
"Die ganze Sache ist einfach nur beschämend", lesen wir in der NEW YORK TIMES. "Trump versucht tatsächlich, vom russischen Einmarsch in der Ukraine Profit aus den Ukrainern zu schlagen, ohne vom russischen Machthaber Putin Reparationen zu verlangen oder künftigen Schutz für Kiew zu versprechen. Trump missversteht Putin völlig, wenn er glaubt, Putin brauche nur ein wenig Verständnis, ein wenig Sorge um seine Sicherheitsbedürfnisse – eine Umarmung! – und er wird den Frieden unterzeichnen, den Trump sich so sehr wünscht. Unsinn", zeigt sich die NEW YORK TIMES empört.
Die aserbaidschanische Zeitung ADALET, die in Baku erscheint, ergänzt: "Der ukrainische Präsident Selenskyj weigerte sich offenbar zunächst, zuzustimmen, weil eine Klausel über Sicherheitsgarantien fehlt. Damit zog er den Zorn des US-Präsidenten auf sich. Trump scheute nicht einmal davor zurück, Selenskyj zu beleidigen. Man kann nicht gerade behaupten, dass das Abkommen für Kiew von Vorteil wäre. Das ukrainische Volk wird noch fünf Generationen lang seine Schulden bei den USA zurückzahlen müssen."
Die dänische Zeitung POLITIKEN meint: "Trumps Version von einem Frieden in der Ukraine ist angeblich in wenigen Wochen zu erwarten. Seine Forderung nach einem privilegierten Zugang zu ukrainischen Rohstoffen wird bald erfüllt. Nur eines fehlt: glaubwürdige Sicherheitsgarantien für Kiew. Dabei regnen nach wie vor Bomben und Raketen über die Ukraine herab, und der Absender ist derselbe wie in den letzten drei Jahren. Aber Putin kann sich im Kreml zurücklehnen und befriedigt zusehen, wie Europa und die Ukraine verzweifelt um einen Platz an dem Verhandlungstisch ringen, an dem über ihre Zukunft entschieden wird. Oberflächlich betrachtet gelang es dem französischen Präsidenten Macron bei seinem Besuch im Weißen Haus, den Eindruck von einem engen Verhältnis zwischen Europa und den USA aufrechtzuerhalten. Aber bei näherer Betrachtung wird klar, dass sich das unverbrüchliche Verhältnis in eine transatlantische Zwangsehe verwandelt hat", ist sich POLITIKEN aus Kopenhagen sicher.
In der polnischen Zeitung RZECZPOSPOLITA heißt es dazu: "Obwohl Trump Macron Komplimente machte, erniedrigte er ihn auch mehrfach. Er begrüßte ihn nicht an der Tür des Weißen Hauses und setzte ihn während der G7-Beratung auf einen Stuhl an der Ecke des berühmten Präsidentenschreibtisches. Zudem packte er ihn während des Medientermins an der Hand, unterbrach ihn und stellte die Worte des französischen Präsidenten infrage. Macron wiederum korrigierte die Worte Trumps, als dieser behauptete, Europa mache der Ukraine keine Geschenke, sondern leihe ihr nur Geld." So weit die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Nun zur Rolle Deutschlands. "Viele hoffen nach der Bundestagswahl, dass Deutschland seine Funktion als Motor der europäischen Politik und Wirtschaft zurückgewinnt", hebt die norwegische Zeitung DAGBLADET aus Oslo hervor. "Dabei geht es nicht zuletzt darum, dass Europa geeint an der Seite der Ukraine steht, sich der russischen Kriegsführung widersetzt und eine konsequente Haltung gegenüber den immer bizarrer werdenden Vorstößen der USA einnimmt. Gleichzeitig ist das eine Bühne, auf der Friedrich Merz wenig Erfahrung hat. Diese außen- und innenpolitischen Herausforderungen werden schwer auf seinen Schultern lasten, und je länger die Verhandlungen über eine Regierungsbildung dauern, desto mehr Chaos droht."
NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Japan schreibt: "Das aktuelle politische Vakuum in Deutschland nach der Bundestagswahl ist beunruhigend. Bis zur Bildung der nächsten Regierung scheint es noch eine Weile zu dauern. Aber die Position der größten Wirtschaftsmacht Europas ist wichtig, auch was das Verhältnis zu Washington anbelangt. Der mögliche nächste Kanzler Merz wird sich bald entscheiden müssen, wie die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine aussehen soll", meint der Kommentator in NIHON KEIZAI SHIMBU aus Tokio.
