10. Dezember 2024
Die internationale Presseschau

Im Mittelpunkt stehen weiter verschiedene Aspekte der Lage in Syrien nach dem Sturz von Machthaber Assad. Außerdem gibt es unter anderem einen Kommentar zur Ukraine-Reise von CDU-Chef Merz.

Der islamistische Rebellenführer al-Dscholani hält eine Rede in einer Moschee in Damaskus.
Der islamistische Rebellenführer al-Dscholani - mit bürgerlichem Namen Al-Scharaa - am Tag der Machtübernahme der Aufständischen in Damaskus. (picture alliance / abaca / Balkis Press / ABACA)
Die arabischsprachige Zeitung SHARQ AL-AWSAT überlegt, wie es in Syrien nun weitergeht: "Das Land ist zwar frei, aber in einer riskanten Position. Innenpolitisch kommt es auf mehrere Akteure an, allen voran die Miliz Hayat Tahrir al-Sham. Sie und ihr Anführer Ahmed Al-Scharaa haben eine historische Chance. Militärisch ist ihre Aufgabe beendet. Nun kommt es darauf an, ob sie ihre fanatische islamistische Rhetorik aufgeben und sich als politischer Partner für den Aufbau eines modernen Syriens präsentieren. Scharaa kann selbst darüber entscheiden, ob er international als Feind oder als Partner betrachtet werden will", meint die Zeitung SHARQ AL-AWSAT, die in London erscheint.
Die britische TIMES verwendet Al-Scharaams Kampfnamen Mohammed al-Dscholani und erklärt: "Der HTS-Anführer zeigt sich aktuell von seiner besten Seite. Bisher ist die HTS sowohl in den USA als auch in Großbritannien geächtet. Um von der schwarzen Liste der Terrororganisationen gestrichen zu werden, muss sie zeigen, dass sie auf eine integrative Übergangsregierung hinarbeitet, die einem Land mit einer langen Geschichte religiöser Vielfalt keine starre sunnitisch-islamistische Ideologie aufzwingt. Und sie darf Israel nicht bedrohen", betont THE TIMES aus London.
Das dänische KRISTELIGT DAGBLAD aus Kopenhagen findet, die Bilder aus Syrien vermittelten Hoffnung auf eine besser Zukunft: "Damit aber aus der Asche der Assad-Dynastie ein besseres Syrien entstehen kann, muss es Sicherheit und Freiheit auch für die hart geprüften religiösen und ethnischen Minderheiten im Land geben, für die syrischen Kurden, Christen, Jesiden, Drusen, Schiiten und andere."
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO sieht als Voraussetzung für einen friedlichen Machtwechsel... "... dass sich die unterschiedlichen Lager darauf verständigen, ob das künftige Syrien ein säkularer oder religiöser, ein föderaler oder zentralistischer Staat sein wird. Im schlimmsten Falle könnte das Zweckbündnis zwischen den Oppositionskräften schon bald wieder auseinanderbrechen. Stabile Verhältnisse wären jedoch die Grundlage für einen wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Rückkehr von Millionen von Flüchtlingen. Jetzt, da sich Russland und der Iran aus Syrien zurückgezogen haben, tragen vor allem die USA, die Türkei und Israel eine große Verantwortung für die Zukunft des zerrissenen Landes", unterstreicht JIEFANG RIBAO aus Shanghai.
Der österreichische STANDARD geht auf die Debatte über den Umgang mit Schutzsuchenden aus Syrien ein: "Es ist verständlich, dass die Behörden in Österreich und Deutschland die Asylverfahren für Flüchtlinge aus Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes aussetzen. Zu unübersichtlich ist die Lage, zu schnell ändern sich die Umstände, die einen solchen Anspruch rechtfertigen würden. Dass aber (der österreichische) Innenminister Gerhard Karner bereits ein Rückführungsprogramm vorbereitet, zeigt, wie wenig die Moral in Österreichs Einwanderungspolitik eine Rolle spielt - und wie wenig die Vernunft. Es stimmt, dass mit dem Sturz von Bashar al-Assad für viele Flüchtlinge der ursprüngliche Asylgrund wegfällt. Aber nach Jahren des Bürgerkriegs und einer katastrophalen Wirtschaftslage ist die Kapazität vieler syrischer Städte und Dörfer gering, eine große Zahl von Rückkehrern aufzunehmen", heißt es im STANDARD aus Wien.
