Dirk-Oliver Heckmann: Wir haben schon verschiedentlich in dieser Sendung darüber berichtet: Die japanische Regierung geht jetzt offenbar doch davon aus, dass es eine partielle vorübergehende Kernschmelze gegeben hat im Atomreaktor Fukushima. Und darüber, was das bedeutet, möchte ich jetzt sprechen mit Edmund Lengfelder. Er ist Leiter des Münchener Otto Hug Strahleninstituts. Schönen guten Morgen!
Edmund Lengfelder: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Lengfelder, eine vorübergehende partielle Kernschmelze, was bedeutet das aus Ihrer Sicht?
Lengfelder: Also das ist natürlich eine sehr verharmlosende Darstellung, denn Kernschmelze ist sicherlich nicht nur in einem, sondern schon in einem zweiten Reaktor eingetreten. Und vorübergehend, das ist wirklich eine Fehlinformation für die Öffentlichkeit.
Heckmann: Inwiefern? Weshalb ist das eine Fehlinformation?
Lengfelder: Die Kernschmelze ist nun schon seit Längerem eingetreten. Das kann man aus der Freisetzung der entsprechenden Radionuklide ableiten. Und nachdem eine Kühlung nicht mehr möglich ist und die Brennstäbe und möglicherweise auch das Inventar im Druckgefäß vor sich hinreagiert, ist einfach die Kernschmelze zwangsläufig da, und sie wird auch noch lange Zeit andauern.
Heckmann: Die japanische Regierung sagt, wir versuchen alles, um diese Kernschmelze eben wieder zu stoppen, dadurch, dass man den Reaktor kühlt, mit Kühlwasser aus dem Meer beziehungsweise jetzt mit Süßwasser.
Lengfelder: Also ich denke, das ist natürlich wiederum nur der Versuch, und mir tun die Menschen leid, die man da hinschickt, um in der Nähe des Reaktors oder der Reaktoren dann dort Wasser reinzuspritzen. Ich sehe das als ein hilfloses Unterfangen an, die Dinge noch irgendwo hin zu bremsen, wo es nach meiner Meinung nicht zu bremsen geht. Es ist ja wichtig, dass man bei diesen Dosis-Leistungen, die dort herrschen, die Bevölkerung im weiten Umkreis weiter evakuiert, und zwar der Umkreis, den ich hier für notwendig halte, ohne nun einzelne kartographische Messdaten zu haben, wäre sicherlich auf 50 und mehr Kilometer auszudehnen.
Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig, Sie sagen, die Kernschmelze, die da im Gange ist, die ist überhaupt gar nicht mehr zu stoppen?
Lengfelder: Ja, so sehe ich das. – Also sie ist dann zu stoppen, wenn die Dinge ihren Lauf nehmen, die Schmelze dann durchdringt durch Gebäudeteile, und aufgrund normaler physikalischer Abläufe sich über eine größere Fläche verteilt und damit automatisch kühlt. Aber die Zufuhr von Wasser von außen bringt an dieser Situation nicht mehr viel.
Heckmann: Das heißt, Sie würden dafür plädieren, diesen havarierten Reaktor oder diese vier havarierten Reaktoren im Prinzip sich selbst zu überlassen?
Lengfelder: Man wird immer versuchen, noch irgendetwas zu regeln. Wenn wir die Erfahrungen, die die Russen bei Tschernobyl gemacht haben, zugrunde legen, dann haben wir dort wirklich Leute hineingeschickt, also ich möchte das Wort wirklich gebrauchen: verheizt, in dem Versuch, da etwas zu retten, haben in Form von Blei und Bor und Sand versucht, in Tschernobyl das Schlimmste weiter zu verhindern, wobei in Tschernobyl durch die Explosion die Situation ein bisschen anders war als jetzt in Fukushima. Also ich sehe hier wenig Möglichkeit, noch etwas zu vermeiden.
Heckmann: Wenig oder keine?
Lengfelder: Wenig, also wenig. Das ist marginal. Das meiste, was etwas bringt, ist die Vermeidung weiterer Strahlenbelastung für die Bevölkerung durch weitere Evakuierung.
Heckmann: Das heißt, die Evakuierung ist das einzige Mittel, was man aus Ihrer Sicht anwenden kann, um Menschen zu schützen. – Wenn wir jetzt Ihrer These folgen und sagen, die Kernschmelze ist nicht zu stoppen, was bedeutet das dann für die ökologische Umgebung in Japan? Was bedeutet das, wenn wirklich die Kernschmelze in vollem Gang sein wird?
Lengfelder: Also die Kernschmelze wird irgendwann selbst zum Erliegen kommen, dann, wenn das geschmolzene Metall der Brennstäbe und der Hüllen, wenn das dann durch Verteilung auf eine größere Fläche mit dem Sand, mit dem Erdmaterial des Untergrundes, mit dem Beton des Reaktorgebäudes verschmolzen ist zu einer riesigen Masse und dann ganz langsam im Lauf – langsam bedeutet aber im Laufe von zig Jahren – abkühlt.
