Den Schlagabtausch zwischen Scholz und Merz fasst die Schweizer NEUE ZÜRCHER ZEITUNG wie folgt zusammen: "Die Debatte zwischen dem Sozialdemokraten und seinem christlich-demokratischen Herausforderer war hart, meistens fair, und vor allem zeigte sie eines: Die Bürger in Deutschland haben wieder die Wahl zwischen zwei Politikern der Mitte, die unterschiedliche Weltanschauungen vertreten. Die Zuschauer sahen eine Debatte, die ihren Namen verdient hat. Kaum Floskeln, dafür Beispiele aus der Praxis – klare Gegensätze statt Zwist über kleine Details: So plastisch und kontrovers war deutsche Politik nicht immer. Es hat gedauert, aber die sedativen sechzehn Jahre unter Angela Merkel scheinen überwunden zu sein", hebt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hervor.
Die österreichische PRESSE hat folgendes beobachtet: "Da standen zwei Politiker, die einander trotz offensichtlich unterschiedlicher Weltanschauungen ausreden ließen und nicht mit irgendwelchen Phantasiezahlen um sich warfen. Man kann geneigt sein, die Debatte als langweilig und blutleer zu bezeichnen. Auch auf die großen Visionen, wie Deutschland wieder zurück auf die wirtschaftliche Erfolgsspur kommen soll, wartete man vergeblich. Doch es war ein Duell von zwei Biedermännern, nicht zweier Populisten. Gerade zu Zeiten, in denen Politik immer mehr zu einem schrillen Absurditäten-Wetteifern verkommt, ist es wohltuend, dass die beiden Kandidaten nicht auch der Versuchung erliegen, sich in plumpen Parolen zu ergehen", lobt die PRESSE aus Wien.
In der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN schreibt die Gastkommentatorin: "Gleich zu Beginn unterstellte Olaf Scholz seinem Kontrahenten Friedrich Merz einen 'Tabu-Bruch'. Dass der Unions-Kanzlerkandidat bei der Abstimmung im Bundestag die Stimmen der AfD in Kauf nahm, hat tatsächlich bundesweite Proteste hervorgerufen. Merkwürdigerweise sieht man das aber nicht in Ergebnissen der Umfragen. Der wahre Fokus dieser Bundestagswahl wird sein, wie viele Stimmen die Union von den AfD-Sympathisanten bekommen kann. Daher ist es ein wenig realitätsfern, dass zu der gestrigen Debatte im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen nur Merz und mit Scholz der Chef einer Partei, die laut Umfragen nur die Drittstärkste ist, eingeladen wurden", kritisiert NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Die spanische Zeitung EL MUNDO gibt zu Bedenken: "Nach wie vor sind viele deutsche Wähler unentschlossen, und es ist offen, welche Koalition gebildet werden kann. Unionskandidat Merz hat die Brandmauer zu den Ultrarechten im Bundestag eingerissen und damit eine Schockwelle ausgelöst, und nach einer Serie von Anschlägen durch Migranten ist das Thema Einwanderung in den Mittelpunkt des Wahlkampfs gerückt. Auch im gestrigen Fernsehduell hat es Kanzler Scholz nicht geschafft, diesen Trend zu stoppen, und das Scheitern der Ampelkoalition hat seine SPD in den Umfragen auf Platz drei abrutschen lassen", notiert EL MUNDO aus Madrid.
Die türkische Zeitung CUMHURIYET befasst sich bereits mit der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl: "Auch wenn die CDU/CSU voraussichtlich die meisten Sitze im Bundestag gewinnen wird, ist es unwahrscheinlich, dass sie allein an die Macht kommt. Um die AfD auszuschließen, müssten die Unionsparteien eine Koalition mit SPD und/oder Grünen eingehen, also mit den beiden Parteien, deren Politik sie zu beenden versprochen haben. Selbst wenn diese Koalition zustande kommt, wird die Regierung sehr fragil sein. Die CDU wird ihre Politik verwässern und ihre Anhänger enttäuschen. Die AfD wird sowohl von dieser Enttäuschung als auch von ihrer Position als größte Oppositionspartei profitieren", ist CUMHURIYET aus Istanbul überzeugt.
Themenwechsel. Die militant-islamistische Hamas hat drei weitere von ihr entführte Geiseln freigelassen. Die palästinensische Zeitung AL AYYAM kommentiert: "Der eigentliche Grund für die Wut Israels dürften die Paraden sein, die den Freilassungsprozess begleiteten. Denn beim Anblick der Kämpfer in ihren sauberen Uniformen und ausgerüstet mit den unterschiedlichsten Waffen fragt sich die israelische Bevölkerung, ob die Behauptungen der Regierung stimmen, dass es gelungen sei, die Hamas zu zerschlagen und Zehntausende ihrer Milizen zu töten. Das ist die eigentliche Demütigung für Israel", meint AL AYYAM aus Ramallah.
