Dem Premierenpublikum verschlug es zur Pause glatt den sonst so selbstverständlichen Beifall – gerade war auf der Bühne zwar im Nebel, aber doch drastisch wie selten gefoltert und gemordet worden. "Die Katze und der General", Nino Haratischwilis jüngster Roman, ist auch auf der Bühne ziemlich starker Tobak, ein wirklich schmerzhafter Stoff. Dabei nimmt die Autorin einige der zentralen Motive wieder auf, die sie auch schon in ihrem Buch "Das achte Leben (für Brilka)" durch die mörderischen Schlachten der Geschichte verfolgt hatte.
Krankheit zum Töten
Nino Haratischwili erzählt wieder von Leid und Schuld und wie sie sich fortsetzen durch die Generationen, über Zeiten hinweg. Jetzt stehen Töchter und Mütter, vor allem aber die mörderischen Männer und Väter im Fokus der Geschichtsschreibung. Nura, ein tschetschenisches Mädchen mit dem Traum vom fernen Mexiko im Kopf, wird zum Opfer einer entmenschten russischen Soldateska udndie AUtorin fragt, sind die Nicht-mehr-Menschen, diese Männer, womöglich gefangen in einer Art Sucht, in der "Krankheit zum Töten".
Einer der Männer, die dabei waren, fühlt sich schuldig - auch, weil tatsächlich er (das erfährt das Publikum zum Schluss) die junge Frau erwürgt hat, bevor sie noch mehr Vergewaltigung, Folter und letztlich die langsame Abschlachtung hätte erdulden müssen. Dieser Alexander Orlow, damals, 1994, ein einfacher Soldat und Küchengehilfe, will in der Folge sich selber und die Mit-Mörder vor Gericht gestellt wissen; und als das scheitert, lässt er sich mit viel Geld und Macht bestechen, um schließlich selber die Regeln bestimmen zu können, nach denen die Täter (und er selbst auch!) zur Rechenschaft gezogen werden. Wo Vernunft und Menschlichkeit nicht mehr wirksam werden können, lässt Harataschwili ihn sagen, muss er selbst die Macht ausüben; auch gegen jedes Recht.
Dieser Orlow, der seit dem Krieg vor 25 Jahren "der General" genannt und zum neurussischen Oligarchen wird, scheitert allerdings – seine trickreiche Verschwörung bis zur Aufspürung der soldatischen Killer von damals gibt der Geschichte die Dramaturgie.
Folter und Mord auf der Bühne
Die ist extrem verschlungen: springt von heute aus zurück und in Etappen wieder in die Gegenwart. Da zu folgen, ist schon schwierig genug – darum malt immer wieder ein deutscher Journalist, der einst über den "General" recherchierte und nun zu dessen strategischem Werkzeug wird, Jahreszahlen auf die geschickt verschachtelten Wände von Florian Lösches Bühnenbild; außerdem die Namen von Städten und beteiligten Personen, meist in kyrillischen Buchstaben. So lässt uns Jette Steckels Inszenierung immer wieder dicht dran bleiben an der verwickelten Story; und für die zentralen Horror-Momente, speziell für Folter und Mord, lässt sie viel Nebel auf der Bühne stehen hinter einem Gaze-Vorhang. Für die Vergewaltigung findet sie per Video-Verfremdung erstaunlich poetische Bilder …
Suche nach den Tätern
Eher wenig wahrscheinlich ist demgegenüber der Plot gestrickt – eine georgische Exilantin im Berlin von heute sieht dem toten Mädchen von damals derart ähnlich, dass "der General" von heute diese junge Frau, eine Schauspielerin, die sich "die Katze" nennt, kaufen lässt für ein Video, dass die Suche nach den Tätern von damals in Gang bringt. Jeder und jede in der Fabel, auch der Journalist und eine russische Kollegin, die deutlich der ermordeten Anna Politkowskaja nachgebildet ist, bekommt nun eine Biographie – und hier verzetteln sich Roman und Stück.
Aber das fängt das starke Thalia-Ensemble auf: Lisa Hagmeister und Jirka Zett in den Titelpartien, aber auch Karin Neuhäuser, Barbara Nüsse oder Andre Szymanski; sie stiften enorme Ensemble-Energie – mit "Die Katze und der General" startet das Thalia Theater stark in die Spielzeit.