Archiv

Die Islamische Weltliga und ihre Ziele
Muss Europa muslimisch werden?

Die Islamische Weltliga galt lange als ultra-konservativ. Ihr wurde vorgeworfen, Europa islamisieren zu wollen. Inzwischen kündigt sie an, dass in Saudi-Arabien Kirchen gebaut werden sollen, und rückt ab von einer Schleier-Pflicht für Musliminnen. Echter Wandel oder politische Taktik?

Von Christian Röther |
Auf einem Minarett der Moschee der Türkisch-islamischen Union Ditib steht am 06.06.2017 in Köln (Nordrhein-Westfalen) ein goldener Halbmond.
Blau trifft gold: nicht nur auf der Europaflagge, sondern hier auch über der Zentralmoschee in Köln (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
"Es ist ja nicht so, als ob es einen einheitlichen Islam gäbe, der uns bedrängt. Allerdings muss eines gesagt werden, dass seit den 70er-Jahren die Weltislamkonferenz sich immer wieder Europa als Zentrum der Islamisierung auf‘s Programm gesetzt hat. Europa muss muslimisch werden."
Notker Wolf, langjähriger Abtprimas der benediktinischen Konföderation, in einem Interview im Deutschlandfunk.
"Nicht Islamismus in dem Sinn, aber echt muslimisch werden. Mich hat immer gewundert, dass es nie realisiert wurde. Erst jetzt kommen solche Fragen hoch."
Notker Wolf beim Kongress filmtonart - Tag der Filmmusik zum Auftakt des 32. Filmfests München beim Bayerischen Rundfunk. München, 27.06.2014
Notker Wolf, ehemaliger Abtprimas der benediktinischen Konföderation (imago / D. Bedrosian)
Ein muslimisches Europa. Darauf hoffen nicht wenige Islamisten – und viele Menschen fürchten sich davor. Doch wie berechtigt sind solche Ängste? Auf Islamisierungsphantasien unter Muslimen weisen auch Menschen hin, die mit dem Islam in einem wohlwollenden Dialog stehen – wie Notker Wolf. Der Benediktiner ist weltweit unterwegs – als Christ, als Missionar, dabei immer betonend, dass es ihm um interreligiösen Dialog gehe. Nach dem anfangs zitierten Interview im Deutschlandfunk meldete sich ein Hörer bei der Redaktion und hinterfragte Wolfs Aussage:
"Eine 'Weltislamkonferenz' kannte ich bisher noch nicht. Wenn die Behauptung stimmt, dann sollte diesem Umstand deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit zu Teil werden. Wenn sie nicht stimmt, dann sollte ihr fundiert widersprochen werden, beziehungsweise eventuelle Missverständnisse sollten mit der notwendigen Differenzierung angegangen werden. Können Sie die betreffenden Äußerungen von Herrn Wolf klären?"
Was hat es also auf sich mit dieser "Weltislamkonferenz" – und was hat sie vor? Eine Nachfrage bei Notker Wolf ergibt: Er meinte die "Konferenz der Islamischen Weltliga".
"So etwas passt nicht in den Charakter der Weltliga"
Die Islamische Weltliga wird von Saudi-Arabien finanziert und gesteuert. Auch wenn ihr Name etwas anderes ausdrücken soll: Die Islamische Weltliga spricht keineswegs für den Islam oder alle Muslime. Aber strebt sie an, Europa zu islamisieren?
"Also, ich kenne die Publikationen, auch interne Debatten der Weltliga recht gut. Und aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass so eine Zielsetzung von der Weltliga nur belächelt oder bespöttelt worden wäre", sagt Reinhard Schulze. Er ist Islamwissenschaftler und Direktor des "Forums Islam und Naher Osten" der Universität Bern.
"So etwas passt überhaupt auch nicht in den Charakter der Weltliga, die ja eher ausgerichtet war, die islamische Identität zu stärken unter den Muslimen und nicht so sehr eine Missionsbewegung darstellen wollte, um Christen, Juden oder Atheisten zum Islam zu führen."
Schulze, prominenter deutsch-schweizerischer Islamwissenschaftler, widerspricht also der Einschätzung des prominenten bayerischen Benediktiners Notker Wolf.
"Der Missionsanspruch ist relativ klar"
Mehrere andere Wissenschaftler, die ebenfalls über die Islamische Weltliga publiziert haben, lehnen Interviewanfragen des Deutschlandfunks ab. Einer von ihnen sagt, natürlich habe Wolf mit seiner Einschätzung 100-prozentig Recht – er will das aber nicht öffentlich im Radio wiederholen.
