06. Januar 2025
Die internationale Presseschau

Heute unter anderem mit Stimmen zum Jahrestag der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 in Washington. Zudem ist Syrien weiterhin Thema. Doch zunächst geht es um die schwierige Regierungsbildung in Österreich.

Das Bild zeigt Österreichs Bundespräsidenten van der Bellen in seinem Amtssitz, der Wiener Hofburg.
Osterreichs Bundespräsident van der Bellen führt weitere Gespräche über die Bildung einer neuen Regierung - das ist ein Thema in den Kommentaren (Archivbild). (AFP / ALEX HALADA)
Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA fragt mit Blick auf die heutigen Gespräche des Bundespräsidenten mit dem Parteichef der rechten FPÖ: "Warum zieht Van der Bellen es nach Monaten des erklärten Widerwillens vor, Kickl zu berufen, statt Neuwahlen auszurufen? Warum scheint die ÖVP, nachdem sie monatelang gegen den Risikofaktor Kickl gewettert hat, bereit, sich mit ihm zu verbünden? Möglicherweise, weil die Rechtsextremen seit den Wahlen in den Umfragen von 29 auf mehr als 35 Prozent gestiegen sind. Sollte die FPÖ ein solches Ergebnis an der Wahlurne holen, hätte sie im Parlament eine Sperrminorität, um verfassungsrelevante Reformen zu blockieren. Und für die Volkspartei würde sie zu einem Regierungspartner, der sie noch mehr erdrückt", glaubt LA REPUBBLICA aus Rom.
Die KLEINE ZEITUNG aus Österreich analysiert: "Die Ausgrenzung der FPÖ, zuerst jahrzehntelang von der SPÖ betrieben, dann im Herbstwahlkampf von ÖVP-Kanzler Nehammer nachgeahmt, hat in die Sackgasse geführt. Für diese Ausgrenzung mag es gute Gründe geben, aber politisch klug ist sie nicht. Die Wähler haben nicht die Ausgrenzer belohnt, sondern den Ausgegrenzten. Regierungsbildungen werden immer schwerer, siehe zerkrachte Ampel in Deutschland. Geht es so weiter, sind in naher Zukunft vielleicht Vier- oder Fünfparteienregierungen ganz unverträglichen Zuschnitts nötig, um eine einzige andere Partei zu verhindern. Ironie des Geschehens: Gerade jene, die sich in tadelloser moralischer Korrektheit zu 'Lordsiegelbewahrern' der Demokratie stilisieren, geben den Rechtspopulisten überhaupt erst die Macht, die Verhältnisse zu destabilisieren," ist sich die KLEINE ZEITUNG aus Graz sicher.
Die regierungsnahe ungarische Tageszeitung MAGYAR NEMZET aus Budapest stellt fest: "Auch Österreich hat sich in die Reihe der Länder eingereiht, in denen die politische Elite achselzuckend erklärt, dass es keine gemeinsame Lösung gibt. Europa ist krank, sein Zustand verschlechtert sich und es scheint völlig unfähig, sich zu erholen. Niemand will die tief in der Erde vergrabenen und fest im Fels verankerten Positionen aufgeben."
Themenwechsel. Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER äußert sich zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Dieser fand damals "vor laufenden Kameras statt, war eindeutig ungesetzlich und kostete mehrere Menschenleben. Mit dem Sturm auf das Kapitol wurde ein wochenlanger Streit um das Wahlergebnis auf die Spitze getrieben. Es begann mit haltlosen Vorwürfen, und es folgten Versuche, das Ergebnis in einzelnen Bundesstaaten zugunsten von Trump zu manipulieren. Das heiligste Prinzip der Demokratie ist, dass die Bürger in freien Wahlen ihre Anführer bestimmen, aber genau dagegen sollte verstoßen werden. Vor den letzten Wahlen liefen bereits entsprechende Vorbereitungen, indem Behauptungen von voraussichtlichem Wahlbetrug verbreitet wurden und Trump-Anhänger versuchten, an Schlüsselposten in den Wahlbehörden der Swing-States zu ergattern. Das Gefühl von Normalität kommt nun daher, dass derjenige die Wahlen gewonnen hat, der sich nicht an die Regeln der Demokratie hält – und in zwei Wochen wird er als Präsident der USA vereidigt", bemerkt DAGENS NYHETER aus Stockholm.
Die US-amerikanische Zeitung THE WASHINGTON POST stellt fest: "Fast 1.600 Personen - aus fast allen Bundesstaaten - wurden in den 47 Monaten angeklagt. Herr Trump hat gesagt, er plane, die wegen der Straftaten vom 6. Januar Verurteilten direkt nach seinem Amtsantritt zu begnadigen. Dies wäre nicht nur ein Affront gegen das Gesetz, sondern auch gegen die Polizisten, die an jenem Tag alles gaben, um die Stellung zu halten."