Heckmann: Das heißt aber auch eine radioaktive Verseuchung von großen, großen Teilen der Region, oder ist es auch möglich, dass diese radioaktive Strahlung dann auf dieses Gebiet beschränkt werden kann?
Lengfelder: Das Problem ist nach wie vor, solange der oder die Reaktoren oben nicht abgedeckt sind, wie das auch in Tschernobyl war, durch einen Sarkophag oder durch Sand, einen riesigen Sandberg, wird weiterhin Radioaktivität austreten in Form der Gase, die ja zusätzlich noch begünstigt werden durch den Dampf, der beim Einspritzen von Wasser entsteht. Und solange diese gasförmige Freisetzung nicht gestoppt ist, kommt es zu weiterer Verteilung von Radioaktivität und zur Belastung der Bevölkerung.
Heckmann: Mit welchen Folgen auch für die Ökologie?
Lengfelder: Ich denke, im Moment ist die Ökologie zweitrangig. Man muss zuerst mal die Menschen schützen und dann kann man sich überlegen, in welcher Größe und in welcher Fläche dieses Gebiet zur Sperrzone ausgewiesen wird, auch wiederum analog zu Tschernobyl. Man wird dort eine große Sperrzone machen müssen und deren Größe bemisst sich dann nach den Messwerten, die man später erfassen wird.
Heckmann: Kurz zum Schluss noch: Wie würden Sie das Krisenmanagement der japanischen Regierung bewerten?
Lengfelder: Also im Vergleich jetzt – wir haben ja viel Erfahrung, wie die Sowjets und Russen das gemacht haben – sind die Russen hier wirklich konsequenter vorgegangen, haben auch viel schneller weiträumig evakuiert. Ich halte das Krisenmanagement für nicht gut, und zwar wirklich nicht für gut und nicht für vertrauenswürdig. Die Japaner haben zusätzlich natürlich das Problem, dass sie etwa 20mal dichter besiedelt sind als das Gebiet um Tschernobyl, dass sie zusätzlich das Problem haben mit der erdbebenbedingten Zerstörung von Infrastruktur, und das ist eine Herausforderung, die auch ein so hoch technisiertes Land wie Japan nicht leisten kann.
Heckmann: Die japanische Regierung geht davon aus, dass es eine vorübergehende Kernschmelze in Fukushima gegeben hat. Wir haben darüber gesprochen mit Edmund Lengfelder, dem Chef des Münchener Otto-Hug-Strahleninstituts. Schönen Dank für das Gespräch.
Lengfelder: Gerne!
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Edmund Lengfelder: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Lengfelder, eine vorübergehende partielle Kernschmelze, was bedeutet das aus Ihrer Sicht?
Lengfelder: Also das ist natürlich eine sehr verharmlosende Darstellung, denn Kernschmelze ist sicherlich nicht nur in einem, sondern schon in einem zweiten Reaktor eingetreten. Und vorübergehend, das ist wirklich eine Fehlinformation für die Öffentlichkeit.
Heckmann: Inwiefern? Weshalb ist das eine Fehlinformation?
Lengfelder: Die Kernschmelze ist nun schon seit Längerem eingetreten. Das kann man aus der Freisetzung der entsprechenden Radionuklide ableiten. Und nachdem eine Kühlung nicht mehr möglich ist und die Brennstäbe und möglicherweise auch das Inventar im Druckgefäß vor sich hinreagiert, ist einfach die Kernschmelze zwangsläufig da, und sie wird auch noch lange Zeit andauern.
Heckmann: Die japanische Regierung sagt, wir versuchen alles, um diese Kernschmelze eben wieder zu stoppen, dadurch, dass man den Reaktor kühlt, mit Kühlwasser aus dem Meer beziehungsweise jetzt mit Süßwasser.
Lengfelder: Also ich denke, das ist natürlich wiederum nur der Versuch, und mir tun die Menschen leid, die man da hinschickt, um in der Nähe des Reaktors oder der Reaktoren dann dort Wasser reinzuspritzen. Ich sehe das als ein hilfloses Unterfangen an, die Dinge noch irgendwo hin zu bremsen, wo es nach meiner Meinung nicht zu bremsen geht. Es ist ja wichtig, dass man bei diesen Dosis-Leistungen, die dort herrschen, die Bevölkerung im weiten Umkreis weiter evakuiert, und zwar der Umkreis, den ich hier für notwendig halte, ohne nun einzelne kartographische Messdaten zu haben, wäre sicherlich auf 50 und mehr Kilometer auszudehnen.
Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig, Sie sagen, die Kernschmelze, die da im Gange ist, die ist überhaupt gar nicht mehr zu stoppen?
