"Unpolitisch", "egoistisch",""weinerlich", "angepasst" - die Autorin präsentiert sie gleich zu Beginn, die hässlichen Eigenschaften, die ihrer Generation wie ein allzu fest aufgedrücktes Etikett anhaften. Eine Generation ohne Ideale und Visionen, die nur darauf getrimmt ist, ihren eigenen Lebenslauf zu optimieren – zumindest dem Klischee nach. Und diesem versucht Hannah Beitzer in elf Kapiteln eine politische Haltung gegenüber zu stellen.
"Ich hatte einfach das Gefühl, dass da sehr, sehr viel nicht verstanden wird, was eigentlich dahinter steckt."
Seite um Seite kratzt Beitzer, selbst 1982 geboren, an den Abziehbildern. Sie formuliert in betont lässiger Sprache. Die wäre nicht unbedingt nötig, auch wenn es hier um junge Menschen geht. Viele ihrer Altersgenossen seien in den vergangenen Jahren durchaus politisch aktiv gewesen, nur eben nicht nach der Façon der Eltern. Ihr Protest habe im Netz stattgefunden und nicht auf der Straße – und sei damit "faktisch unsichtbar" für die 68er. Inzwischen sei ihre Generation aber auf der politischen Bühne sichtbar. Und zwar seit dem Herbst 2011, als die Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus einzogen.
...endlich war der Generationenkonflikt, der bisher nur unter der Oberfläche brodelte, im Politikbetrieb angekommen. Die Etablierten bestaunen seitdem die Neulinge wie exotische Tiere. Ihnen fiel jetzt erst so richtig auf, dass junge Leute durchaus in der Lage sind, ihre eigenen politischen Bewegungen zu gründen. Die Piraten waren dabei natürlich nie die Vertreter der gesamten Generation, viele von uns würden die Piraten nie wählen, weil sie doch zu technikfixiert und vor allem zu unbedarft sind, als dass man ihnen die Politik anvertrauen mag. Dennoch haben sie mit uns viel gemeinsam.
Was diese Generation mit den Piraten einen, seien beispielsweise Themen, die das Netz mit sich bringt: Datenschutz, Bewachung und Beteiligung. Und während viele Ältere nach wie vor mit dem Internet fremdeln, bewegen sich die sogenannten Digital Natives dort wie selbstverständlich und nicht nur zur Unterhaltung.
"Internet, Blogs, Twitter – sind für uns wichtige, wichtige Diskussionsforen wo sehr, sehr viel schon passiert, auch an politischer Auseinandersetzung, und die ältere Generation hat darin noch überhaupt keinen richtigen Einblick. Also, für sie läuft das alles ein bisschen an deren Realität vorbei, und das ist eigentlich schade. Weil ich glaube, sie wären sehr erstaunt zu sehen, wie intensiv und kontrovers dort diskutiert wird."
Das klingt zunächst einmal weniger nach Rebellion gegen die Eltern, als nach einer Art Parallelpolitik im Netz. Beitzer arbeitet die Unterschiede des politischen Verhaltens heraus. Sie schreibt darüber, wie sie ihre Eltern für deren politisches Engagement bewundert habe. Heute herrsche jedoch ein anderer Politikstil vor: fragmentarischer, egozentrischer, wenn man so will. Das schiebt sie auch auf immer wieder enttäuschte Perspektiven: die der New Economy, des stabilen Euros, des immer wachsenden Wohlstandes.
...wir hätten auch ein bisschen rebelliert, wenn unser Studienabschluss uns selbstverständlich in eine lebenslange Festanstellung geführt hätte, wie es bei unseren Eltern der Fall gewesen ist. Aber wir waren eben nicht mit dem Wirtschaftswunder, sondern mit der Wirtschaftskrise erwachsen geworden. Vollbeschäftigung kannten wir nur noch aus den Geschichtsbüchern. Da blieb keine Zeit für Sentimentalität. Pragmatismus war gefragt.
Das "wir" ist eine Crux, die ein Buch über eine Generation mit sich bringt: Es verallgemeinert stark und klammert viele Generationsangehörige aus. Die Autorin bezieht sich mit "wir" nur auf einen privilegierten Teil der Jungen, eine Bildungselite. Und dies durchaus bewusst, erläutert Beitzer.
"Ich war zugegebenermaßen auch teilweise ein bisschen unsicher, ob sich das so trägt. Aber im Endeffekt ist es einfach so, dass es halt immer eine bestimmte Gruppe an Leuten gibt in einer Generation, die eher teilnimmt am politischen Diskurs und eine andere Gruppe, die eher nicht teilnimmt. Und es wäre einfach ein ganz anderes Thema gewesen, zu sagen: Ok, ich schau mir jetzt die anderen an."