Vor dem Machtwechsel im Weißen Haus hat der künftige US-Präsident Trump Italiens rechte Regierungschefin Meloni bei sich zu Hause empfangen. Die polnische RZECZPOSPOLITA meint, das Treffen sei für Ministerpräsident Tusk "ein Misserfolg. Schließlich will er die sechsmonatige polnische EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um die EU-Verteidigungspolitik weiterzuentwickeln und Europa zu einem wichtigen geopolitischen Akteur zu machen, insbesondere im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine. Das polnische Außenministerium hat sogar einen Plan für eine gemeinsame Reise der Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands nach Mar-a-Lago ausgearbeitet. Doch Trump hat andere Pläne. In seiner ersten Amtszeit unterstützte er den Brexit, nun will er die Einheit der EU erneut untergraben und setzt auf die Anführerin einer rechtsextremen, euroskeptischen Gruppe, anstatt Kontakt zu den offiziellen EU-Vertretern aufzunehmen", unterstreicht die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN ist überzeugt, Meloni habe das Treffen mit Trump lange und sorgfältig vorbereitet: "Im Gegensatz zu ihrem ungarischen Amtskollegen Orban, der noch während des Wahlkampfs zu Trump 'pilgerte', wollte Meloni das nicht, um Joe Biden nicht unnötig zu ärgern. Nach dem Wahlsieg Trumps hat die 47-Jährige alle ihr zur Verfügung stehenden Kontakte genutzt - höchstwahrscheinlich auch zu Elon Musk.Meloni konnte dem In- und Ausland ihre Präsenz als Brückenbauerin zwischen Europa und Washington zeigen." Das war NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Mit der Lage in Syrien beschäftigt sich die dänische Zeitung POLITIKEN. Das Blatt beobachtet, mehrere europäische Regierungen hätten gerade "nichts Eiligeres zu tun, als syrische Flüchtlinge nach dem Sturz der Assad-Diktatur zu einer Rückkehr zu bewegen. Dabei wäre es angebrachter, dafür zu sorgen, dass es für die Flüchtlinge auch einen Grund dafür gibt. Schlimmstenfalls droht ihnen nach dem langen Bürgerkrieg nach wie vor Verfolgung. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu Rachefeldzügen kommt und Milizen oder Extremisten versuchen, die Macht an sich zu reißen. Es kann also noch eine Menge schiefgehen. Aber bislang hat der neue Machthaber Ahmed Al-Sharaa die Bereitschaft an den Tag gelegt, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenzuführen. Er hat es unterlassen, eine religiöse Diktatur durchzupeitschen, und er hat eine neue Verfassung und demokratische Wahlen angekündigt", resümiert POLITIKEN aus Kopenhagen.
Die arabischsprachige Zeitung AL QUDS AL-ARABY verweist auf ein diplomatisches Gespräch des neuen Machthabers in Damaskus: "Als Ahmed Al-Sharaa darauf verzichtete, der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock die Hand zu schütteln, war die Reaktion die übliche: Dies sei ein Zeichen von Rückständigkeit und Obskurität, letztlich Hinweis auf eine kommende extremistisch-religiöse Herrschaft. Syrien, hieß es schnell, sei verloren, das Land befinde sich am Abgrund. Dabei gibt es den Verzicht auf den Handschlag zwischen Männern und Frauen auch in anderen Religionen. Aus religiösen Gründen weigerte sich die israelische Sängerin Yuval Dayan im vergangenen Jahr etwa, US-Präsident Joe Biden die Hand zu schütteln. Dies wurde allgemein respektiert. Warum also werden nur Muslime angegriffen, wenn sie auf den Handschlag verzichten? Zu den Frauenrechten zählt nicht, dass Männer ihnen die Hand geben. Vielmehr kommt es darauf an, dass sie Zugang zu Erziehung und Bildung erhalten, dass sie mit Würde behandelt werden, dass Gewalt gegen sie kriminalisiert wird", meint AL QUDS AL-ARABY mit Sitz in London.
Die spanische Zeitung EL PAIS vermutet: "Das vorrrangige Ziel der neuen Machthaber ist die Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen Syrien, aber dafür ist es unverzichtbar, dass die Rechte aller Bürger unabhängig von Geschlecht, Religion oder Ethnie respektiert werden. Die EU kann kein Regime unterstützen, das Frauen diskriminiert oder Syrien regiert wie die Taliban. Umso wichtiger ist daher eine Befriedung des Landes, denn der Krieg ist noch nicht vollständig vorbei," mahnt EL PAIS aus Madrid.