22. Februar 2025
Die internationale Presseschau

Heute mit Kommentaren zur Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur und dem Nahostkonflikt. Doch zunächst geht es um die morgige Bundestagswahl.

Fotocollage: Scholz, Merz, Habeck und Weidel (von links nach rechts)
Eine Fotomontage der Spitzenkandidaten Scholz, Merz, Habeck und Weidel. (IMAGO / Sven Simon / IMAGO / Frank Hoermann / SVEN SIMON)
Dazu schreibt der britische GUARDIAN: "Angesichts des Vorsprungs des Mitte-Rechts-Bündnisses von CDU und CSU ist es sehr wahrscheinlich, dass der Sozialdemokrat Olaf Scholz durch Friedrich Merz als Bundeskanzler abgelöst wird. Merz hat die Notwendigkeit betont, sich gegen Schikanen von US-Präsident Trump zu wehren. Auch dürfte Merz auf der europäischen Bühne wahrscheinlich einen weitreichenderen Ansatz verfolgen als Scholz. Ein Europa, das plötzlich isoliert dasteht, braucht ein selbstbewusstes und florierendes Deutschland in seinem Zentrum. Mit ziemlicher Sicherheit wird Merz die Aufgabe zufallen, dies unter den Bedingungen einer zersplitterten politischen Landschaft an der Spitze einer weiteren Koalitionsregierung zu erreichen", erwartet THE GUARDIAN aus London.
Die schwedische Zeitung SYDSVENSKAN führt aus: "Die AfD erstarkt mit knallhartem Nationalismus und Anti-Eliten-Rhetorik, mit EU-Kritik und Ablehnung der Einwanderung. Diese Thema hat den gesamten Wahlkampf überlagert, und die AfD liegt in Umfragen bei rund 20 Prozent. Da stellt sich die Frage, ob die Brandmauer nach rechtsaußen hält. Für die Zukunft ist das wichtiger als die Frage, wer der nächste Bundeskanzler wird. Die Brandmauer bekam bereits einen Riss, als die CDU kürzlich mit Hilfe der AfD eine Abstimmung im Bundestagswahlkampf gewann. Das erinnert an Schweden, wo man angeblich nur in Sachfragen mit den ultrarechten Schwedendemokraten kooperiert, sie damit aber salonfähig gemacht hat", erinnert SYDSVENSKAN aus Malmö.
Die dänische Zeitung KRISTELIGT DAGBLAD hält fest: "In Zeiten eines drohenden Krieges braucht Europa ein Deutschland, das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch außenpolitisch in die Gänge kommt. Die Frage ist, ob Merz eine Kursänderung schafft. Bis zu 25 Prozent der Stimmen dürften auf Parteien entfallen, die keine potenziellen Partner von CDU und CSU sind. Vor allem aber fehlt den Deutschen ein positives Selbstbild. Das ist schwer zu begreifen für Dänen, die ihre Gesellschaft für die beste der Welt halten. Aber dieses Gefühl fehlt den Deutschen, und ihr nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebautes Konstrukt steckt in der Krise Es herrscht nicht länger dasselbe Vertrauen in eine Identität, die sich auf hart arbeitende Autoproduzenten, ein multikulturelles Paradies und die Vorstellung von einem Land der Dichter und Denker stützte. Die Deutschen müssen nicht nur große Änderungen durchführen, sondern sie müssen auch herausfinden, wer sie eigentlich sind", empfiehlt das KRISTELIGT DAGBLAD aus Kopenhagen.
"Der deutsche Wähler ist ratlos", resümiert die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA. "Die Machtverhältnisse in Deutschland und damit auch die Möglichkeit einer stabilen Koalition für Merz nach der Wahl werden von der Situation der sogenannten kleinen Parteien abhängen. Während die Freien Demokraten um die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Bundestag dümpeln, hat das Bündnis Sahra Wagenknecht plötzlich die Sympathie der Wähler verloren und ist zum Gejagten geworden. Dafür wächst die Popularität der Linkspartei, deren Verschwinden von der deutschen Politikbühne noch vor kurzem vorausgesagt worden war, überraschend stark. Die Optionen für mögliche Regierungskoalitionen werden vom Einzug dieser Parteien in den Bundestag abhängen. Das wahrscheinlichste Ergebnis ist allerdings immer noch eine Große Koalition aus Union und SPD", notiert die NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
Die SALZBURGER NACHRICHTEN stellen die morgige Bundestagswahl in einen größeren Zusammenhang: "Die USA haben mit Europa Schluss gemacht. Europa ist künftig auf sich allein gestellt und massiv gefordert. Angesichts dieses Rucks in der geopolitischen Plattentektonik mag die Bedeutung der deutschen Wahl geschrumpft erscheinen – das Gegenteil ist der Fall. Mehr denn je braucht Europa jetzt Persönlichkeiten, die die Ärmel hochkrempeln, fähig sind, über Gräben hinweg Allianzen zu schmieden, und Europa nach dem Abschied von Amerika als selbstbewussten globalen Player vertreten. Er muss die Gegner, die plötzlich nicht nur im Kreml, sondern auch im Weißen Haus sitzen, kontern", kommentieren die SALZBURGER NACHRICHTEN.
