
Der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz lobt das Wahlergebnis als Zeichen einer starken Demokratie: "Deutschland, oft belächelt, kritisiert und verhöhnt, hat mit diesen in Rekordzeit organisierten Wahlen und seiner demokratischen Reife weite Teile der Welt beschämt. Während sich das Wahlvolk in den USA oder in Argentinien vermeintlich starken Männern und ihrer Lust am Chaos anvertraut, während die Bevölkerung Russlands weiter blind ihrem Herrscher in einen Abgrund aus Krieg und Tod hinterhermarschiert, zeigen die Deutschen, dass man sich auch anders entscheiden kann. Zwar gehört zu den Wahlsiegern mit der AfD ebenfalls eine Partei, die autoritären Modellen zuneigt und ein völkisches Weltbild pflegt. Doch trotz schlechter Wirtschaftsdaten und hitziger Debatten um Migration und straffällige Asylbewerber kam die AfD am Ende 'nur' auf 20 Prozent, viel weniger als ihre Entsprechungen in anderen Ländern", hält der TAGES-ANZEIGER aus Zürich fest
"Wir können erleichtert aufatmen", schreibt die lettische Zeitung NEATKARĪGĀ RĪTA AVĪZE: "Das Ergebnis war, gemessen an der Realität in Deutschland, das bestmögliche. Das linkspopulistische BSW hat den Einzug in den Bundestag verfehlt, und es wird Deutschland leichter fallen, eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen, wenn die Putin-Unterstützerin Sahra Wagenknecht draußen ist und im Bundestag nur noch die AfD eine explizit prorussische und antiukrainische Linie verfolgt. Wäre das BSW in den Bundestag eingezogen und hätte die AfD noch mehr Mandate, wäre es schwieriger für die künftige deutsche Regierung, die Ukraine zu unterstützen und damit eine Politik zugunsten der Sicherheit in ganz Europa zu führen", stellt NEATKARĪGĀ RĪTA AVĪZE aus Riga klar.
DIE PRESSE aus Österreich empfiehlt: "Wer extreme rechte Parteien wirklich bekämpfen will, sollte keine Brandmauern errichten, sondern Brücken bauen. Und zwar Brücken zu den Wählerinnen und Wählern extremer Parteien. Deren Anliegen, Ängste und Sorgen gehören nicht hinter Brandmauern, sondern vor den Vorhang, ins Zentrum der politischen Debatte. Bürgerliche Parteien haben von ihrer Grundanlage her das Potenzial, solche Brücken zu bauen, diese Themen wahrzunehmen und aufzunehmen – und sie im politischen Prozess zu bearbeiten. Die Union mit Friedrich Merz hat mit ihrer Wahlkampagne den ersten Schritt des Ernstnehmens gemacht, jetzt muss der zweite Schritt der Umsetzung in der Regierungsarbeit folgen", konstatiert DIE PRESSE aus Wien.
Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT blickt auf die Herausforderungen für die Wahlsieger: "Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz ist allem Anschein nach energischer als sein zögerlicher Vorgänger Olaf Scholz. Aber Merz wird es nicht leicht haben. Es wird alles andere als einfach sein, sowohl den rechten Flügel von CDU/CSU als auch den linken Flügel der SPD mit ins Boot zu holen, insbesondere bei einem Thema wie der Migration. Zudem erfordert die Stärkung der Verteidigung und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hohe Investitionen, während die finanziellen Möglichkeiten durch eine schwächelnde Wirtschaft eingeschränkt sind. Die Aufnahme neuer Schulden wird durch eine im Grundgesetz verankerte Bremse erschwert", befindet DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
EKONOMI aus Istanbul bezweifelt, dass die neue deutsche Führung den wirtschaftlichen Trend umkehren kann: "Kurzfristig erscheint dies unwahrscheinlich. Neben dem kriegsbedingten Energieschock gibt es weitere strukturelle Probleme. Die deutsche Wirtschaft ist zu stark vom Export abhängig. Die Infrastruktur ist veraltet und muss erneuert werden. Die Digitalisierung hinkt anderen Industrieländern hinterher. Und Merz' Lösungsvorschläge sind zu unkonkret", urteilt die türkische Zeitung EKONOMI.
