Christiane Kaess: Die Nerven behalten, das ist der Appell der britischen Premierministerin an die britischen Abgeordneten. Theresa May bat gestern das Unterhaus in London noch einmal um Geduld in Sachen Brexit. Sie glaubt, ihre Gespräche in Brüssel befinden sich in einer entscheidenden Phase, um ein Abkommen zu erreichen, das auch das Parlament unterstützen könnte. Bisher aber hat Theresa May keine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich, und aufseiten der EU gibt man sich standfest. Brüssel lehnt Nachverhandlungen ab.
Dreh- und Angelpunkt ist immer noch der sogenannte Backstop, der eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland verhindern soll, und den vor allem die Brexiteers in Großbritannien ablehnen, während Brüssel darauf besteht. Wie aber sieht man in Irland die Entwicklungen um den Brexit? Die Menschen dort sind schließlich in erster Linie vom sogenannten Backstop betroffen. Derek Scally ist Korrespondent der irischen Tageszeitung "Irish Times" in Berlin, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Scally!
Derek Scally: Schönen guten Morgen, Frau Kaess!
"Die Briten spielen mit ihren eigenen Bürgern"
Kaess: Theresa May sagt ja, ein Deal mit der EU ist möglich durch Änderungen am Backstop. Sehen Sie irgendwelche Bewegungen in der Sache?
Scally: Zunehmend haben wir den Eindruck in Dublin, dass die Briten auf Zeit spielen. Schließlich wurde ihr EU-Berater, Olly Robbins, in einer Kneipe in Brüssel gehört von einem britischen Korrespondenten, der meint, er sagt, der Olly Robbins, ja, ja, wir werden einfach weiter reden und dann kriegen wir hoffentlich eine Verlängerung nach dem 29. März, und dann schauen wir weiter. Das ist nicht gerade ermutigend. Wir wollten das nicht glauben, dass es einfach so dieses Spielchen gibt. Aber wenn das stimmt, ist das einfach – erstens gibt es keinen Plan, zweitens gibt es keine Ideen, und drittens kein Dringlichkeitsgefühl der Briten. Und wenn das so wäre, und das ist nur eine Vermutung, dass der das gesagt hat, aber wenn das so wäre, heißt das einfach, sie spielen einfach auf Zeit, sie spielen mit ihren eigenen Bürgern, aber auch mit den Bürgern der Republik von Irland. Für uns ist der Brexit tatsächlich eine Frage von Frieden, aber auch von Wohlstand.
Kaess: Und der Dreh- und Angelpunkt bei diesem Konflikt ist einfach nach wie vor der Backstop als Garantie dafür, dass die Grenze zwischen dem Vereinigten Königreich und Irland offen bleibt. Wie wichtig ist das den Iren?
Scally: Das ist einfach ganz wichtig. Wir wollen einfach in der EU bleiben. Wir wollen nicht in den Schatten von Großbritannien als Nicht-EU-Mitglied fallen. Wir wollen einfach Vollmitglied der EU bleiben. Aber wir sind Handelspartner der EU, und viele Waren fließen von Irland über Großbritannien nach Kontinentaleuropa. Wir reden immer von diesem nordirischen Backstop, diese Grenze soll offen bleiben in Nordirland. Aber wir wollen auch, dass die Grenzen über Großbritannien nach Kontinentaleuropa offen bleiben, dass die Lkws fließen. Erst dann kommen unsere Waren nach Paris und nach Berlin. Und wenn das nicht passiert, ist das für die irische Volkswirtschaft eine Katastrophe. Wir haben also ein existenzielles Interesse, dass alles gut läuft, dass die Grenzen offen bleiben. Aber wir sehen einfach – viele in Dublin sind einfach frustriert. Die Briten wollen alles, aber schlagen nichts vor. Sie sagen, was sie nicht haben wollen, aber das, was sie wollen und wie das funktionieren würde, sodass alles so bleibt, wie es ist, das sagen sie uns nicht.
"Es gibt diesen Verdacht, dass hier Spielchen gespielt werden"
Kaess: Herr Scally, wir hören uns mal an, was John Redwood im Deutschlandfunk vor Kurzem gesagt hat. Er ist konservativer Abgeordneter im britischen Unterhaus, der für den Brexit ist. Er behauptet, die britische Regierung sehe auch bei einem harten Brexit überhaupt keine Notwendigkeit, eine harte Grenze mit Schranken zwischen Nordirland und Irland einzurichten. Und wenn die EU das dann verlange, dazu sagt Redwood:
John Redwood: Dann wird die EU das der Bevölkerung der Republik Irland und der von Nordirland erklären müssen. Das Vereinigte Königreich sieht das nicht so. Und wenn man bestehende Technologie nutzt, dann kann man damit grenzüberschreitenden Handel treiben, auch mit Abgaben, ohne Grenzanlagen, an denen Menschen Geld umrechnen.
Kaess: So weit John Redwood. Herr Scally, halten Sie es für möglich, dass im Falle eines harten Brexits Irland und das Vereinigte Königreich tatsächlich Möglichkeiten finden, keine harte, abgeschottete Grenze einzurichten?
