
"Europa muss jetzt schnell lernen, sich ohne die USA zu verteidigen. Und es muss für seine Verbündeten – vor allem für die Ukraine – ein verlässlicher Partner sein", betont die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz in ihrem Kommentar zum Brüsseler Gipfel: "Ohne das größte und wirtschaftlich stärkste Land in der Mitte geht es nicht. Mit Friedrich Merz wird nun endlich ein überzeugter Europäer Bundeskanzler, der sich für die Zusammenarbeit mit Warschau, Paris und Brüssel interessiert. Mit seiner Kehrtwende in der Schuldenfrage rückt Merz zwar von seinen Prinzipien und Versprechungen ab. Letztlich beweist er damit aber strategische Weitsicht. Neue Zeiten verlangen neue Maßnahmen. Die Erwartungen, die sich an Merz richten, sind groß: 'Die Messlatte ist Adenauer', sagt der ehemalige Außenminister Joschka Fischer. Er übertreibt nicht."
"Die Europäische Union war als wirtschaftlicher Riese lange militärisch ein Zwerg", räumt der britische INDEPENDENT ein. Dann gibt das Londoner Blatt aber zu bedenken: "Die EU entwickelt in rasantem Tempo eine gemeinsame Identität im Bereich Verteidigung und Sicherheit. Es gibt hoffnungsvolle Zeichen. Neben Olaf Scholz nahm auch der wohl künftige deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz an dem Gipfeltreffen teil, der das Ausmaß des geopolitischen Wandels, den Präsident Trump herbeigeführt hat, am deutlichsten zum Ausdruck gebracht hat. Dieser Wandel geht über den Verrat an der Ukraine hinaus - der allein schon schlimm genug ist - und führt dazu, dass Trump im günstigsten Fall zu einem halbherzigen und unzuverlässigen Verbündeten Europas wird und im schlimmsten Fall zu einem uneingeschränkten Partner Russlands, der Europa offen feindlich gegenübersteht."
"Es ist offensichtlich, dass Trump russische Interessen vertritt", ist die brasilianische Zeitung O GLOBO aus Rio de Janeiro überzeugt: "Ebenso offensichtlich ist, dass ein gestärkter Putin nicht nur eine Gefahr für die Ukraine, sondern auch für den Frieden im übrigen Europa ist. Der französische Präsident Macron fasste es auf dem EU-Gipfel so zusammen: Es wäre schöner, wenn die USA auf der Seite der Europäer blieben, aber Europa müsse sich darauf vorbereiten, dass dem nicht mehr so sein könnte. Die neue Welle der Aufrüstung birgt in sich das Risiko, dass sich der Konflikt ausweitet, aber Europa hat keine andere Wahl."
POLITIKEN aus der dänischen Hauptstadt Kopenhagen notiert: "Ausgerechnet die Deutschen haben weitreichende Pläne vorgelegt, wie sie schwindelerregende Summen in die Rüstung fließen lassen wollen und gleichzeitig sollen die Haushaltsregeln dauerhaft gelockert werden. Willkommen in Europas neuer Wirklichkeit."
DE TELEGRAF aus Amsterdam richtet den Fokus auf die Initiative des französischen Präsidenten, verbündete Länder unter den Schutz der französischen Atomwaffen zu stellen: "Macron hat völlig recht, dass eine nukleare Abschreckung gegen den russischen Aggressor notwendig ist. Und wenn die Amerikaner Europa fallen lassen, wird es auf den Schutz der einzigen verbleibenden europäischen Atommächte ankommen: Frankreich und Großbritannien."
Die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA sieht... "...die Europäische Union vor einem Wettrüsten. Im Rahmen der größten Sicherheitsinitiative Europas seit dem Kalten Krieg werden zusätzliche Verteidigungsmittel in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro bereitgestellt. Sieht man sich die Waffen-Beschaffungsliste genau an, wird auch einem Laien klar, dass darin nicht die Defensiv-, sondern die Offensivwaffen dominieren. Sie sollen nicht für die Abschreckung dienen, sondern für potenzielle Aggressionen", schreibt die NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
JIEFANG RIBAIO aus China merkt an: "Brüssel will bis zu 800 Milliarden Euro für die Stärkung seiner Verteidigungsfähigkeit mobilisieren und der französische Präsident bietet der EU gar einen Atom-Schutzschirm an. US-Präsident Trump hat in zweierlei Hinsicht gewonnen: Wie von ihm gewünscht, lobt der ukrainische Präsident Selenskyj nun nicht nur die amerikanische Unterstützung und bedauert das Geschehene im Weißen Haus, auch Europa wird jetzt endlich tätig und nimmt seine Sicherheit und Verteidigung in die eigenen Hände", so die Sichtweise der JIEFANG RIBAIO aus Shanghai.
NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Japan traut der EU zu, auf eigenen Beinen zu stehen: "Sicher will US-Präsident Trump die multilaterale Weltordnung ins Wanken bringen und andere Staaten schwächen, um die USA mächtiger zu machen. Die Europäer haben schnell erkannt, dass die USA unter Trump nicht mehr ihr Verbündeter von einst sind. Trump hat auch bereits großen Schaden angerichtet, aber mit fast 500 Millionen Einwohnern sowie der Atommacht Frankreich ist die EU stark genug, um in dieser neuen Welt zu überleben", findet NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
THE WASHINGTON POST meint: "Trumps Außenpolitik ist wie Jazz - ohne Struktur und mit ständiger Improvisation. Am Ende könnte sie Leben retten - oder noch mehr Ukrainer und Russen in den Tod reißen. Trumps Vorschlaghammer-Diplomatie hat die Ukraine an den Verhandlungstisch gezwungen. Aber Kiew unter Druck zu setzen, war einfach. Wenn Trump wirklich Frieden in der Ukraine schaffen will, beginnt jetzt der schwierige Teil: Jetzt muss er Russland zu Zugeständnissen zwingen, sonst verliert Trump jede Glaubwürdigkeit als Friedensstifter."
"Will Trump Russland etwa zu einem Verbündeten der USA machen?", fragt die türkische Zeitung SABAH und fügt als Erklärung für ihre Vermutung an: "Als der syrische Präsident Assad im Dezember gestürzt wurde, war der Grund für den stillen Rückzug Russlands aus der Region der Ukraine-Deal zwischen Trump und Putin. Die jüngsten Entwicklungen bestätigen diese These. Trump wirft den ukrainischen Präsidenten Selenskyj aus dem Weißen Haus und bezeichnet ihn als Diktator. Die Krim sowie der Donbas und Luhansk, die Putin der Ukraine im letzten Krieg entrissen hat, werden sicherlich bei Russland bleiben. Und es ist wahrscheinlich, dass der Flirt zwischen den USA und Russland nicht auf die Ukraine-Frage beschränkt bleibt. Trump will Putin einspannen, um China zu isolieren, das er als 'Bedrohung Nummer eins' ansieht", beobachtet SABAH aus Istanbul.
THE AUSTRALIAN aus Sydney glaubt, eine Erklärung für Trumps Ukraine-Politik zu haben: "Hinter der radikalen Kehrtwende stecken wirtschaftliche Interessen. Wegen der wirtschaftlichen Probleme der USA will Trump die Ukraine in einem womöglich noch langen Krieg nicht mehr weiter unterstützen."
Die kanadische Zeitung THE AGE DISPATCH aus Strathroy geht auf die von US-Präsident Trump unter anderem gegen Kanada verhängten Zölle ein: "Wir sind im Handelskrieg. Trump hat am Dienstag mit seinen Zöllen die erste Salve abgefeuert und Kanada hat das Feuer erwidert. Der US-Präsident hat die Entschlossenheit Kanadas unterschätzt: Der wahre Norden bleibt stark und frei!"
Weil Trump nach den Kursverlusten an der Wall Street und auf Bitten amerikanischer Großkonzerne die Zölle gegen Kanada zum Teil wieder zurückgestellt hat, stellt THE GLOBE AND MAIL aus Toronto fest: "Kanada hat den USA in diesem 'Zoll-Zirkus' die Stirn geboten - und Trump zuckt zurück."
THE STRAITS TIMES aus Singapur führt zum Hin- und Her um amerikanische Zölle an: "Trumps Äußerungen zu Zöllen nachzuverfolgen, ist eine schwindelerregende Aufgabe. Sie schwanken zwischen konkreten Ankündigungen und vagen Drohungen. An einem Tag will er die vernetzte nordamerikanische Wirtschaftssystem zerstören, am nächsten beschwichtigt er die Autohersteller, die von dieser Vernetzung abhängig sind. Wenn es um China geht, schwankt er zwischen immer höheren Zöllen auf chinesische Waren und dann wieder Andeutungen, dass er ein gigantisches Handelsabkommen anstrebt. Es wäre geradezu komisch, wenn die Folgen nicht so gravierend wären - für Amerika und den Rest der Welt", konstatiert THE STRAITS TIMES zum Ende der internationalen Presseschau.