"Kaum hatte er die Bundestagswahl gewonnen, musste Friedrich Merz seine eingefleischte Amerikabindung beerdigen", bemerkt die französische Zeitung LES DERNIÈRES NOUVELLES D’ALSACE: "Der Unionschef forderte eine Stärkung der europäischen Verteidigung, damit der alte Kontinent 'schrittweise Unabhängigkeit' von den USA erlangt. Sein Eingeständnis kommt einer Kulturrevolution für ein Land gleich, das dem 'großen Bruder', der es vor 80 Jahren vom Nationalsozialismus befreit hat, tief verbunden ist. Es ist auch ein Hinweis auf die enormen Herausforderungen, denen sich der zukünftige Kanzler auf der internationalen Bühne und im Inland stellen wird", notiert LES DERNIÈRES NOUVELLES D’ALSACE aus Straßburg.
Die taiwanesische Zeitung LIANHE RIBAO überlegt, wie die China-Politik der neuen deutschen Regierung aussehen wird: "Da mit einer zunehmenden Konfrontation zwischen den USA und China zu rechnen ist, wird die neue deutsche Regierung unter Merz wahrscheinlich die wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit mit Peking beibehalten wollen, gleichzeitig aber auch die Schrauben bei chinesischen Technologieunternehmen wie Huawei und TikTok anziehen. Zudem wird man sich in Berlin künftig noch stärker asiatischen Ländern wie Indien, Japan und Südkorea zuwenden, um durch diversifizierte Lieferketten die Abhängigkeit vom Handelspartner China zu verringern", erwartet LIANHE RIBAO aus Taipeh.
Nun zur Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, wo die USA gestern gegen eine Resolution gestimmt haben, die Russland als Aggressor im Krieg gegen die Ukraine bezeichnet. "Was für ein bedauerlicher Moment", findet das WALL STREET JOURNAL: "Zwar hat die Resolution keine praktische Konsequenz, aber sie verdeutlicht doch Trumps Hinwendung zu Russland in diesem Konflikt. Dabei war die Resolution nicht einmal besonders aussagekräftig. Aber offenbar war selbst dies eine zu starke Rüge für Wladimir Putin, die Präsident Trump bei seinen Verhandlungen über ein Ende des Ukraine-Kriegs nicht hinnehmen wollte."
Bei der Generalversammlung haben die USA eine zweite, russlandfreundliche Resolution durchgesetzt. Ein Gastkommentator schreibt dazu in der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio: "Mit dieser Resolution entwickeln sich die Dinge genauso, wie es sich die neue US-Regierung gewünscht hat. Großbritannien und Frankreich sind anderer Meinung als die USA, haben aber kein Veto eingelegt. Das zeigt, dass die beiden Staaten weder einzeln noch gemeinsam in der Lage sind, sich gegen die USA durchzusetzen. Ein detaillierter Friedensplan muss zwar erst noch entworfen werden - aber kann er die Unabhängigkeit und die Sicherheit der Ukraine wirklich garantieren? Klar ist: Die internationale Gemeinschaft steht zweifellos an einem historischen Wendepunkt."
Die spanische Zeitung EL PAIS verweist auf die Bedeutung der von der EU und der Ukraine gemeinsam eingebrachten Resolution: "Europa sendet eine klare Botschaft: Es wird keinen ungerechten Frieden akzeptieren, bei dem der Aggressor ungestraft davonkommt, und auch keine blinde Unterordnung unter die amerikanischen Interessen. Es reicht aber nicht aus, nur Erklärungen abzugeben. Man muss US-Präsident Donald Trump persönlich konfrontieren. Um dies zu tun, war der französische Präsident Emmanuel Macron gestern im Weißen Haus. Bei seinem gemeinsamen Auftreten mit Trump wählte er eine äußerst diplomatische Sprache, aber er stellte trotzdem eindeutig die europäische Position klar: Frieden kann nicht die Kapitulation der Ukraine bedeuten", unterstreicht EL PAIS aus Madrid.
"Trump zeigte sich bei seinem Treffen mit Macron als äußerst wohlwollend gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj", beobachtet die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA: "Warum dieser plötzliche Kurswechsel in Donald Trumps Haltung gegenüber der Kiew? In den letzten Tagen hatte Trump eher Putins Erwartungen weitgehend erfüllt. Der Kreml reagierte jedoch nicht mit Zugeständnissen, sondern hielt an seinen Maximalforderungen fest. Trump ist offenbar zu dem Schluss gekommen, dass er an diesem Punkt der Verhandlungen Druck auf die Russen ausüben müsse", hält RZECZPOSPOLITA aus Warschau fest, und damit endet die Internationale Presseschau.