Die lettische Zeitung DIENA aus Riga fasst zusammen: "Unter Trump haben die USA ihre Prioritäten anders gesetzt und wandten sich Indien und der Pazifikregion zu. Das könnte allerdings auch Chancen für Deutschland bedeuten, eine führende Rolle in einem vereinten Europa zu übernehmen - und ein solcher Zugewinn an Souveränität ist ein alter Traum der Konservativen."
Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA meint zu den europäischen Überlegungen für eine engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung: "Die Möglichkeiten der EU und Großbritanniens sind zweierlei: die Entsendung von Soldaten in die Ukraine zur Friedensabsicherung und eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben. Die Befürworter sind bisher der britische Premierminister Starmer und Frankreichs Präsident Macron. Warschau führt die Front derer an, die die Militärausgaben innerhalb der Nato auf mindestens 3,5 Prozent des BIP erhöhen wollen, wenn nicht mehr. Der neue deutsche Bundeskanzler in spe, Merz, kann an beiden Fronten entscheidend sein, denn Deutschland ist das größte Land in der EU." Sie hörten einen Kommentarauszug aus LA REPUBBLICA, die in Rom erscheint.
"Europa braucht eigene europäische Atomwaffen", fordert die Zeitung LIDOVE NOVINY aus Tschechien. "Denn auf die amerikanischen Kernwaffen kann man sich offensichtlich nicht mehr verlassen, wenn es um die Abschreckung von Feinden geht. Großbritannien und Frankreich verfügen bereits über Atombomben. Andere Länder könnten sie sich beschaffen, etwa Deutschland oder vielleicht Polen. Wir in Tschechien haben diese Möglichkeit allein schon deshalb nicht, weil wir diese Art von Waffen nirgendwo testen könnten. Und ohne einen demonstrativen Atomwaffentest funktioniert die Abschreckung nicht glaubwürdig. Deutschland könnte alternativ unter den atomaren Schirm Frankreichs und Großbritanniens schlüpfen. Doch werden deren derzeitige Kapazitäten nicht ausreichen, um Russland abzuschrecken. Zudem wäre es besser, eine gemeinsame europäische Kontrolle über das Atomwaffenarsenal zu haben", betont LIDOVE NOVINY aus Prag.
Der Kommentator im britischen GUARDIAN blickt auf die Herausforderungen, die vor Europa liegen: "Solange Donald Trump im Weißen Haus sitzt, wird es keinen 'Westen' als einzelnen geopolitischen Akteur geben. Das freie Europa, das wir seit 1949 aufgebaut haben, wird von innen und außen angegriffen: Ein antiliberales, populistisch-nationalistisches Europa ist auf dem Vormarsch. Wir müssen rasch eine viel stärkere gemeinsame europäische Verteidigung aufbauen, einschließlich Großbritanniens. Wir alle, vor allem aber Deutschland, müssen die sozioökonomische und geografische Ungleichheit angehen, die die Wähler zu den Populisten getrieben hat. Wir müssen die irreguläre Einwanderung kontrollieren und gleichzeitig die Integration einer großen Zahl von Einwanderern zum Erfolg führen", lautet die Enschätzung im GUARDIAN aus London.
Abschließend ein Kommentar zum möglichen Kurs von Friedrich Merz gegenüber China. In der in Schanghai erscheinenden Zeitung WENHUIBAO heißt es: "Zwar hat der zuweilen ungestüme CDU-Chef im Wahlkampf eine harte Haltung gegenüber China an den Tag gelegt, aber im Wesentlichen ist seine Politik nach wie vor auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtet. Je mehr Druck Trump auf Europa ausüben wird, desto weniger wird sich Deutschland einen Konfrontationskurs gegenüber China leisten können. In einer Zeit mit vielen Unsicherheiten in der globalen Geopolitik liegt eine pragmatische Zusammenarbeit im grundlegenden und langfristigen Interesse der Menschen in China und in Deutschland." Mit diesem Auszug aus der chinesischen Zeitung WENHUIBAO endet die internationale Presseschau. Die Redaktion hatten Ann-Christin Heidrich und Niklas Hesselmann; SprecherIn: