Archiv


Die Klangjäger

Tontechnik war vor der Digitalisierung ein sündhaft teures Geschäft. Heute sind die Forschungsergebnisse der Akustiker bis in die Kaufhäuser vorgedrungen, wo entsprechende Hard- wie Software auch Amateure in die Lage versetzt, profane Tätigkeiten akustisch hoch zu veredeln. Hausgemachte Hörspiele sind durchaus machbar. Die professionellen Akustiker feilen derweil an virtuellen Klangwelten, in denen scheinbar fliegende Schlagzeuger genau so drummen, wie sie drummen würden, wenn sie fliegen könnten. In den Programmen lässt sich etwa ein brüllender Löwe an den Horizont ziehen; von dort klingt er dann auch so, wie er in der realen Welt aus dieser Entfernung klingen würde - alles vollautomatisch.

Von Mathias Schulenburg |
    Raffinierte Akustik für wenig Geld - solche Techniken sind das Resultat langer Forschung, ähnlich dieser. Ein Rückblick:

    DAGA '91 in Bochum. Diese Tagung der Deutschen Akustischen Gesellschaft hatte als besonderes Highlight den Vortrag von Tom Furness, eines Meisters der akustischen Täuschung, damals im Dienst der US-Luftwaffe zur Konstruktion des so genannten Supercockpits, eines Cockpits, das mittels einer virtuellen Umgebung, mit Scheinwelttechniken a la Matrix, dem Piloten zur Seite stehen sollte.

    Ein Problem: Wie erreicht man gestresste Piloten in kritischen Momenten, etwa bei der Landung auf einem Flugzeugträger? Jahr um Jahr habe man es mit den verschiedensten Techniken versucht, mit vibrierenden Steuerknüppeln, flackernden Lichtern, Klingelzeichen - allzu oft umsonst. Dann habe man das Konzept des heiligen akustischen Raumes entdeckt, in den normalerweise nur sehr nahe stehende Menschen eindringen dürfen - niemand lässt einen Fremden ganz dicht ans Ohr, auch noch von hinten! -, und habe diesen heiligen Raum mit dreidimensionalen Soundtechniken nachgebildet:

    " Mit dreidimensionalem Sound kann man Geräusche aus verschiedenen Richtungen kommen lassen. Und wir entdeckten dabei, dass wir alle einen heiligen Raum um uns haben, ein persönliches Umfeld. So kann man sehen, ob sich Leute kennen oder nicht, daran, wie dicht sie beieinander stehen. Bei Fremden ist das ungefähr eine Armlänge. Das ist auch eine kulturelle Sache. Italiener stehen dichter beieinander; bei Texanern sind es vielleicht drei Meter. Nun, wir lassen unsere Freunde in diesen Raum, und unsere Lieben, aber können dann nicht mehr ignorieren, was geschieht, zumindest auf der verbalen Ebene. Mit 3D-Sound fanden wir nun, dass dieser Umstand sehr gute Möglichkeiten bietet, die Aufmerksamkeit des Piloten zu bekommen. Eines der Experimente, das wir machten, war: Wenn der Pilot daherflog und einen Schaden in einem seiner Triebwerke hatte, kam über seinem Kopf, als ob sich jemand drüber lehnte, eine kleine Stimme her und sagte: Daddy, Dein rechtes Triebwerk brennt."

    Daddy, Dein rechtes Triebwerk brennt!

    " Und das ist so überzeugend, man kann den Atem im Ohr spüren. Und das lenkt einen von allem anderen ab. Tatsächlich ist da die Stimme Deiner Tochter im Datentransfermodul gespeichert, zusammen mit den Eigenheiten Deiner Ohren, Deiner Augen, Deiner Stimme. Das Super-Cockpit ist genau auf Dich persönlich zugeschnitten."

    Daddy, Dein rechtes Triebwerk brennt!

    Die Deutsche Jahrestagung für Akustik fünfzehn Jahre später. Der DAGA 2006 ist eine kleine Industrieausstellung angeschlossen, auf der eigentümliche Gebilde Aufmerksamkeit erregen: Metallgitter ähnlich Pflanzenrankhilfen, deren Kreuzungspunkte mit kleinen Mikrofonen bestückt sind, oder Ringe wie Fahrradfelgen, dicht mit Mikrofonen besetzt wie ein Riesenrad mit Glühbirnen, oder kugelförmige Mikrofon-Arrays - alles Varianten einer so genannten "akustischen Kamera", die in zehn Jahren das Ablästern auf einer Party zum Risiko machen könnte:

    Dann nämlich werden sich Dank der dann verfügbaren Computerleistungen in Echtzeit Einzelstimmen aus einem Stimmengewirr herausfiltern lassen. Hierfür hätte man dann ein Videobild der Party auf dem Monitor, würde mit einem Mauszeiger die interessierenden Partygäste anfahren und bekäme dann eben mit, was die Leute so reden.