Den Ausführungen dazu, wen sie zu diesem "wir" zählt, widmet die Journalistin ein ganzes Kapitel. Auch mit "den 68ern" könne man unmöglich alle jungen Menschen von damals meinen, sondern nur die politisch Aktiven, die Menschen, die die Öffentlichkeit für Repräsentanten ihrer Altersgruppe hält. Und diese Argumentation leuchtet ein. Hannah Beitzer zeichnet das Bild einer Generation, die kritisch ist gegenüber jeder Art von Ideologie – und trotzdem nicht desinteressiert.
"Nur, weil man kein Anhänger des Sozialismus ist oder nicht sagen kann, wir sind für die Arbeiterbewegung oder Ähnliches, heißt das ja nicht, dass man unpolitisch ist. Unsere Generation ist eben aufgewachsen in einem ganz anderen Umfeld als die ältere Generation, wo Ideologien sich teilweise schon sehr überholt hatten. Ich hatte einfach das Gefühl, dass die ältere Generation das noch nicht so richtig überrissen hat. Dass das nicht bedeutet, dass wir unpolitisch sind oder uns nicht dafür interessieren, sondern, dass es einfach eine gewisse Skepsis gegenüber allzu einfachen Erklärungen ist."
Das Buch entwickelt seine Stärke vor allem in der Analyse. An keiner Stelle scheut sich die Autorin vor einer klaren eigenen Haltung, erzählt und argumentiert oft sehr persönlich. Das ist mutig, vor allem in einem Erstlingswerk. Wer im Vorfeld der Bundestagswahl einfach ein Gespür für das Politikbewusstsein der jungen Erwachsenen von heute bekommen will, wird auch mit solchen wenig allgemeingültigen Aussagen zufrieden sein. Gerade für die Elterngeneration könnten einige Dinge klarer werden, und vielleicht löst sich damit das eine oder andere unschöne Abziehbild. Gleichzeitig, und das ist nicht unwichtig, hält Hannah Beitzer vielen Altersgenossen selbst den Spiegel vor. Es sei auch etwas Wahres dran an Etiketten, wie dem der zögerlichen Generation. Genau die könnte gerade von den Piraten eines für die Zukunft lernen, so Beitzer:
Einfach mal zu machen, anstatt endlos zu grübeln, sich auch mal was trauen, anstatt immer nur zu zaudern. Vielleicht waren die Piraten genau das, was die junge Generation brauchte, um endlich den Mund aufzumachen.
Literaturhinweis:
Hannah Beitzer: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen. Warum Politik heute anders funktioniert. Rowohlt Verlag, 192 Seiten, 12,99 Euro
"Ich hatte einfach das Gefühl, dass da sehr, sehr viel nicht verstanden wird, was eigentlich dahinter steckt."
Seite um Seite kratzt Beitzer, selbst 1982 geboren, an den Abziehbildern. Sie formuliert in betont lässiger Sprache. Die wäre nicht unbedingt nötig, auch wenn es hier um junge Menschen geht. Viele ihrer Altersgenossen seien in den vergangenen Jahren durchaus politisch aktiv gewesen, nur eben nicht nach der Façon der Eltern. Ihr Protest habe im Netz stattgefunden und nicht auf der Straße – und sei damit "faktisch unsichtbar" für die 68er. Inzwischen sei ihre Generation aber auf der politischen Bühne sichtbar. Und zwar seit dem Herbst 2011, als die Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus einzogen.
...endlich war der Generationenkonflikt, der bisher nur unter der Oberfläche brodelte, im Politikbetrieb angekommen. Die Etablierten bestaunen seitdem die Neulinge wie exotische Tiere. Ihnen fiel jetzt erst so richtig auf, dass junge Leute durchaus in der Lage sind, ihre eigenen politischen Bewegungen zu gründen. Die Piraten waren dabei natürlich nie die Vertreter der gesamten Generation, viele von uns würden die Piraten nie wählen, weil sie doch zu technikfixiert und vor allem zu unbedarft sind, als dass man ihnen die Politik anvertrauen mag. Dennoch haben sie mit uns viel gemeinsam.
Was diese Generation mit den Piraten einen, seien beispielsweise Themen, die das Netz mit sich bringt: Datenschutz, Bewachung und Beteiligung. Und während viele Ältere nach wie vor mit dem Internet fremdeln, bewegen sich die sogenannten Digital Natives dort wie selbstverständlich und nicht nur zur Unterhaltung.
"Internet, Blogs, Twitter – sind für uns wichtige, wichtige Diskussionsforen wo sehr, sehr viel schon passiert, auch an politischer Auseinandersetzung, und die ältere Generation hat darin noch überhaupt keinen richtigen Einblick. Also, für sie läuft das alles ein bisschen an deren Realität vorbei, und das ist eigentlich schade. Weil ich glaube, sie wären sehr erstaunt zu sehen, wie intensiv und kontrovers dort diskutiert wird."
