Michael Köhler: Die Longlist also für den Buchpreis 2011 mit ihren 20 Nennungen hat immer so ein bisschen was von einer Mannschaftsaufstellung, in der dann aber nicht Namen wie Götze und Schürle, Bender, Klose, Podolski und Kroos auftauchen, nein, während man im deutschen Fußball ja von der Generation Götze oder Götzinho inzwischen schon träumt, zählen ein paar Jahre mehr Lebenserfahrung in der Literatur dann doch. Man darf auch über 20 sein. Lothar Matthäus war übrigens bei der EM 2000 schon 40, heute undenkbar, im Fußball jedenfalls. In der Literatur geht's da erst richtig los. Frage an Denis Scheck aus der Redaktion des "Büchermarkt" im Deutschlandfunk: Jungfern knapp über der Volljährigkeit sind das ja nun alles nicht, aber lauter Unbekannte kann man auch nicht sagen.
Denis Scheck: Nein, es gibt ja bei solchen Nominierungslisten immer so eine ganze Zahl von Spielchen, die man spielen kann. Man kann sich zunächst mal auf die Liste dieser 20 Namen einlassen, kann sortieren in Bekannte und Unbekannte, wen kennt man nicht, dann kann man das Nationenspiel spielen, das Geschlechterspiel spielen und so weiter. Ich hab mir jetzt einfach mal die alte und bewährte Frage gestellt als Allererstes: Wer fehlt, wer steht denn nicht drauf auf der Liste? Und da fehlt mir am allermeisten ein Autor, der schon die 80 überschritten hat, nämlich Martin Walser mit seinem grandiosen Roman - in meinen Augen -"Muttersohn". Den nun gar nicht unter die 20 wichtigsten Romane zu nehmen, also das kann ich mir nur so erklären, dass die Jury, die ja ganz kompetent bis jetzt ist, schlicht und einfach sich erklärt hat, dass Martin Walser in einer Liga seines eigenen Rechts quasi spielt und man die anderen nicht beschämen wollte, indem man Jahr um Jahr den Preis an Martin Walser gibt.
Köhler: Es ist auch der Versuch, literaturpolitisch immer ein bisschen was zu bewegen. Es sind eine ganze Reihe in meinen Augen sehr bekannter Namen dabei, sogar überwiegend, um nur ganz wenige zu nennen: von Klaus Modick über Sibylle Lewitscharoff über Wilhelm Genazino, Navid Kermani, Michael Buselmeier, Antje Rávic Strubel, Marlene Streeruwitz und so weiter. Arrivierte Namen des gehobenen Literaturbetriebs, sicherlich auch der ein oder andere weniger Bekannte, aber irgendwie hat man das Gefühl, es will auch niemandem so richtig wehgetan werden, so eine Art Eco-List oder Hybridantriebsliteratur könnte man fast sagen. Es ist unglaublich political correct in meinen Augen. Es ist kein Ausreißer dabei, es ist kein "Schoßgebet" von Frau Roche dabei, es ist aber auch nicht, sagen wir mal ...
Scheck: Gott sei Dank, das hätte ja nun gerade noch gefehlt. Aber es handelt sich ja um einen Literaturpreis, insofern wäre Frau Roche da gar nicht infrage gekommen. Aber ich gebe Ihnen vollkommen recht, natürlich fehlen auch wichtige Namen, und andererseits hat man das Gefühl, bei 20 Nennungen, da wird auf Nummer sicher gespielt. Niemand, glaube ich, wird behaupten, dass Klaus Modick jemals den besten Roman des Jahres geschrieben hat, und man wird das vermutlich auch - in allen Ehren - nicht von Michael Buselmeier oder Ludwig Laher behaupten wollen, die auf der Liste stehen, oder Doris Knecht - das sind aber dann schon die Debütanten. Sehr verdienstvoll ist sicherlich Esther Kinsky, die ja auch als Übersetzerin sich hohes Ansehen erworben hat mit ihrem Roman "Banatsko". Aber es ist ja eine eigentümliche Bewandtnis, wenn man sich die bisherigen Preisträger des Deutschen Buchpreises anschaut: Arno Geiger mit "Es geht uns gut", Katharina Hacker mit "Habenichtse", Julia Franck mit "Mittagsfrau", Uwe Tellkamp mit "Der Turm", "Du stirbst nicht", Kathrin Schmidt hat das geschrieben, und Melinda Nadj Abonji mit "Tauben fliegen auf". Man kann sie alle nennen, es sind ja erst sechs. Dann kommt man doch auf eigentlich die optimale, ja, Verfasstheit eines Romans, um diesen Preis zu gewinnen, denn es ist die Fortsetzung, die politisch korrekte Fortsetzung - das ist dem Preis leider eingeschrieben - der Geschichtsstunde mit den Mitteln der Belletristik. Das sind alles - also fünf und sechs jedenfalls - im Grunde Familienromane, die noch mal denjenigen, die im Geschichtsunterricht nicht so richtig aufgepasst haben, mitteilen, wie es denn wirklich war im Zweiten Weltkrieg, mit der deutschen Teilung und in der DDR und so weiter. Und wenn man dann diese Liste anschaut, dann hat man auch einen ganz klaren Favoriten für den Deutschen Buchpreis in diesem Jahr, dann kann es im Grunde nur Eugen Ruge mit "In Zeiten des abnehmenden Lichts" werden, ein Debüt, von dem eine Menge die Rede ist, ein wirklich faszinierender Roman. Andererseits, ich würde ja sehr gerne eigentlich eine Autorin ausgezeichnet sehen, Sibylle Lewitscharoff, mit einem verrückten Buch, einem wilden Buch, einem Buch, in dem ein Löwe auf einen deutschen Philosophen trifft, nämlich "Blumenberg", der da einen Löwen trifft. Das ist so mein geheimer Favorit, aber es ist noch zu viel und zu früh für diese Art von Kaffeesatzleserei. Halten wir fest: Ich glaube, die Jury hat ganz vernünftig gearbeitet. Sie hat ein paar Leute ...