Zustimmung kommt auch von Susanne Schröter. Die Ethnologin leitet das "Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam". Sie sagt, neben Afrika habe die Islamische Weltliga in ihrer Anfangszeit auch Europa zum Missionsgebiet erklärt:
"Der Missionsanspruch, bei dem eben Afrika und Europa genannt worden sind, der ist relativ klar. Mission bedeutete dann, den Export des Islam, der in Saudi-Arabien als der herrschende Islam sich durchgesetzt hatte. Und wenn wir uns anschauen, was in Europa in den 60er, 70er Jahren passiert ist, welche Art des Islam sich mehr oder weniger unbeobachtet von der Öffentlichkeit hier begann zu etablieren, dann war das natürlich ein äußerst konservativer Islam."
Ein Hubschrauber der saudi-arabischen Sicherheitskräfte fliegt am 15.08.2017 über der Heiligen Moschee von Mekka (Saudi-Arabien).
Vorbereitungen für die islamische Pilgerfahrt Hadsch im saudi-arabischen Mekka - hier hat die Islamische Weltliga ihren Hauptsitz (picture alliance / dpa / Saudi Press Agency)
Ähnlich sieht es auch Patrick Franke, Islamwissenschaftler an der Universität Bamberg:
"Es gibt sicherlich bei der Islamischen Weltliga, aber auch bei einigen anderen islamischen Akteuren die Vorstellung, dass es notwendig ist, Europa zum Islam zu bringen – schon ganz lange. Im Grunde genommen lässt sich das sogar zurückverfolgen bis in die 1930er-Jahre. Die Vorstellung ist, Da‘wa zu treiben."
Da‘wa ist das islamische Pendant zur christlichen Mission. Übersetzt heißt Da‘wa so viel wie "Ruf zum Islam".
Franke: "Das bedeutet, dass man versucht, die Schönheit des Islams, die Überlegenheit herauszustellen, und die Menschen zum Islam einzuladen. Und dass Europa ein wichtiges Missionsfeld ist, das steht außer Zweifel. Aber nicht nur für die Islamische Weltliga."
"Sie will die Botschaft des Islams moderat umsetzen"
Was sagt die Islamische Weltliga selbst zu dieser Einschätzung? In Deutschland unterhält sie keine offizielle Vertretung. Eine Interview-Anfrage bei ihrem Zentrum in Wien bleibt unbeantwortet. Und auch von der Presseabteilung der Islamischen Weltliga in Mekka erhält der Deutschlandfunk keine Antwort.
Im Internet gibt sich die Weltliga weltoffen – mit Videos wie diesem:
"Ziel der Islamischen Weltliga ist es, die wahre Botschaft und die toleranten Prinzipien des Islams zu vermitteln. Sie leistet humanitäre Hilfe und baut Brücken des Dialogs. Sie fördert positiven und ausgewogenen Kontakt zwischen allen Kulturen und Zivilisationen. Sie will die Botschaft des Islams moderat umsetzen. Die Islamische Weltliga tritt Extremismus, Gewalt und Ausgrenzung entgegen, damit auf der Welt Frieden, Gerechtigkeit und Koexistenz herrschen."
Das Video ist mit englischen Untertiteln unterlegt. Im Bild sind Vertreter der Weltliga zu sehen, wie sie Repräsentanten anderer Religionen treffen.
"Bis vor drei, vier Jahren war eigentlich nicht von Offenheit die Rede. Da war die Liga eher darauf ausgerichtet, ihr Renommee zu wahren unter den Muslimen selbst. Gegenüber der westlichen Öffentlichkeit war es ihnen eigentlich völlig egal, welche Art von Image sie dort verbreiteten", erklärt der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze.
Er beobachtet die Entwicklungen in der Islamischen Weltliga bereits seit mehreren Jahrzehnten:
"Die westliche Öffentlichkeit ist aufgefordert, die Liga zu sehen, auch kritisch sich mit ihr auseinanderzusetzen. Es gibt natürlich noch immer no-nos. Also Bereiche, die nicht kritisiert werden dürfen. Und das ist die enge Partnerschaft, die die Liga zum Königshaus pflegt. Man kann also nicht in den Diskussion deutlich machen, dass das Königshaus selbst eigentlich eine sehr undemokratische, teilweise sogar eine sehr autoritäre Institution im Lande darstellt. Und dass die Liga sich dieser Autorität einfach unterwirft, könnte man ja doch kritisch sehen."
