Ausdruck von Antisemitismus. US-Präsident Joe Biden prangerte eine angeblich unzulässige Gleichsetzung mit der Hamas an, deren Führer ebenfalls angeklagt wurden. Diese Reaktionen spiegeln die Doppelmoral wider, die es uns erlaubt, den bereits früher ausgestellten Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten Putin zu begrüßen und den gegen Netanjahu zu kritisieren", heißt es in der spanischen Zeitung EL PAÍS.
Der britische GUARDIAN nennt die Haftbefehle gegen Netanjahu, seinen früheren Verteidigungsminister Gallant und den Hamas-Militärchef Deif einen... "... historischen Meilenstein im Kampf für die Ahndung von Kriegsverbrechen. Die eigentliche Prüfung dieser Haftbefehle liegt jedoch bei den 124 Mitgliedsstaaten des Strafgerichtshofs, die rechtlich verpflichtet sind, die Angeklagten festzunehmen und nach Den Haag zu überstellen. Ein Nichthandeln würde das Völkerrecht als Fassade entlarven, seine Glaubwürdigkeit untergraben und es mächtigen Nationen und ihren Verbündeten ermöglichen, die Gerechtigkeit ungestraft mit Füßen zu treten. Die Durchsetzung dieser Haftbefehle ist auch ein moralischer Imperativ, um den Grundsatz aufrechtzuerhalten, dass kein Staatsoberhaupt über dem Gesetz steht", unterstreicht der GUARDIAN aus London.
Dagegen meint die australische Zeitung THE AUSTRALIAN: "Das Vorgehen des Gerichtshofs ist empörend. Die konkreten Kriegsverbrechen, die den Angeklagten vorgeworfen werden, sind der Einsatz von Hunger als Methode der Kriegsführung, Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen sowie die vorsätzliche Leitung eines Angriffs gegen die Zivilbevölkerung. Dies alles ist höchst fehlerhaft. Es wird nicht berücksichtigt, dass es sich um einen groß angelegten Krieg in den Städten handelt, der von der Hamas begonnen wurde und noch immer von ihr geführt wird. Das Gericht verkennt die getroffenen Vorsichtsmaßnahmen bei Angriffen. Es nimmt keine Notiz von der umfangreichen humanitären Hilfe und medizinischen Versorgung, die Israel ermöglicht hat", listet THE AUSTRALIAN aus Sydney auf.
Die schwedische Zeitung SYDSVENSKAN analysiert: "Viele feierten den Haftbefehl, aber es gibt auch Kritik. Netanjahu und Gallant sind gewählte Politiker eines demokratischen Staats, werden hier aber in einen Topf mit dem Anführer einer islamistischen, vom Iran finanzierten Terrororganisation geworfen. Andere, darunter die USA, werfen dem Strafgerichtshof schon lange vor, politisch motiviert zu handeln und selektiv bei den Personen vorzugehen, gegen die ermittelt wird. Wenn Netanjahu die Kriterien für einen Haftbefehl erfüllt - warum gibt es dann keinen gegen Syriens Präsident Assad? Die Kritik ist berechtigt. Der Internationale Strafgerichtshof ICC ist bei Weitem nicht perfekt. Aber er ist eben auch der Einzige, den wir haben", hebt SYDSVENSKAN aus Malmö hervor.
Die palästinensische Zeitung AL AYYAM kommentiert: "Die Palästinenser sollten die Entscheidung als strategische Chance zur Stärkung ihrer rechtlichen und politischen Position in der internationalen Gemeinschaft betrachteten. Dies erfordert zunächst eine Intensivierung der diplomatischen Bemühungen, um sicherzustellen, dass sich die Mitgliedstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs dazu verpflichten, die Haftbefehle umzusetzen. Dringende Priorität hat auch der Aufbau eines spezialisierten Rechtsteams zur Unterstützung internationaler Ermittlungen und zur Bereitstellung von Beweisen. Darüber hinaus müssen die Palästinenser weiter daran arbeiten, der Welt das Ausmaß der menschlichen Tragödie unter der Besatzung zu verdeutlichen", betont AL AYYAM aus Ramallah.