Scally: Das sagen die schon seit zwei Jahren, und sie reden von diesem Zauberwort Technologie. Technik soll das alles möglich machen. Das ist für mich wie ein Science-Fiction-Film. Ich war an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine vor Kurzem. Sie haben alle mögliche Technik da, die es gibt. Aber die Grenze, die Lkws müssen immer noch 24 Stunden warten, weil die Ukraine nicht zur EU gehört. Es dauert also trotzdem Zeit. Die Briten sagen, nein, kein Problem. Aber das Problem ist für Irland, wir sitzen da zwischen zwei Welten. Wir sind vertraglich verpflichtet, die Außengrenze zu schützen. Und wenn das dann eine Außengrenze ist – das ist das Paradox des Brexit –, wenn es schief geht, bekommen wir das, was wir nicht wollen, eine harte Grenze. Aber wir haben nicht für den Brexit gestimmt. Das ist nicht unsere Grenze. Die Briten sagen, nein, das würden wir auch nicht machen. Das erhöht nur noch mal diesen Verdacht, dass hier Spielchen gespielt werden. Nicht nur mit der Regierung in Dublin, sondern mit den 30.000 Menschen, die jeden Tag diese Grenze überqueren. Aber auch für die 3.500 Leute, die in diesem Konflikt gestorben sind. Wir haben Grenze und Grenzinfrastruktur – das wäre wirklich eine Provokation für Leute, die das nicht wollen. Und das wird wieder angegriffen, das sagen alle Experten, und dann haben wir wieder diese Konfliktsituation, die wir vor 20 Jahren hatten.
"Eine Grenze ist eine Grenze ist eine Grenze"
Kaess: Herr Scally, lassen Sie mich da noch mal nachhaken. Das heißt, zu dem, was John Redwood da vorschlägt, diese technischen Möglichkeiten, die es eventuell geben könnte, dazu gibt es im Moment in Irland keine Überlegungen?
Scally: Es gibt keine Überlegungen, weil es sie nicht gibt. Also, es gibt Technik, die man einsetzen kann, um alles zu beschleunigen. Aber eine Grenze ist eine Grenze ist eine Grenze. Und eine Grenze muss kontrolliert werden. Und die Iren sagen das nicht offen, aber wenn es zu einer harten Grenze kommt – es gehört zu den Verpflichtungen der EU-Mitgliedschaft, dass Sie an der Grenze Grenzposten errichten müssen. Sonst wären die Leute in Polen, die die Grenze zur Ukraine kontrollieren, sauer. Sie würden sagen, warum machen wir das hier, wenn in Irland alles offen ist. Entweder wird hier eine Zweideutigkeit geschaffen, es wird zum Beispiel von dem Karfreitagsabkommen in den EU-Regeln eingeschrieben, dass es irgendwas möglich macht für Irland, das sonst nirgendwo in der EU machbar ist, oder die Briten sagen, welche Techniken sie meinen, wann sie das kaufen, und wie das alles gehen wird. Weil bisher hören wir nur ein Wort: Technik. Das ist weder für Dublin noch für Brüssel beruhigend. Es ist eine Regierung, die auf Zeit spielt, die einfach meinen, alles wird gut. Wie es gut wird, sagen wir Ihnen noch nicht, aber wir haben noch ein paar Wochen. Und seit zwei Jahren reden wir. Das ist eine ganz bittere Situation für die Iren.
Kaess: Und es würde ja tatsächlich so kommen, wenn es einen harten Brexit geben würde. Die EU würde dann eine harte Grenze verlangen. Halten Sie es für möglich, dass es zu einem Szenario kommt, dass sich die Regierung in Irland diesem Verlangen der EU widersetzen könnte, weil sie einfach so unter Druck gerät wegen dieser ganzen Faktoren, die Sie beschrieben haben?
Scally: Die Iren sagen seit zwei Jahren, wenn wir das nicht jetzt lösen – sie wollten eigentlich 2017 diese nordirische Grenzfrage geklärt bekommen, weil sie sagen, wenn wir dazu nicht kommen, wird es genauso kommen, wie es jetzt leider gekommen ist. Und sie wollen nicht, dass es wieder verschoben wird. Manche meinen zum Beispiel, Frau Merkel unter anderem, das können wir in dieser Übergangsphase bis 2020 klären. Aber dann werden wir, meinen die Iren, genauso eine Situation haben wie jetzt. Und sie werden die nordirische Grenze dann als Hebel einsetzen, um günstigere Handelsbedingungen zu bekommen. Das ist nicht unbedingt im Interesse der EU. Also, die Iren sagen "Vorsicht". Diese Grenze – wir müssen in der EU alle zusammen bleiben, weil letztendlich ist es eine EU-Grenze, und der nordirische Friedensprozess ist eine EU-Erfolgsgeschichte. Sie müssen unter uns bleiben als EU-Mitglied, sonst würden wir gespalten, und dann versuchen die Briten, weiter ihre Spielchen zu machen. Und das wäre für die Glaubwürdigkeit der EU in Irland extrem schlecht. Bisher haben alle zusammengehalten. Jetzt wird es kritisch. Aber die Briten sind nach wie vor – mit ihren Träumen machen sie weiter, und mit Träumen kann man schlecht Politik machen.
"Die EU war unser Befreiungsschlag von Großbritannien"
Kaess: Noch ganz kurz zum Schluss: Irland ist also zerrissen zwischen der EU-Mitgliedschaft auf der einen Seite und der Verbundenheit zum Vereinigten Königreich auf der anderen Seite. Was wiegt für die meisten Iren schwerer?
Scally: Die EU, ohne Frage. Die EU war unser Befreiungsschlag von Großbritannien. Die Idee, dass wir alles aufgeben würden in der EU, um unsere enge Beziehung zu Großbritannien zu behalten – wir wollen einfach beides haben, wenn es geht. Aber diese grobe Sprache und diese Desinformation aus London damals zur Volksabstimmung, und dieses Gefühl jetzt, dass sie auf Zeit spielen – es wird da unglaublich viel Vertrauen Richtung Großbritannien verloren. Das ist wirklich schade.
Kaess: Sagt der Derek Scally. Er ist Korrespondent der irischen Tageszeitung "Irish Times" in Berlin. Herr Scally, Danke für Ihre Zeit heute Morgen!
Scally: Ich habe zu danken!
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