    Das aber ist gar nicht der Sinn der Akustischen Kamera, sagt Ralf Schröder, bei der Gesellschaft zur Förderung Angewandter Informatik in Berlin-Adlershof Leiter der Signalverarbeitung; die mit Innovationspreisen bedachte Entwicklung soll vielmehr im Autoinnenraum Störgeräusche ausfindig machen - was quietscht denn da -, lästige Schallquellen lokalisieren und Ähnliches. Und zwar so: Auf dem radfelgengroßen Ring ...

    "... haben wir in diesem Fall 32 Mikrofone untergebracht, die zum Orten der Schallquellen benötigt werden, wir messen mit den 32 Mikrofonen den Schall an diesem Ort und durch Ausnutzung und Ausrechnung von Laufzeitunterschieden können wir feststellen, von wo eine Schallquelle Schall abgestrahlt hat."

    Der Ring muss dazu nicht bewegt werden. Bei einer Messung werden die Signale aller 32 Mikrofone digital aufgezeichnet und im Rechner aufbereitet. Dann kann man mit dem Mauszeiger über das gleichzeitig aufgenommene Referenzbild fahren und so die akustischen Details etwa einer Geldzählmaschine Punkt für Punkt hörbar machen.

    Das Thema des Tom Furness ...

    Daddy, Dein rechtes Triebwerk brennt!

    ... die virtuelle Umgebung also, akustische Scheinwelten, ist nach wie vor ein Top-Thema, sagt Jens Blauert, emeritierter Professor der Universität Bochum und in der Gemeinde der Akustiker so etwas wie ein "Elder Statesman":

    " Die virtuelle Umgebung ist eine, wie man so schön auf Amerikanisch sagt, eine "enabling technology", sie steht nicht für sich selber sondern im Anwendungszusammenhang selber wird sie eigentlich erst interessant. Und sie ist in ihrem Anwendungsspektrum so breit, das Sie Komponenten davon überall finden werden in der Zukunft. Das Grundproblem der Mensch-Maschine-Kommunikation wird dadurch angesprochen, z.B., wozu ja auch das elektronische Cockpit gehört. Wir haben so etwas übrigens auch für Zivilflugzeuge dann erarbeitet und im Airbus sind bestimmte Komponenten davon etwa auch implementiert. Nicht alles, was wir vorgeschlagen haben, aber es setzt sich so langsam durch. Es setzt sich komponentenweise durch, Sie können es oft auch gar nicht lokalisieren, weil moderne informationstechnische Systeme so kompliziert geworden sind, dass die akustischen Komponenten dann nur "embedded components" sind, die sind irgendwo da mit drin, die können Sie auch gar nicht rauslösen."

    Eine Entwicklungsziel, Telekonferenzeinrichtungen, ist schneller Realität geworden als angenommen:

    " Ich erinnere mich noch, dass ich 1988 in Tokio als Gastprofessor war und mit meinen japanischen Kollegen 1988 gesagt habe, unser Traum wird sein, dass man vielleicht in dreißig Jahren so etwas tun kann, solche Telekonferenzen aufbauen kann, und zehn Jahre später war es da. Das ist heute Realität, das geht mit versteckten Lautsprechern, die Positionen der Köpfe werden entweder über Videosysteme oder über spezielle Tracking-Systeme ermittelt, und der Rechner rechnet dann die Signale so, dass man an dem Hörerplatz dann den Eindruck von Immersion hat."

    Also überzeugend in die akustische Kunstwelt eingetaucht ist. So richtig durchgesetzt hat sich die Technik dennoch nicht.

    " Das ist allerdings alles sehr aufwändig, und wie oft in der Technologie ist es so, dass das, was angeboten wird, nachher gar nicht angenommen wird in dem Maße, wie man es sich es vorstellt. Das ist auch hier so, man muss noch abwarten, bis diese Technologie breit Eingang findet und die Killer-Applikationen, wie man heute so schön sagt, sind dann oft auf einem ganz anderen Gebiet. Zum Beispiel auf dem Gebiet der Spiele, wo wir heute bei den Computerspielen schon auf sehr ausgeprägte und sehr ausgefeilte virtuelle Realitäten sehen."

    Zu den mittlerweile vertrauten visuellen Simulationen von Räumen ist mittlerweile auch die akustische Simulation gekommen, Das heißt, man kann in einen geplanten Konzertsaal schon vor der Realisierung hineinhören:

    " Das heißt, der Käufer würde ja gerne wissen, ob Sie ein guter Architekt sind und ein guter Akustiker und die Halle nachher gut klingt, und dann kann man sozusagen im Rechner diesen Raum simulieren, und dann kann man dem Kunden sagen, so wird der Raum ungefähr klingen."