Das klingt zunächst einmal weniger nach Rebellion gegen die Eltern, als nach einer Art Parallelpolitik im Netz. Beitzer arbeitet die Unterschiede des politischen Verhaltens heraus. Sie schreibt darüber, wie sie ihre Eltern für deren politisches Engagement bewundert habe. Heute herrsche jedoch ein anderer Politikstil vor: fragmentarischer, egozentrischer, wenn man so will. Das schiebt sie auch auf immer wieder enttäuschte Perspektiven: die der New Economy, des stabilen Euros, des immer wachsenden Wohlstandes.
...wir hätten auch ein bisschen rebelliert, wenn unser Studienabschluss uns selbstverständlich in eine lebenslange Festanstellung geführt hätte, wie es bei unseren Eltern der Fall gewesen ist. Aber wir waren eben nicht mit dem Wirtschaftswunder, sondern mit der Wirtschaftskrise erwachsen geworden. Vollbeschäftigung kannten wir nur noch aus den Geschichtsbüchern. Da blieb keine Zeit für Sentimentalität. Pragmatismus war gefragt.
Das "wir" ist eine Crux, die ein Buch über eine Generation mit sich bringt: Es verallgemeinert stark und klammert viele Generationsangehörige aus. Die Autorin bezieht sich mit "wir" nur auf einen privilegierten Teil der Jungen, eine Bildungselite. Und dies durchaus bewusst, erläutert Beitzer.
"Ich war zugegebenermaßen auch teilweise ein bisschen unsicher, ob sich das so trägt. Aber im Endeffekt ist es einfach so, dass es halt immer eine bestimmte Gruppe an Leuten gibt in einer Generation, die eher teilnimmt am politischen Diskurs und eine andere Gruppe, die eher nicht teilnimmt. Und es wäre einfach ein ganz anderes Thema gewesen, zu sagen: Ok, ich schau mir jetzt die anderen an."
Den Ausführungen dazu, wen sie zu diesem "wir" zählt, widmet die Journalistin ein ganzes Kapitel. Auch mit "den 68ern" könne man unmöglich alle jungen Menschen von damals meinen, sondern nur die politisch Aktiven, die Menschen, die die Öffentlichkeit für Repräsentanten ihrer Altersgruppe hält. Und diese Argumentation leuchtet ein. Hannah Beitzer zeichnet das Bild einer Generation, die kritisch ist gegenüber jeder Art von Ideologie – und trotzdem nicht desinteressiert.
"Nur, weil man kein Anhänger des Sozialismus ist oder nicht sagen kann, wir sind für die Arbeiterbewegung oder Ähnliches, heißt das ja nicht, dass man unpolitisch ist. Unsere Generation ist eben aufgewachsen in einem ganz anderen Umfeld als die ältere Generation, wo Ideologien sich teilweise schon sehr überholt hatten. Ich hatte einfach das Gefühl, dass die ältere Generation das noch nicht so richtig überrissen hat. Dass das nicht bedeutet, dass wir unpolitisch sind oder uns nicht dafür interessieren, sondern, dass es einfach eine gewisse Skepsis gegenüber allzu einfachen Erklärungen ist."
Das Buch entwickelt seine Stärke vor allem in der Analyse. An keiner Stelle scheut sich die Autorin vor einer klaren eigenen Haltung, erzählt und argumentiert oft sehr persönlich. Das ist mutig, vor allem in einem Erstlingswerk. Wer im Vorfeld der Bundestagswahl einfach ein Gespür für das Politikbewusstsein der jungen Erwachsenen von heute bekommen will, wird auch mit solchen wenig allgemeingültigen Aussagen zufrieden sein. Gerade für die Elterngeneration könnten einige Dinge klarer werden, und vielleicht löst sich damit das eine oder andere unschöne Abziehbild. Gleichzeitig, und das ist nicht unwichtig, hält Hannah Beitzer vielen Altersgenossen selbst den Spiegel vor. Es sei auch etwas Wahres dran an Etiketten, wie dem der zögerlichen Generation. Genau die könnte gerade von den Piraten eines für die Zukunft lernen, so Beitzer:
Einfach mal zu machen, anstatt endlos zu grübeln, sich auch mal was trauen, anstatt immer nur zu zaudern. Vielleicht waren die Piraten genau das, was die junge Generation brauchte, um endlich den Mund aufzumachen.
Literaturhinweis:
Hannah Beitzer: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen. Warum Politik heute anders funktioniert. Rowohlt Verlag, 192 Seiten, 12,99 Euro