Porträt von Schulze
Der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze (imago / Reiner Zensen )
Die Islamische Weltliga ist offiziell eine NGO, also eine Nichtregierungsorganisation. Sie wird allerdings auch als GONGO bezeichnet, als "regierungsgesteuerte Nichtregierungsorganisation".
Schulze: "Es ist eine kulturpolitische Einrichtung Saudi-Arabiens, deren Ausrichtung immer davon abhängig ist, welche Kulturpolitik das Königreich selbst betreibt."
"Eine saudische Hegemonie über die islamische Öffentlichkeit"
Gegründet wurde die Islamische Weltliga mitten im Kalten Krieg, 1962 in Mekka, der heiligsten Stadt des Islams.
Damals formiert sich in der arabischen Welt ein pro-sowjetischer Block, und die Islamische Weltliga soll ihm etwas entgegensetzen. Als Einrichtung Saudi-Arabiens soll sie den Einfluss der arabischen Königshäuser stärken.
Im Kalten Krieg steht die Islamische Weltliga damit auf der Seite des Westens, erklärt der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze:
"Das bedeutete, Kontrolle aufzubauen auch über islamische Gemeinschaften außerhalb Saudi-Arabiens, etwa in der westlichen Welt, um dort über Moscheen und andere Einrichtungen so etwas wie eine Hegemonie zu errichten, eine saudische Hegemonie über die islamische Öffentlichkeit in der Zeit."
Die Weltliga habe dabei vor allem Muslime im Blick gehabt, betont Schulze. Die sollten vom Islamverständnis der Weltliga überzeugt werden. Stichwort: Innere Mission.
Schulze: "Das war ursprünglich ein sehr wichtiger Gedanke, eine innere Mission durchzuführen. Also nicht unbedingt eine Mission gegenüber nicht-muslimischen Bevölkerungsgruppen, sondern vor allen Dingen innerhalb der muslimischen Welt dafür zu werben, dass die saudische Interpretation des Islam als die maßgebliche anerkannt würde, und dass auch die ganze Lebenswelt, die sich dann mit dem Islam verbunden sieht, auf die Ordnungen ausgerichtet wurde, wie sie in Saudi-Arabien bestanden."
"Wahrscheinlich der größte Player"
Dafür setzte die Islamische Weltliga teils auf Missionsstrategien, wie sie auch von christlichen Organisationen genutzt werden. Sie wandte sich ärmeren Bevölkerungsgruppen zu, mit Entwicklungshilfe und Bildungsangeboten, erklärt die Ethnologin Susanne Schröter:
"Gerade in der außereuropäischen Welt hat das gut geklappt, weil dort die Menschen arm sind, und wenn man ihnen eine Moschee hinstellt, auch noch ein islamisches Internat, die Prediger auch zur Verfügung stellt, Schulungsmaterial, Stipendien und so weiter und so fort, dann hat das einen Impact. Und das ist auch so. Von daher ist die Islamische Weltliga nicht irgendein kleiner Player, sondern sie ist wahrscheinlich der größte Player."
Islam-Wissenschaftlerin Susanne Schröter zu Gast in der ARD Talkshow Maischberger am 16.11.2016 in Köln.
Susanne Schröter, Direktorin des "Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam" (imago stock&people)
Die Islamische Weltliga könne sich ihren Einfluss gewissermaßen erkaufen, weil sie nach Meinung vieler Beobachter über umfangreiche finanzielle Mittel verfügt.
Schröter: "Der überwiegende Batzen des Geldes, das der Weltliga zur Verfügung steht, kommt aus Saudi-Arabien. Und das sind hohe Beträge."
Reinhard Schulze bewertet die finanzielle Situation der Islamischen Weltliga anders als Susanne Schröter:
"Wir haben heute keine exakten Zahlen mehr über die Unterstützung, die die Saudis leisten. Aber wenn man sich bestimmte Einrichtungen, die die Saudis über die Weltliga unterstützen, anschaut, so wird man immer wieder auf Klagen stoßen: Die Saudis haben Geld versprochen, aber nicht geliefert."
"Faktisch ist der Handlungsrahmen der Liga relativ gering"
Reinhard Schulze schätzt daher auch den Einfluss der Islamischen Weltliga geringer ein als andere Beobachter. Nach eigenen Angaben unterhält die Liga weltweit 18 Kulturzentren und 27 Büros.