Köhler: Sie sind ungewöhnlich freundlich. Ich kenne sonst sehr kritische Stellungnahmen, was überhaupt das Prinzip dieses Buchpreises von Ihnen angeht. Er kommt ziemlich gut bei Ihnen weg im Moment.
Scheck: Na ja, vielleicht liegt es an den balsamischen Temperaturen in diesem Lande gerade, aber mir fehlen natürlich schon ein paar Autoren, die ich sonst auf der Liste gerne gesehen hätte. Auf jeden Fall Abbas Khider mit "Die Orangen des Präsidenten", ganz unerklärlich, dass man den übersehen hat. Ich gebe Ihnen mit der politischen Korrektheit auch noch ein bisschen recht: Die Jury hat kein Herz für alles, was nach Genre-Literatur aussieht. Die zwei, drei großen Krimiautoren, die wir gerade haben - Heinrich Steinfest mit "Wo die Löwen weinen" oder "Die Haischwimmerin", Friedrich Ani mit "Süden" eigentlich unbedingt oder auch Silvia Bovenschen mit "Wie geht es Georg Laub?", die hätte ich schon auf dieser Liste gerne gesehen. Genauso wie Michael Kumpfmüller mit "Die Herrlichkeit des Lebens". Aber Gott, das sind im Grunde Petitessen. Alles in allem fand ich, hat die Jury einen ordentlichen Job getan.
Köhler: Sagt Denis Scheck zur heute erschienen Longlist des Deutschen Buchpreises 2011. Mal sehen, wer das Rennen macht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Denis Scheck: Nein, es gibt ja bei solchen Nominierungslisten immer so eine ganze Zahl von Spielchen, die man spielen kann. Man kann sich zunächst mal auf die Liste dieser 20 Namen einlassen, kann sortieren in Bekannte und Unbekannte, wen kennt man nicht, dann kann man das Nationenspiel spielen, das Geschlechterspiel spielen und so weiter. Ich hab mir jetzt einfach mal die alte und bewährte Frage gestellt als Allererstes: Wer fehlt, wer steht denn nicht drauf auf der Liste? Und da fehlt mir am allermeisten ein Autor, der schon die 80 überschritten hat, nämlich Martin Walser mit seinem grandiosen Roman - in meinen Augen -"Muttersohn". Den nun gar nicht unter die 20 wichtigsten Romane zu nehmen, also das kann ich mir nur so erklären, dass die Jury, die ja ganz kompetent bis jetzt ist, schlicht und einfach sich erklärt hat, dass Martin Walser in einer Liga seines eigenen Rechts quasi spielt und man die anderen nicht beschämen wollte, indem man Jahr um Jahr den Preis an Martin Walser gibt.
Köhler: Es ist auch der Versuch, literaturpolitisch immer ein bisschen was zu bewegen. Es sind eine ganze Reihe in meinen Augen sehr bekannter Namen dabei, sogar überwiegend, um nur ganz wenige zu nennen: von Klaus Modick über Sibylle Lewitscharoff über Wilhelm Genazino, Navid Kermani, Michael Buselmeier, Antje Rávic Strubel, Marlene Streeruwitz und so weiter. Arrivierte Namen des gehobenen Literaturbetriebs, sicherlich auch der ein oder andere weniger Bekannte, aber irgendwie hat man das Gefühl, es will auch niemandem so richtig wehgetan werden, so eine Art Eco-List oder Hybridantriebsliteratur könnte man fast sagen. Es ist unglaublich political correct in meinen Augen. Es ist kein Ausreißer dabei, es ist kein "Schoßgebet" von Frau Roche dabei, es ist aber auch nicht, sagen wir mal ...