Lengfelder: Ja, so sehe ich das. – Also sie ist dann zu stoppen, wenn die Dinge ihren Lauf nehmen, die Schmelze dann durchdringt durch Gebäudeteile, und aufgrund normaler physikalischer Abläufe sich über eine größere Fläche verteilt und damit automatisch kühlt. Aber die Zufuhr von Wasser von außen bringt an dieser Situation nicht mehr viel.
Heckmann: Das heißt, Sie würden dafür plädieren, diesen havarierten Reaktor oder diese vier havarierten Reaktoren im Prinzip sich selbst zu überlassen?
Lengfelder: Man wird immer versuchen, noch irgendetwas zu regeln. Wenn wir die Erfahrungen, die die Russen bei Tschernobyl gemacht haben, zugrunde legen, dann haben wir dort wirklich Leute hineingeschickt, also ich möchte das Wort wirklich gebrauchen: verheizt, in dem Versuch, da etwas zu retten, haben in Form von Blei und Bor und Sand versucht, in Tschernobyl das Schlimmste weiter zu verhindern, wobei in Tschernobyl durch die Explosion die Situation ein bisschen anders war als jetzt in Fukushima. Also ich sehe hier wenig Möglichkeit, noch etwas zu vermeiden.
Heckmann: Wenig oder keine?
Lengfelder: Wenig, also wenig. Das ist marginal. Das meiste, was etwas bringt, ist die Vermeidung weiterer Strahlenbelastung für die Bevölkerung durch weitere Evakuierung.
Heckmann: Das heißt, die Evakuierung ist das einzige Mittel, was man aus Ihrer Sicht anwenden kann, um Menschen zu schützen. – Wenn wir jetzt Ihrer These folgen und sagen, die Kernschmelze ist nicht zu stoppen, was bedeutet das dann für die ökologische Umgebung in Japan? Was bedeutet das, wenn wirklich die Kernschmelze in vollem Gang sein wird?
Lengfelder: Also die Kernschmelze wird irgendwann selbst zum Erliegen kommen, dann, wenn das geschmolzene Metall der Brennstäbe und der Hüllen, wenn das dann durch Verteilung auf eine größere Fläche mit dem Sand, mit dem Erdmaterial des Untergrundes, mit dem Beton des Reaktorgebäudes verschmolzen ist zu einer riesigen Masse und dann ganz langsam im Lauf – langsam bedeutet aber im Laufe von zig Jahren – abkühlt.
Heckmann: Das heißt aber auch eine radioaktive Verseuchung von großen, großen Teilen der Region, oder ist es auch möglich, dass diese radioaktive Strahlung dann auf dieses Gebiet beschränkt werden kann?
Lengfelder: Das Problem ist nach wie vor, solange der oder die Reaktoren oben nicht abgedeckt sind, wie das auch in Tschernobyl war, durch einen Sarkophag oder durch Sand, einen riesigen Sandberg, wird weiterhin Radioaktivität austreten in Form der Gase, die ja zusätzlich noch begünstigt werden durch den Dampf, der beim Einspritzen von Wasser entsteht. Und solange diese gasförmige Freisetzung nicht gestoppt ist, kommt es zu weiterer Verteilung von Radioaktivität und zur Belastung der Bevölkerung.
Heckmann: Mit welchen Folgen auch für die Ökologie?
Lengfelder: Ich denke, im Moment ist die Ökologie zweitrangig. Man muss zuerst mal die Menschen schützen und dann kann man sich überlegen, in welcher Größe und in welcher Fläche dieses Gebiet zur Sperrzone ausgewiesen wird, auch wiederum analog zu Tschernobyl. Man wird dort eine große Sperrzone machen müssen und deren Größe bemisst sich dann nach den Messwerten, die man später erfassen wird.
Heckmann: Kurz zum Schluss noch: Wie würden Sie das Krisenmanagement der japanischen Regierung bewerten?
Lengfelder: Also im Vergleich jetzt – wir haben ja viel Erfahrung, wie die Sowjets und Russen das gemacht haben – sind die Russen hier wirklich konsequenter vorgegangen, haben auch viel schneller weiträumig evakuiert. Ich halte das Krisenmanagement für nicht gut, und zwar wirklich nicht für gut und nicht für vertrauenswürdig. Die Japaner haben zusätzlich natürlich das Problem, dass sie etwa 20mal dichter besiedelt sind als das Gebiet um Tschernobyl, dass sie zusätzlich das Problem haben mit der erdbebenbedingten Zerstörung von Infrastruktur, und das ist eine Herausforderung, die auch ein so hoch technisiertes Land wie Japan nicht leisten kann.
Heckmann: Die japanische Regierung geht davon aus, dass es eine vorübergehende Kernschmelze in Fukushima gegeben hat. Wir haben darüber gesprochen mit Edmund Lengfelder, dem Chef des Münchener Otto-Hug-Strahleninstituts. Schönen Dank für das Gespräch.
Lengfelder: Gerne!
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