Schulze: "Es ist zwar eine weltweit operierende Organisation, aber faktisch ist der Handlungsrahmen, den die Liga hat, relativ gering, sodass man nicht davon ausgehen kann, dass es sich hierbei tatsächlich um eine sehr machtvolle, sehr einflussreiche Organisation handelt. Nichtsdestotrotz: In bestimmten auch symbolisch wichtigen Räumen wie in London, Brüssel, Genf, Kopenhagen, Wien gibt es Einrichtungen der Weltliga. Und die versuchen, so etwas wie eine lokale Hegemonie auszuüben."
Betende Männer und ein kleiner Junge in der Baitul Futuh Moschee in Morden, London
Ein Gebet in London: Die Islamische Weltliga versucht, weltweit Einfluss auf Muslime auszuüben (dpa / picture alliance / PA Chris Young)
Die Islamische Weltliga strebe an, eine Art offizielle Vertretung aller Muslime zu werden. Programmatisch dafür sei ja bereits der Name "Islamische Weltliga", sagt Susanne Schröter:
"Dieser Vertretungsanspruch ging immer einher mit einer bestimmten Deutungshoheit, die beansprucht wurde. Also die Deutung des Islam in einer Weise, die eben sehr konservativ ist, fundamentalistisch ist und sich auch dezidiert wendete gegen die Einführung säkularen Rechts in der islamischen Welt."
"...dann steht die Liga vor einem Systemwechsel"
In den vergangenen Jahren sind in der Islamischen Weltliga allerdings einige Veränderungen zu beobachten. Sie hängen zusammen mit Veränderungen in der Politik Saudi-Arabiens, sagt der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze:
"Die Liga kann sich davon nicht unabhängig machen, sondern ist darauf angewiesen, den Hauptsponsor, nämlich Saudi-Arabien selbst, zufriedenzustellen."
Unter Mohammed bin Salman geht Saudi-Arabien auf den Westen zu. Der Kronprinz scheint das Land reformieren zu wollen, zumindest ansatzweise. Viele Kritiker sehen darin nur Symbolpolitik ohne echte Veränderungen – dennoch scheint die neue politische Strategie Saudi-Arabiens auch Auswirkungen zu haben auf die Islamische Weltliga.
Schulze: "Man muss sich mal anschauen, was jetzt die Liga und vor allen Dingen der neue Generalsekretär al Issa an Propaganda betreibt. Vieles davon dürfte Rhetorik sein, aber wenn das tatsächlich umgesetzt wird, was er sagt, dann steht die Liga vor einem Systemwechsel."
"Ich war auch sehr erstaunt"
Ein Beispiel, das 2017 auch im Westen für Aufsehen sorgte: Muhammad al Issa, der Generalsekretär der Weltliga, erklärte, es sei legitim, wenn westliche Staaten Kopftuch oder Schleier verbieten. Musliminnen müssten sich an entsprechende Verbote halten.
Das kam unter konservativen Muslimen gar nicht gut an, sagt die Ethnologin Susanne Schröter:
"Sie können sich vorstellen, dass das natürlich einen großen Entrüstungssturm hervorgerufen hat. Und da war man sehr erstaunt - ich war auch sehr erstaunt, dass es plötzlich diese - ja Anweisung quasi gab an die Muslime, sich doch unterzuordnen den säkularen Gesetzen. Wo man ja früher in den 60er Jahren dezidiert gesagt hat: Nein, das islamische Recht muss durchgesetzt werden."
Nina Reithmeier (als Fatima) hält während der Fotoprobe zu Dschabber im Grips Theater am Hansaplatz in Berlin ein blaues Kopftuch. Premiere war am 8. November 2018. 
Die Islamische Weltliga rückt ab von der Vorstellung einer strikten Schleierpflicht für Frauen (imago stock&people / Martin Müller)
2018 hat die Islamische Weltliga außerdem ein Abkommen mit dem Vatikan unterzeichnet. Das Ziel: In Saudi-Arabien sollen Kirchen gebaut werden für die christliche Minderheit. Bisher schien so etwas ausgeschlossen. So solle der Dialog zwischen Christentum und Islam verbessert werden, erklärte die Weltliga.
"Auf die wahhabitische Unterstützung verzichten"
Reinhard Schulze, Direktor des "Forums Islam und Naher Osten" der Universität Bern, erkennt noch mehr Anzeichen für einen Wandel von Saudi-Arabien und Islamischer Weltliga:
"Es wird ein Kampf gegen den Antisemitismus geführt. Man solle eine Allianz mit jüdischen Partnern suchen, Allianzen auch mit christlichen Partnern suchen. Es werden Kooperationsabkommen auch mit Organisationen, die den Terrorismus bekämpfen, aufgebaut. All das gibt den Anschein als ob die saudi-arabische Führung bereit ist, auf die alte wahhabitische Unterstützung des Regimes zu verzichten. Und hier wird die Liga auch eingesetzt, um dieser neuen religionspolitischen Ausrichtung des Landes das Wort zu reden."