    Sagt Jonas Braasch, Assistenzprofessor an der kanadischen McGill-University und dort mit kniffligen akustischen Verfahren befasst, unter anderem der Kreation von Software, mit der sich virtuelle Konzertsäle realisieren lassen. Das geht im Prinzip so: An jedem einzelnen Instrument eines Orchesters wird ein Mikrofon befestigt, so, dass der Aufnahmeraum keine wesentliche Rolle mehr spielt. Und dann wird der Konzertsaal der Wahl gleichsam dazu gerechnet:

    " Das heißt, dass man also im Prinzip eine virtuelle Umgebung dort ansetzt und nachher Signale erzeugt, als wären sie mit Raummikrofonen aufgenommen worden. Und dann können Sie natürlich auch die Carnegiehall und jede andere Music-Hall nehmen durch die virtuelle Umgebung. Und das ist genau das Verfahren, was ich im Prinzip entwickelt habe. Der Vorteil gegenüber vielen anderen virtuellen Umgebungen ist, dass der Tonmeister Bescheid weiß, also, wenn er z.B. in meiner virtuellen Umgebung sagt, das ist ja viel zu hallig, dann wird er ganz intuitiv sagen können, OK, dann gehe ich jetzt noch mal einen Meter nach vorne, dann passt's. Weil er im Prinzip mit diesen Realmikrofonen gearbeitet hat, die ganze Software ist auch als visuelles Tool aufgebaut, Das heißt, Sie sehen den Raum und Sie sehen die Platzierung der Mikrofone und da kann er dann alles ändern."

    Der Tonmeister geht wohlgemerkt mit virtuellen, also rechnerisch simulierten Mikrofonen nach vorne, via Computermaus. Das macht ganz neue Freiheiten möglich:

    " Sie können plötzlich anfangen, Sachen zu machen, die Sie sonst nicht machen können, Sie können z.B. einen Trompeter ganz schnell durch den Raum bewegen, das ist ja technisch gar nicht möglich, weil er ja nicht fliegen kann, aber in dieser virtuellen Umgebung, da können Sie sozusagen mit dem Mausklick den Trompeter einmal quer durchziehen, und dann haben Sie auch Effekte wie z.B. den Dopplereffekt, dass das plötzlich höher oder tiefer wird, je nach dem ob der Trompeter sich Ihnen zu oder von Ihnen weg bewegt."

    Man auch ein Schlagzeug auf einer Ellipse durch den virtuellen Raum rasen lassen - alles wird automatisch variiert: Lautstärke, Klangfarbe, Dopplereffekt.

    Das Hörspiel wird von der Arbeit Jonas Braaschs und seiner Kollegen stark profitieren und Welten erzeugen können, in die man ganz und gar eintaucht:

    Daddy, Dein rechtes Triebwerk brennt!

    " Wie würden Sie eine Schallquelle weiter entfernt darbieten? Meistens würde man versuchen, ein bisschen mehr Nachhall zu geben, man würde vielleicht, wenn man ganz gewieft ist, den Klang ein bisschen dumpfer machen, bei Hörspielen finden wir das ja immer wieder, und das ist in dieser virtuellen Umgebung ganz automatisch. Sie können auch einfach die Schallquelle weiter nach hinten ziehen und dann wird das automatisch halliger und dementsprechend ein bisschen dumpfer, und Sie können auch Bewegungsabläufe automatisch machen. Also z.B. wenn Sie in einem Hörspiel einen Krankenwagen fahren lassen, dann könnten Sie ja das Signal erst einmal ein bisschen lauter werden lassen und dabei die Tonhöhe ein bisschen anheben, und wenn er sich dann wieder weg bewegt, ein bisschen leiser und tiefer machen, und das wird in so einer virtuellen Umgebung ganz automatisch [gemacht]. Sie ziehen einfach diese Schallquelle einmal quer durch den virtuellen Raum und sie wird lauter und dabei gleich höher, und das ist das, was das Ganze so intuitiv macht. Und das Zweite, das Sie haben wollen, Sie wollen möglichst viele Klangmöglichkeiten haben, also diese Idee, dass man etwas möglichst naturgetreu aufnimmt, das ist ja eigentlich eine Illusion. Das soll besser klingen, es soll gut klingen und wenn möglich will der Tonmeister seine persönliche Handschrift haben, also so eine Platte soll nach ihm klingen oder nach ihr. Und das kann man mit diesem Konzept auch, es bietet mehr künstlerische Freiheiten als viele andere Systeme."