Die türkische Zeitung KARAR bemerkt: "Nachdem Assad nach Russland geflohen ist, gibt es in der Türkei die Erwartung, dass die Syrer im Land in wenigen Tagen in ihre Heimat zurückkehren können - auch durch die Bilder des Rückreiseverkehrs an der syrischen Grenze und durch Abschiedsbotschaften von Syrern, die sich für die Gastfreundschaft der Türkei bedanken. Aber es gibt auch Befürchtungen, dass Unternehmen bankrottgehen könnten, wenn die rund drei Millionen Syrer in der Türkei sofort abreisen," warnt die Zeitung KARAR aus Istanbul und erinnert: "Der Sturz anderer Diktatoren wie Saddam Hussein im Irak, Gaddafi in Libyen und Mubarak in Ägypten wurde ebenfalls mit begeisterten Freudenkundgebungen gefeiert. Die Menschen glaubten damals, von der Unterdrückung befreit worden zu sein, doch ihr Leid war noch nicht vorbei. Die Syrer haben sich die Freude über ihren Sieg redlich verdient. Aber wie viele werden zurückkehren, bevor sie sicher sind, ob er nicht nur von kurzer Dauer ist?".
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG sieht in dem Machtwechsel in Syrien eine "strategische Niederlage" für Russlands Präsident Putin: "Fast 14 Jahre lang, seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings, hatte Moskau das Assad-Regime mit großem Aufwand gestützt, zunächst diplomatisch, finanziell und mit Waffen, ab 2015 auch mit eigenen Truppen. Diese Militärpräsenz half das Blatt im syrischen Bürgerkrieg zu wenden und erschien lange als Erfolgsgeschichte für Russland. Doch nun erweist sich all dies als gigantische Fehlinvestition. Wie einst schon in der Ukraine und in anderen früheren Sowjetrepubliken hat der Kremlherr auch in Syrien auf das falsche Pferd gesetzt", stellt die NZZ aus der Schweiz fest.
"Moskau hat mit dem unerwarteten Sturz von Baschar al-Assad mehr als nur einen treuen Verbündeten verloren", hält die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT fest. "Der Umbruch in Syrien und der wahrscheinliche Verlust der beiden russischen Militärstützpunkte im Land werden erhebliche Auswirkungen auf die internationalen Operationen Russlands haben, vor allem in Afrika. Als Putin 2015 seine Truppen nach Syrien schickte, wollte er den Westen damit vor vollendete Tatsachen stellen und zugleich die zunehmende Isolation Russlands nach der Annexion der Krim beenden. Russland konnte damit demonstrieren, dass es international weiterhin eine wichtige Rolle spielt und nicht ignoriert werden kann", analysiert DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Die ungarische Zeitung NEPSZAVA aus Budapest argumentiert: "Außer ein oder zwei Luftangriffen vermochten die Russen nichts zu tun, um den Vormarsch der Aufständischen in Syrien aufzuhalten. Das könnte auch den Demonstranten in Georgien Hoffnung geben: selbst eine Regierung, hinter der Putins Regime steht, lässt sich stürzen."
Themenwechsel. Kurz nach Bundeskanzler Scholz ist gestern auch CDU-Chef Merz nach Kiew gereist. Das ist Thema in der russischen Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA. Sie vermutet, dass es dem CDU-Vorsitzenden vor allem um die Innenpolitik und den Wahlkampf ging: "Merz muss berücksichtigen, dass selbst bei einem Wahlsieg der Union die Bildung einer großen Koalition mit der SPD erforderlich sein könnte, die durch den amtierenden Kanzler vertreten wird. Deshalb möchte er mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine entschiedener auftreten als Scholz – aber auch nicht allzu radikal. Darüber hinaus hat Merz mit seinen jüngsten Äußerungen zur Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine seine Position in den Augen der deutschen Öffentlichkeit bereits überdehnt. Selbst die CDU hat inzwischen verstanden, dass die Deutschen nicht für die Fortsetzung eines groß angelegten militärischen Konflikts mit Russland stimmen würden", glaubt die NESAWISSIMAJA GASETA, die in Moskau erscheint.
Auch die norwegische Zeitung DAGSAVISEN blickt auf die Ukraine - vor dem Hintergrund der bevorstehenden Amtsübernahme von Donald Trump in den USA: "Für die Ukraine geht es jetzt darum, sich möglichst gut für den Beginn dieser neuen Zeitrechnung zu positionieren. Es besteht die Furcht, dass Trump die Ukraine im Stich lässt und zu einem Frieden mit seinem alten Freund Putin zwingt. Aber muss es dazu kommen? Die Antwort liegt wie so oft in Trumps Psyche. Er ist oft unberechenbar, hasst es aber, einen schlechten Deal zu machen. Das bedeutet, dass er die Ukraine nicht einfach verlieren lassen kann", hofft DAGSAVISEN aus Oslo.