"Es gibt Debatten im Bundestag, da döst man gerne mal weg", schreibt der Wiener STANDARD zum ersten Thema. "Das genaue Gegenteil aber war gestern zu erleben, als der deutsche Kanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellte – und absichtlich verlor. Sehr hoch her ging es im Hohen Haus, Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien waren schon mitten im Wahlkampf. Dahinter stecken nicht nur persönliche Verletzungen, sondern auch Wahlkampftaktik. Auch sonst waren die Fronten klar: Merz attackiert Scholz und haut auf die Grünen. Deren Spitzenkandidat Robert Habeck keilt gegen die Union zurück und schont den Kanzler. Die AfD findet alle furchtbar, am allermeisten natürlich Scholz. Vielleicht geht es nach der Weihnachtspause ja mehr um Inhalte. Angesichts der heftigen Attacken kann man über eines froh sein: Der Wahlkampf wird nur wenige Wochen dauern", unterstreicht die österreichische Zeitung DER STANDARD.
Deutschland stehe vor einer echten Zeitenwende, titelt die polnische GAZETA WYBORCZA und schreibt: "Die deutsche Politik steht vor einem großen Wandel. Aber nicht vor einem solchen, den sich der sozialdemokratische Kanzler vorgestellt hat. Deutsche Bundeskanzler sind üblicherweise recht lang im Amt. Regierungswechsel und Veränderungen in den politischen Machtoptionen kommen in Deutschland vergleichsweise selten vor. Die weniger als drei Jahre Amtszeit von Olaf Scholz und die Tatsache, dass er selbst den Zusammenbruch seiner Regierung herbeigeführt hat, sprechen für sich. Auf der relativ stabilen politischen Bühne in Deutschland bedeutet dies eine radikale politische Wende", hebt die Warschauer GAZETA WYBORCZA hervor.
In der italienischen Zeitung CORRIERE DELLA SERA heißt es: "Wie ein Feldherr, der die Bedingungen seiner eigenen Kapitulation festlegt, hat Bundeskanzler Scholz zumindest den Zeitpunkt seines eigenen Abgangs bestimmt. Er hat die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt - die Abgeordneten haben ihm das Vertrauen entzogen. Regungslos saß er in der ersten Reihe und hörte zu, als Bundestagspräsidentin Bas das Abstimmungsergebnis verkündete. Damit endet nun eine der kürzesten Regierungen in der deutschen Geschichte. Was nach Scholz' Worten eine mutige Koalition sein sollte, ist nun ein gescheitertes Experiment", betont der Mailänder CORRIERE DELLA SERA.
Die schwedische Zeitung GÖTEBORGS-POSTEN stellt Überlegungen zur Regierungsbildung nach der Wahl an: "Es ist nicht sicher, dass die Union zusammen mit der SPD auf eine Mehrheit kommen wird, und die ständigen großen Koalitionen haben weder den Parteien noch der deutschen Demokratie genützt. Falls die Grünen oder die FDP in die nächste Regierung eintreten, droht eine neue Hängepartie, denn die Grünen wollen ihre Energiewende nicht rückgängig machen, und die Liberalen wehren sich trotz der Krise gegen staatliche Stimulierungsmaßnahmen. Doch auch die Chancen für eine Zusammenarbeit der Union mit der ultrarechten AfD, sind gering. Mit anderen Worten: Deutschland droht eine weitere Schwächung - und das in einer Zeit, in der die EU eine stärkere Führungsrolle ihres wichtigsten Mitglieds bräuchte", warnt GÖTEBORGS-POSTEN:
Die spanische Zeitung LA VANGUARDIA äußert sich besorgt über die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Europa: "Die politische Instabilität, die Deutschland derzeit durchlebt, geprägt von einer tiefen gesellschaftlichen Spaltung, hat es nahezu unmöglich gemacht, eine weitgehend gelähmte Wirtschaft zu steuern – und das in einer Zeit, in der Europa mehr denn je auf Deutschlands Stärke angewiesen ist. Seit fünf Jahren steckt das Land in einer anhaltenden Stagnation. Zunächst war es die Pandemie, dann die Energiekrise, ausgelöst durch die russische Invasion in die Ukraine. Diese trieb die Energiepreise in die Höhe, schürte die Inflation und setzte der deutschen Industrie erheblich zu. Die Folgen für die europäische Wirtschaft sind gravierend. Bemerkenswert ist, dass in dieser Situation ausgerechnet die Länder des Südens zur Stabilität Europas beitragen, während der historische Motor Frankreich-Deutschland in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise steckt", betont LA VANGUARDIA aus Barcelona.