Der österreichische STANDARD befürchtet: "Die Bilder der drei Männer, allesamt stark abgemagert, blass und geschwächt, deuten auf schlimmste Zustände hin. Und sie sollten ein Weckruf sein: Jeder weitere Tag unter solch unmenschlichen Bedingungen könnte weitere Geiseln das Leben kosten. Der israelischen Öffentlichkeit ist das schmerzlich bewusst. Sie fordert, dass die Rückkehr aller Geiseln, ob lebend oder tot, nun Vorrang haben muss – auch auf Kosten des oft beschworenen 'vollständigen Siegs' über die Hamas." Soweit der STANDARD aus Wien.
Die palästinensische Zeitung AL QUDS vertritt folgende Ansicht: "Israel möchte, dass die Welt den Zustand der drei von der Hamas freigelassenen Gefangenen sieht. Tatsächlich war ihr Anblick furchtbar. Sagen muss man aber auch, dass es der israelische Premierminister Netanjahu war, der sie in diese an den Holocaust erinnernde Situation gebracht hat. Denn die Unterernährung geht auch auf den Umstand zurück, dass Israel keine Hilfsgüter in den Gazastreifen hat kommen lassen. Wenn Netanjahu das Wohl der Gefangenen wirklich am Herzen liegt, sollte er nun umgehend die zweite Phase des Abkommens einleiten. Dann könnten alle Gefangenen innerhalb von zwei Wochen zuhause sein", erwartet AL QUDS aus Ost-Jerusalem.
"Alle Geiseln müssen nach Hause gebracht werden, bevor es zu spät ist", titelt die JERUSALEM POST und führt aus: "76 israelische Geiseln sind nach wie vor in der Gewalt der Hamas, gefangen in unterirdischen Tunneln, hungernd und misshandelt. Die drei Männer, die am Wochenende freigelassen wurden - Or Levy, Eli Sharabi und Ohad Ben Ami - waren kaum wiederzuerkennen. Dürr, eingefallen und mit hohlen Augen waren ihre Körper eine erschreckende Erinnerung daran, was passiert, wenn die Welt tatenlos zusieht, wie das Böse die Oberhand gewinnt. Wenn 491 Tage Hamas-Gefangenschaft so aussehen, was ist dann mit den anderen? Was ist mit den Kindern? Den älteren Menschen? Wie viel Zeit haben sie noch? Bevor irgendetwas anderes passiert - vor der Diplomatie, vor dem Wiederaufbau, vor den großen Zukunftsvisionen - müssen die Geiseln nach Hause kommen", fordert die JERUSALEM POST.
Nun zum dritten Thema dieser Presseschau. Estland, Lettland und Litauen haben ihre Stromnetze mit Polen und dem kontinentaleuropäischen System verbunden. Die litauische Zeitung VERSLO ŽINIOS aus Vilnius stellt heraus: "Litauen ist in Feierlaune: Gemeinsam mit Lettland und Estland haben wir uns vom russischen und belarussischen Stromnetz abgekoppelt und mit dem westeuropäischen Netz verbunden. Dieser Prozess hat mehr als zehn Jahre in Anspruch genommen. Für uns bedeutet das nicht weniger, als dass der Übergang in die energiepolitische Unabhängigkeit von Russland vollzogen ist. Nun sind wir keinen Erpressungsversuchen dieser Art mehr ausgesetzt", freut sich VERSLO ŽINIOS aus Vilnius.
"Die Frage ist, warum das erst jetzt und damit fast 34 Jahre nach der Wiederherstellung unserer Unabhängigkeit passiert ist", heißt es in der POSTIMEES aus Estland: "Schließlich hatte Estland von sich aus immer wieder betont, wie wichtig es sei, auch energiepolitisch von Russland unabhängig zu werden. Schließlich bedeutet die Loskoppelung vom russischen Netz vor allem mehr Sicherheit, denn wir dürfen nicht vergessen, wie Russland beispielsweise in der Ukraine Stromnetzverbindungen als Ziel genutzt hat, um Chaos zu stiften. Jetzt ist damit Schluss, und mit der Hilfe aus Europa haben wir eine weitere Altlast aus der Sowjetzeit im Mülleimer der Geschichte entsorgt." Das war POSTIMEES aus Tallinn. Und damit endet die internationale Presseschau.