Scheck: Gott sei Dank, das hätte ja nun gerade noch gefehlt. Aber es handelt sich ja um einen Literaturpreis, insofern wäre Frau Roche da gar nicht infrage gekommen. Aber ich gebe Ihnen vollkommen recht, natürlich fehlen auch wichtige Namen, und andererseits hat man das Gefühl, bei 20 Nennungen, da wird auf Nummer sicher gespielt. Niemand, glaube ich, wird behaupten, dass Klaus Modick jemals den besten Roman des Jahres geschrieben hat, und man wird das vermutlich auch - in allen Ehren - nicht von Michael Buselmeier oder Ludwig Laher behaupten wollen, die auf der Liste stehen, oder Doris Knecht - das sind aber dann schon die Debütanten. Sehr verdienstvoll ist sicherlich Esther Kinsky, die ja auch als Übersetzerin sich hohes Ansehen erworben hat mit ihrem Roman "Banatsko". Aber es ist ja eine eigentümliche Bewandtnis, wenn man sich die bisherigen Preisträger des Deutschen Buchpreises anschaut: Arno Geiger mit "Es geht uns gut", Katharina Hacker mit "Habenichtse", Julia Franck mit "Mittagsfrau", Uwe Tellkamp mit "Der Turm", "Du stirbst nicht", Kathrin Schmidt hat das geschrieben, und Melinda Nadj Abonji mit "Tauben fliegen auf". Man kann sie alle nennen, es sind ja erst sechs. Dann kommt man doch auf eigentlich die optimale, ja, Verfasstheit eines Romans, um diesen Preis zu gewinnen, denn es ist die Fortsetzung, die politisch korrekte Fortsetzung - das ist dem Preis leider eingeschrieben - der Geschichtsstunde mit den Mitteln der Belletristik. Das sind alles - also fünf und sechs jedenfalls - im Grunde Familienromane, die noch mal denjenigen, die im Geschichtsunterricht nicht so richtig aufgepasst haben, mitteilen, wie es denn wirklich war im Zweiten Weltkrieg, mit der deutschen Teilung und in der DDR und so weiter. Und wenn man dann diese Liste anschaut, dann hat man auch einen ganz klaren Favoriten für den Deutschen Buchpreis in diesem Jahr, dann kann es im Grunde nur Eugen Ruge mit "In Zeiten des abnehmenden Lichts" werden, ein Debüt, von dem eine Menge die Rede ist, ein wirklich faszinierender Roman. Andererseits, ich würde ja sehr gerne eigentlich eine Autorin ausgezeichnet sehen, Sibylle Lewitscharoff, mit einem verrückten Buch, einem wilden Buch, einem Buch, in dem ein Löwe auf einen deutschen Philosophen trifft, nämlich "Blumenberg", der da einen Löwen trifft. Das ist so mein geheimer Favorit, aber es ist noch zu viel und zu früh für diese Art von Kaffeesatzleserei. Halten wir fest: Ich glaube, die Jury hat ganz vernünftig gearbeitet. Sie hat ein paar Leute ...
Köhler: Sie sind ungewöhnlich freundlich. Ich kenne sonst sehr kritische Stellungnahmen, was überhaupt das Prinzip dieses Buchpreises von Ihnen angeht. Er kommt ziemlich gut bei Ihnen weg im Moment.
Scheck: Na ja, vielleicht liegt es an den balsamischen Temperaturen in diesem Lande gerade, aber mir fehlen natürlich schon ein paar Autoren, die ich sonst auf der Liste gerne gesehen hätte. Auf jeden Fall Abbas Khider mit "Die Orangen des Präsidenten", ganz unerklärlich, dass man den übersehen hat. Ich gebe Ihnen mit der politischen Korrektheit auch noch ein bisschen recht: Die Jury hat kein Herz für alles, was nach Genre-Literatur aussieht. Die zwei, drei großen Krimiautoren, die wir gerade haben - Heinrich Steinfest mit "Wo die Löwen weinen" oder "Die Haischwimmerin", Friedrich Ani mit "Süden" eigentlich unbedingt oder auch Silvia Bovenschen mit "Wie geht es Georg Laub?", die hätte ich schon auf dieser Liste gerne gesehen. Genauso wie Michael Kumpfmüller mit "Die Herrlichkeit des Lebens". Aber Gott, das sind im Grunde Petitessen. Alles in allem fand ich, hat die Jury einen ordentlichen Job getan.
Köhler: Sagt Denis Scheck zur heute erschienen Longlist des Deutschen Buchpreises 2011. Mal sehen, wer das Rennen macht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.