Die USA haben der Ukraine zugestanden, bei der Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg weitreichende Waffen zu verwenden. Die japanische Zeitung YOMIURI SHIMBUN erläutert: "Die Kursänderung der US-Regierung dient zum einen als Abschreckung gegenüber Nordkorea, das mit dem Einsatz seiner Soldaten den Invasionskrieg Russlands unterstützt. Zum anderen will der scheidende Präsident Joe Biden noch in seiner Amtszeit vorteilhafte Bedingungen für die Ukraine schaffen. Denn es ist zu befürchten, dass Donald Trump nach seinem Amtsantritt im Januar schnell einen Waffenstillstand erreichen will, der bedeutet, dass die Ukraine die derzeit von Russland besetzten Gebiete verliert. Aber wenn solch ein Unrecht geduldet würde, würde die Weltordnung zusammenbrechen", warnt YOMIURI SHIMBUN aus Tokio.
Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT urteilt: "Die Erlaubnis von US-Präsident Joe Biden für die Ukraine, mit US-Raketen Ziele tief in Russland zu treffen, hat die Welt einer großen Katastrophe nähergebracht. Kiew hat bereits damit begonnen, diese gefährliche Erlaubnis zu nutzen. Der Kreml hat derweil mit der Verabschiedung einer neuen Nukleardoktrin seine Absicht bekundet, im Ernstfall auf Atomwaffen zurückzugreifen. Die Betonung des nuklearen Faktors durch Moskau löst im Westen zwangsläufig Besorgnis aus. Viele befürchten, dass es zu einem Dritten Weltkrieg kommt", lautet die Einschätzung der Zeitung MÜSAVAT aus Baku.
Die polnische RZECZPOSPOLITA geht in diesem Zusammenhang auf das Telefonat von Bundeskanzler Scholz mit dem russischen Präsidenten ein: "Scholz' Beitrag zur Beendigung des Krieges in der Ukraine war ein einstündiges Telefongespräch mit Wladimir Putin. Die Bilanz lag offenbar bei Null – und wenn man die internationalen Reaktionen mit einbezieht, war sie sogar negativ. Man darf bezweifeln, dass Scholz, der außenpolitisch verloren hat, innenpolitisch etwas dazugewinnen konnte. Die Friedensdiplomatie des Kanzlers hat sich als wirkungslos erwiesen, und auch die Wähler scheinen den Schritt nicht zu würdigen. Statt einer 'Friedensdividende' für das Gespräch mit Putin erhielt Scholz von einflussreichen Persönlichkeiten seiner eigenen Partei den Vorschlag, bei der kommenden Wahl auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten", erläutert die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Mit der Debatte um die Kanzlerkandidatur der SPD beschäftigt sich auch der schweizerische TAGES-ANZEIGER: "Scholz hat sich gegen Pistorius durchgesetzt, indem er die Vertrauenskrise, in die er seine Partei gestürzt hat, einfach aussaß. Gestärkt hat ihn dieser Sieg aber nicht, im Gegenteil. Kanzler und Kandidat Scholz wird für die SPD im Wahlkampf also ein Bleigewicht bleiben. Gut ist das für Friedrich Merz, den Kandidaten der Christdemokraten. Gut könnte es aber auch für Robert Habeck sein, den Anwärter der Grünen: Wenn genug rot-grüne Wechselwählerinnen und Wechselwähler aus Enttäuschung über den Kanzler diesmal grün wählen, könnte es am Ende zu einem Duell kommen, das Merz nicht Scholz gegenüberstellt - sondern Habeck", überlegt der TAGES-ANZEIGER aus Zürich.
Kein Verständnis für das Hin und Her bei der SPD haben die SALZBURGER NACHRICHTEN aus Österreich: "Ohne Not, aber mit sehr viel Stümperei ist die Kanzlerkandidatenkür der größten deutschen Regierungspartei zur Affäre geraten. Niemals zuvor war den gern mit ihren Kanzlern hadernden Sozialdemokraten so eine Verrücktheit eingefallen: infrage zu stellen, ob der gerade die Republik Regierende auch ihr Spitzenkandidat sein soll. Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder hätten den Genossinnen und Genossen etwas gehustet. 94 Tage vor der Wahl stehen die Sozialdemokraten als überforderte Sturköpfe da. Niemand bemüht sich um eine Erklärung. Niemand aus der Partei sagt, dass es vielleicht irrwitzig scheint, mit dem unbeliebtesten aller Kandidaten das Kanzleramt erobern zu wollen – und erklärt dann, warum es nicht irrwitzig ist."