Und damit zu den Bemühungen um Frieden in der Ukraine. Die USA und die Mehrzahl der europäischen Staaten streiten ungeachtet des zunehmenden Einflusses des Kremls um die künftige Ausrichtung der westlichen Sicherheitsarchitektur. Dazu schreibt die US-amerikanische Zeitung THE AMERICAN CONSERVATIVE: "Das Problem mit Europa ist, dass es selbst nicht genug Abschreckung bietet. Europa hat es versäumt, die Initiative für seine eigene Sicherheit zu ergreiffen. Angesichts Trumps Entschlossenheit, den Krieg in der Ukraine mit oder ohne Europa am Verhandlungstisch zu beenden, haben die Europäer nun die Botschaft verstanden: 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist es an der Zeit, dass sie auf eigenen Beinen stehen. Ob sie das tatsächlich tun werden, bleibt eine offene Frage. Die US-Regierung indes muss sich mit der Frage befassen, wie eine gerechte und sichere europäische Lösung gefunden werden kann, die Sicherheitsanforderungen jedes Staates von Lissabon bis Wladiwostok berücksichtigt. Es liegt im amerikanischen Interesse, dass auf dem Kontinent Eintracht herrscht. Dazu muss unter anderem die Rolle Amerikas in Europa entmilitarisiert werden. Nach der Ukraine kommt die harte Arbeit: die Friedensstiftung." Das war ein Auszug aus THE AMERICAN CONSERVATIVE.
Als zweitgrößter Truppensteller der NATO fällt der Türkei als strategisch wichtiger Akteur in der Region eine besondere Rolle zu. Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT erinnert: "Ankara hat seine Position in der ersten Phase des Ukrainekriegs, bei der Annexion der Krim im Jahr 2014, deutlich gemacht, und bleibt auch bei dieser Position. Die türkische Regierung betont jedes Mal, dass die territoriale Integrität der Ukraine gewährleistet werde müsse. US-Präsident Trump kann immer noch nicht aufhören, Russland zu loben und die Ukraine zu verfluchen. Die Türkei kann sich den Luxus einer Konfrontation mit der westlichen Welt, insbesondere mit den USA, jedoch nicht leisten", warnt MÜSAVAT aus Baku.
Nun in den Nahen Osten. Der Austausch von palästinensischen Gefangenen und israelischen Geiseln ist Teil eines Waffenstillstandabkommens zwischen Israel und der Hamas. Das LUXEMBURGER WORT verurteilt die Hamas für die Zurschaustellung der Opfer: "Es war ein makabres Schauspiel, das sich am Donnerstag der Öffentlichkeit darbot: Die Hamas inszenierte die Übergabe vier toter Geiseln wie ein Volksfest, mit Jubelgeschrei und Schmähungen. Die Nachricht, die sie vermitteln will: Seht her, das sind unsere Feinde. Wir haben das Recht, sie zu töten. Die Bilder, die die Hamas bewusst kreierte, untermauern nur, dass es den Terroristen nicht um eine friedliche Koexistenz mit Israel geht. Sondern um das Befeuern todbringender Feindbilder und der Gewaltspirale. Gestern explodierten Bomben in Tel Aviv. Israels ultrarechter Premier Benjamin Netanjahu kündigte daraufhin 'Anti-Terror-Aktionen' im Westjordanland an", bemerkt das LUXEMBURGER WORT
"Die Hamas zeigt erneut ihre menschenverachtende Fratze", titelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: "Es ist zu hoffen, dass inzwischen auch die arabischen Staaten verstanden haben, dass es keine Zukunft mit der Hamas geben kann. Dieser Tage beraten sich die Golfstaaten, Ägypten und Jordanien, wie sie Donald Trumps radikalem Plan für die Entvölkerung des Gazastreifens entgegentreten können. Sie müssen nun beweisen, dass sie ihre Druckmittel, über die sie gegenüber der Hamas durchaus verfügen, auch einsetzen können. Gelingt es ihnen nicht, die Islamisten davon zu überzeugen, abzutreten und die Waffen niederzulegen, stehen dem Gazastreifen weitere Jahre des Krieges bevor."