Doch im übrigen hat sich eben auch ein bisschen viel "große Oper" eingeschlichen in die Arbeit eines der eigensinnigsten Schauspielregisseure der jüngeren Zeit. Er verzettelt sich auch, gegen Ende vor allem, wo obendrein Johanna Pfaus Bühne ein wenig arg ambitiös mit immer neuen Bildern droht: Johannas Ankleidezimmer am königlichen Hof als Raum aus lauter Röhren-Gebilden, einem gebräuchlichen Bildschirmschoner am Computer nicht unähnlich; und schließlich bemüht sie gar ein aufwendiges Maschinenräderwerk, wie von Jean Tinguely selig in den Theaterraum gehängt – wohin das aber führen soll, auch mit mehrfach verdoppeltem und zugleich verdichtetem Personal, das wird immer weniger klar.
Ähnlich absichtsvoll, aber immerhin ganz klar etabliert Kriegenburg dagegen die Distanz gegenüber allzu vereinnahmender Johanna-Interpretation – indem er parallel eine ganz andere (aber ganz ähnliche!) Geschichte erzählt: von einer jungen Frau, die sich im eigenen Leben gefangen fühlt wie in einer allseits weiß getünchten Gummizelle.
Texte von Kriegenburg selber sind das, mäßig brillant; aber regelmäßig markieren sie zwischen Schillers Szenen den zunehmenden Verfall einer in der seelenloser Gegenwart Verlorenen. Die wird nun zwar nicht (wie ihr Gegenbild Johanna) zwingend von himmlischen Stimmen zu göttlich-tödlichem Auftrag berufen, sucht aber allemal ähnlich zwanghaft nach irgendetwas, das Halt bieten kann. Aber da ist nichts, und nichts wird von ihr bleiben – umso mehr wächst das Irrationale: als Traum vom anderen Zustand im Ich.
All das ist sehr von hier und heute, ohne dass es dazu eingängiger Bilder voller offensiver Gegenwart zwischen New York, Madrid und Beslan bedürfte; und das Hamburger Ensemble bewährt sich einmal mehr in der künstlerischen Strenge formaler Behauptung. Laurent Simonettis Musik für Celli und Bass verstärkt dabei die Abstraktion wie die Dynamik dieser anstrengenden, aber niemals zermürbenden Interpretation, die Schiller bei aller Nach-Deutung doch sehr kenntlich bleiben lässt: als Zeugen der Zeit.