Deutschland habe sich kaputt gespart, meint die tschechische Wirtschaftszeitung HOSPODARSKE NOVINY: "Deutschland braucht Reformen. Seine Wirtschaft stagniert seit langem - und das nicht nur wegen der hohen Energiepreise. Die Deutschen haben so sehr gespart, dass sie gegenüber anderen zurückgefallen sind. Sie haben weder in Innovationen noch in die Infrastruktur investiert, was sich an zerfallenden Autobahnbrücken und ewig verspäteten Zügen zeigt. Wie ein Totem hat man in der Bundesrepublik die Schuldenbremse hochgehalten. Deutschland muss mehr in diejenigen Bereiche investieren, die es seit langem vernachlässigt hat. Dass dies geschehen wird, deutet das Programm der in Umfragen vorn liegenden CDU/CSU indes nicht an", konstatiert HOSPODARSKE NOVINY aus Prag.
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO beurteilt die Lage in Deutschland pessimistisch: "Die Chancen für die Wiederwahl des Bundeskanzlers stehen nicht besonders gut, da die von ihm angeführte Ampelkoalition am Ende ein ziemlich schlechtes Bild abgegeben hat. Darüber hinaus nehmen die Sorgen um den Zustand der deutschen Wirtschaft stetig zu. Dennoch ist überhaupt nicht abzusehen, welche Parteien die nächste Regierung in Berlin bilden werden. Diese neue Instabilität wird sich nicht nur nach innen, sondern auch nach außen auswirken und die durch Trumps Wiederwahl ausgelösten globalen Unwägbarkeiten noch verstärken", warnt JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
Auch die britische Zeitung THE GUARDIAN befasst sich mit der politischen Situation in Deutschland und in Frankreich: "Europa steht vor großen Herausforderungen in Bezug auf die Ukraine, den Umgang mit Donald Trump und mit China. Es wäre schlecht, wenn der legendäre deutsch-französische Motor des Kontinents ausgerechnet jetzt schlapp machen würde. Doch auf beiden Seiten des Rheins sind keine einfachen Lösungen in Sicht. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland weisen der Aufstieg der extremen Rechten und die damit einhergehende Vertrauenskrise in die etablierte Politik schon seit einiger Zeit auf ein tiefes politisches Unbehagen hin", erläutert der Londoner GUARDIAN.
Nun zu unserem nächsten Thema. In dem französischen Überseegebiet Mayotte werden nach einem Wirbelsturm hunderte Tote befürchtet. Dazu heißt es in der Pariser Zeitung LE FIGARO: "Mayotte zählt seine Toten. Die genaue Zahl wird man wahrscheinlich nie erfahren. Der Zyklon Chido hat alles mit sich gerissen. 8.000 Kilometer von Paris entfernt ist dieses weit entfernte Land zu einer Hölle geworden. Viele Migranten, Analphabetismus, Kriminalität, unhygienische Zustände, ethnische Rivalitäten, Gefährdung durch Epidemien, versagende öffentliche Dienste, Wasser- und Stromknappheit. So lebt eine französische Insel vor der Küste des südlichen Afrikas. Ein Frankreich der vierten Welt, ein Parallel-Frankreich, ein Frankreich der Schande. Trotz der Millionen Euro, die jedes Jahr in das Land gepumpt werden, hat es Mayotte nie geschafft, sich aus der extremen Armut zu befreien", beklagt der französische FIGARO.
Die französische Zeitung LIBERATION notiert: "Die kurzen Stippvisiten nach Mayotte des zurückgetreten Innenministers Retailleau und des französischen Staatspräsidenten Macron sind gut und notwendig. Die von Macron ausgerufene Staatstrauer ist wichtig. Aber es darf auf keinen Fall passieren, dass die politischen Behörden, nachdem die Hilfsgüter herbeigeschafft und die Wunden geleckt sind, wie so oft einfach weitermachen und vergessen, die eigentlichen Ursachen des Elends zu bekämpfen. Schließlich werden Katastrophen wie jene, die gerade Mayotte verwüstet haben, mit dem Klimawandel immer häufiger und heftiger auftreten. Es ist absolut notwendig, die Ursachen zu bekämpfen", fordert die Pariser Zeitung LIBERATION.