Das 8. Quartett ist zudem das einzige Werk, das Dmitri Schostakowitsch außerhalb seiner Heimat schrieb. In der DDR. In Gohrisch, einem kleinen Kurort in der Sächsischen Schweiz. Der Publizist Bernd Feuchtner hat dies in den 90er Jahren recherchiert und publiziert:
"Er sollte damals 1960 in Dresden eine Filmmusik komponieren. Ein Film über die Rettung der Alten Meister Galerie durch die Rote Armee nach dem Krieg. Ein Propagandafilm. Er hat sich das alles angeguckt, war sicherlich auch von der zerstörten Stadt beeindruckt. Aber gedacht hat er daran, daß er selber durch die politischen Verhältnisse zu so einer Ruine wie die Frauenkirche geworden ist, und hat dann das 8. Streichquartett komponiert, was sozusagen ein Nachruf auf sich selbst ist. Und das hat er hier in Gohrisch getan, wo ihn die DDR in einem Regierungsheim untergebracht hat."
Wiederum Jahre später fand der Dresdner Musikwissenschaftler Tobias Niederschlag diese Geschichte:
"Ich bzw. wir – ich bin ja hauptberuflich bei der Sächsischen Staatskapelle als Konzertdramaturg tätig – haben 2009 gemeinsamen mit einigen Gohrischerinnen und Gohrischern, unter anderem auch dem damaligen Bürgermeister, einen Verein gegründet, um erst einmal nur das Andenken an Schostakowitschs Aufenthalte hier ins Bewußtsein zu rufen und lebendig zu halten. Aber sehr schnell kam dann natürlich auch die Idee, daß man das mit Musik machen sollte, mit Musikern der Staatskapelle, und auch, daß man es mit einer gewissen Regelmäßigkeit machen soll. So ist also dieser Festivalgedanke entstanden."
Schlichter Konzertraum
In Gohrisch geschieht alles auf engem Raum: Proben, Musizieren, Reden über die Musik. Alles in und um die "Konzertscheune". Es ist kein romantischer Ort, sondern eine schlichte Halle: Betonwände, Dachstuhl, Asbestdach. Die Akustik jedoch ist grandios: Die zarten, ergreifenden Piano-Töne von Schostakowitschs 15. Streichquartett, gespielt vom belgischen Quartett Quatuor Danel, drangen mühelos bis weit in die 20. Reihe.
Musik: Schostakowitsch, Streichquartett Nr. 15, Quatuor Danel
Trauer, Todessehnsucht, Stillstand, Resignation sprechen aus den flächigen Sätzen; die präzise und bitter akzentuierten melodischen und rhythmischen Ausbrüche verhallen im Nichts, enden in Resignation.
Das Gohrischer Publikum reagierte vor den 6 Adagio-Sätzen nicht etwa, wie Schostakowitsch es einmal als Spielanweisung gegeben haben soll, mit Flucht, sondern mit äußerster Konzentration, lange ergriffenem Schweigen danach und frenetischem Applaus. Ein Zeichen dafür, dass Publikum und Programm sich nur finden müssen. Eine Erfahrung, die sich durch die ganzen drei Tage des Festivals zog: Schwerpunkte waren neben Schostakowitsch in diesem Jahr Hanns Eisler und Beethoven. Beifall bekamen die Interpretationen aller drei Komponisten, die offene Begeisterung des Publikums aber zeigte sich vor allem bei Eisler und noch mehr bei Schostakowitsch.
Musiker wiederum finden in Gohrisch ein Publikum, vor dem sie freiwillig für 10 € Honorar spielen –unabhängig von Name und Ruhm. Auch Matthias Wollong, Erster Konzertmeister der Sächsischen Staatskapelle Dresden und des Bayreuther Festspielorchesters:
"Weil man sich der Atmosphäre hier nicht entziehen kann, weil es einem wichtig ist und weil es der einzige authentische Ort ist, an dem man Schostakowitsch erleben kann in Deutschland. Und das ist nun ausgerechnet ziemlich nahe an Dresden. Und deswegen sehen wir das als unsere originäre Aufgabe an, hier auch Schostakowitsch zu pflegen."
Musik: Schostakowitsch, Klaviertrio Nr. 2, op. 67
Wollong führte mit Anna Vinnitskaya und Isang Enders Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 auf – und so fand auch ein zentrales Motiv des 8. Streichquartetts in die Konzertscheune.
Drei Tage, drei Komponisten
Die drei Tage präsentierten in sechs Konzerten den ganzen Schostakowitsch: den leidenden, den von Angst zerfressenen, den fröhlichen, den witzigen, den ironisch bis sarkastischen und sogar – in seinen Liedern – den romantischen.
Musik: Becher/ Eisler: Wenn Arbeiter und Bauern
Schostakowitsch- und Eisler-Lieder gab es an drei Stationen auf einer sonnig-regnerischen Wanderung rund um Gohrisch mit dem Vocal Concert Dresden unter Peter Kopp. Hier überraschend auch den in seiner Musik selten witzigen amerikanischen Exil-Eisler, aber auch den Staatskomponisten Nr. 1 der DDR mit den mitunter eher schlichten "Neuen Deutschen Volksliedern".
"Wir haben uns natürlich auch Gedanken gemacht, wie das jetzt aufgenommen wird."
Kerstin Döhring vom Vocal Concert Dresden
"Wenn man jetzt diese Melodien singt, diese Euphorie und dann diese Art schlagerartigen Melodien verfällt man selber manchmal auch in diesen Palam-Pallah, in diese Freude rein. Und das kannst du nicht machen mit den Texten, also nicht mit dem Hintergrund, wenn du im Geschichtsunterricht ein bißchen aufgepaßt hast. Deswegen distanziert man sich ein bißchen davon, so daß man die Emotionen selber nicht bei sich zuläßt, sondern das den Zuschauern überläßt."
Der Brechtsche Verfremdungseffekt bei den Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch. Eine Möglichkeit, Musik zu präsentieren, die im Guten wie im Schlechten politisch war – freiwillig wie bei Eisler oder erzwungen wie bei Schostakowitsch. Das Publikum dankt es und wird wohl auch im nächsten Jahr schon viele Karten bestellen, bevor das Programm überhaupt bekannt ist.