Das Königreich Saudi-Arabien wurde 1932 gegründet. Seitdem ist der Wahhabismus eine Art Staatsreligion. Wollen Saudi-Arabien und die Islamische Weltliga diese ultra-konservative Auslegung des Islams tatsächlich aufweichen?
Plakete in Riad, Saudi Arabien mit: König Salman bin Abdulazziz, Kronzprinz Mohammed bin Salman, und dem Gründer des Königsreichs Abdulazziz al-Saudm am 18. Oktober 2018
Wie ernsthaft betreibt Saudi-Arabien seine politischen Reformen unter Kronprinz bin Salman (oben links) - und welche Auswirkungen hat das auf die Islamische Weltliga? (AFP / Fayez Nureldine)
Susanne Schröter, Direktorin des "Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam", ist vorsichtig optimistisch und geht davon aus, "dass da Prozesse im Gang sind, die in Richtung - ja, Liberalisierung, das ist zu hoch gegriffen, aber doch ein bisschen Abstand zu nehmen von den Positionen der 60er Jahre, dass man das vielleicht beobachten kann."
Schulze: "Und wenn dann die Liga noch hingeht und die europäischen Länder auffordert heute, radikaler gegen Radikalismus vorzugehen und Hassprediger auszuweisen, so bekommt man den Eindruck, dass die Liga versucht, so etwas wie ein Instrument einer Anti-Radikalismus-Politik in Europa zu werden."
"Sie steht immer noch für einen sehr konservativen Islam"
Ob die Islamische Weltliga solchen Ankündigungen allerdings auch Taten folgen lässt, da bleibt Susanne Schröter skeptisch:
"Sie steht immer noch für einen sehr, sehr konservativen Islam, insbesondere natürlich der Richtung, die man als Muslimbrüder-nah beschreiben kann, aber es gibt keine klare Grenze auch zum Salafismus. Vielfach ist der Weltliga auch vorgeworfen worden, dass sie Organisationen wie Al Qaida unterstützt hat."
Auch Reinhard Schulze geht davon aus, dass die Weltliga nach wie vor – zumindest indirekt – Verbindungen zu islamistischen oder auch terroristischen Organisationen unterhält:
"Ob die inzwischen schon alle aus dem politischen Feld der Liga ausgeschlossen worden sind, so wie sich das der Generalsekretär vorstellt, ist wohl noch nicht ganz sicher. Aber man bekommt schon den Eindruck, dass nicht alles Rhetorik ist, was heute gesagt wird von der Liga, sondern einiges tatsächlich zu einer Reformpolitik beiträgt, deren Erfolg allerdings davon abhängig ist, wie auch in Saudi-Arabien selbst die alt-wahhabitische Tradition an Macht verliert."
"Rivalitätsverhältnis zu anderen Strömungen"
Saudi-Arabien sieht seine Macht inzwischen selbst von radikaleren Islamauslegungen in Frage gestellt – allen voran vom selbsternannten Islamischen Staat. Der hatte angekündigt, das Königreich zerstören zu wollen.
Porträt von Patrick Franke
Der Islamwissenschaftler Patrick Franke (Privat)
Und: Saudi-Arabien und die Islamische Weltliga werden auch noch durch andere Konkurrenten herausgefordert, sagt der Bamberger Islamwissenschaftler Patrick Franke:
"Heute ist die Islamische Weltliga vor allen Dingen in einem Rivalitätsverhältnis zu anderen sunnitisch-islamischen Strömungen wie beispielsweise der Muslimbruderschaft. Und man versucht gewissermaßen, die Muslimbruderschaft zu übertreffen darin, dass man einen Zukunftsislam entwirft, der mit den gegenwärtigen Herausforderungen fertig werden kann, und der sich auch exportieren lässt in die westlichen Länder."
"Europa muss muslimisch werden. Nicht Islamismus in dem Sinn, aber echt muslimisch werden."
Inwieweit trifft diese Einschätzung des Benediktiners Notker Wolf also zu für die Islamische Weltliga? Abschließend beantworten lässt sich diese Frage nicht. Klar ist aber: Selbst wenn die Weltliga Europa islamisieren wollte – die Realität sieht anders aus. Die Liga hat offenbar alle Hände voll damit zu tun, ihren innerislamischen Einfluss zu sichern und den Strategiewechsel in der saudischen Politik zu unterstützen.