    Kunstmalern werden ja auch ganz erstaunliche Freiheiten eingeräumt, warum soll das bei der Tonkunst anders sein.

    Techniken wie die von Jonas Braasch entwickelten kommen durchaus schon im Alltag an; im thüringischen Ilmenau z.B. glänzen die Lindenlichtspiele mit einem von der Fraunhofergesellschaft realisierten Beschallungssystem, das jedem einzelnen von 89 Sitzplätzen dreidimensionalen Sound zuweist, Batman könnte so jedem Zuschauer individuell um die Ohren flattern.

    Töne werden eigentlich erst dann zu Klängen, wenn sie jemand hört, mithin gehört der der Empfänger und dessen Empfinden mit zum Gegenstand der Akustik.

    Ute Jekosch erforscht an der Technischen Universität Dresden die Grundlagen dieser "Psychoakustik", unter anderem mit dem Ziel, Sound-Designern die Kreation überzeugender Sound-Icons, die akustischen Gegenstücke zu den vertrauten Piktogrammen, zu ermöglichen. Wenn etwa in einem Neuwagen der Blinker klickt, ist das kein Relais mehr, dass da klackt, es ist ein kleiner Lautsprecher mit einem Sound-Icon.

    In der Digitalkamera lärmt natürlich auch kein Verschluss oder Filmzugmotor mehr, alle diese Geräusche sind Fakes, Vorspiegelungen. Durchaus im Interesse des Kunden, weiß Ute Jekosch:

    " Also dass ich eben weiß, wenn ich vor einer Ampel mit meinem Auto stehe, dass der Motor nicht aus ist, Das heißt, absolute Stille wäre da überhaupt nicht erwünscht weil ich dann zögern würde, Gas zu geben sondern eher den Wagen noch mal starten würde. Und das sollte natürlich vermieden werden. Das heißt Also wir bekommen immer über die Akustik Informationen über unsere Umgebung, und gerade dann wenn wir Umgebung künstlich erzeugen, dann müssen wir uns fragen, was Nutzinformationen sind, die wir tatsächlich brauchen, und welches Einheiten sind, auf die wir verzichten können weil sie störend und ablenkend wirken."

    Und was der Supermarkt an der Obsttheke macht - mit Spiegeln eine gewaltige Fülle vortäuschen, wird bald auch im Flieger akustisch gehen:

    " In der Flugzeugindustrie gibt es Bestrebungen, dass man den Innenraum eines Flugzeugs akustisch erweitert. Dass man also, obwohl man in einem beengten Raum sitzt, durch einen akustischen Input das Gefühl bekommt dass man in einem weiteren Raum sitzt und dadurch Akzeptanz und Wohlbefinden gesteigert wird."

    Sprecherin: Leider feilen die Akustiker auch daran, der automobilen Kundschaft durch teils nervtötende Motorklänge zur gewünschten Aufmerksamkeit zu verhelfen, gerade auch Mofafahrer wissen das zu schätzen. Die Möglichkeit, das Bullenröhren oder was immer in den Helm zu leiten, verbietet sich leider.

    " Also ein solches System, über Helm dargeboten, hat durchaus seine Grenzen, wenn man sich überlegt, weshalb will ich das denn überhaupt, weshalb möchte ich diesen Sound meines Mofas generieren? Beispielsweise damit die Mädels mir nachgucken, wenn ich aber weiß, das wird über Kopfhörer dargeboten, dann weiß ich auch, dass ich diesen Effekt nicht erzielen kann."

    Kann man auch als gewöhnliches Volk aktiv auf der neuen Akustik-Szene mitmischen? Man kann, sogar im Wortsinne. MAGIX, Berlin, ist eine aus der SEK'D, der Hochschule für elektronisches Klangdesign, Dresden, hervorgegangene Firma, die mit großem Erfolg Software für die multimedialen Massen verkauft, Software, die viel kann und wenig kostet.

    Michael Rubner ist Senior Content Manager Music - auf der Szene wimmeln die Anglizismen, obwohl viele erfolgreiche Musiksoftwareproduzenten deutschen Ursprungs sind:

    " Also was man auf jeden Fall sagen kann, wenn man früher, sagen wir vor 15 Jahren, Musik machen wollte, hat man sich ein Studio zusammen stellen müssen, was sicherlich mindestens eine halbe Million gekostet hat, um wirklich professionell Aufnahmen zu machen. Heutzutage, würde ich sagen, für rund 1500 Euro kriegt man glaube ich ein wirklich sehr professionelles Tonstudio zustande. Wenn man 'ne gute Soundkarte hat, das ist was, wo man Geld ausgeben kann, noch; Produkte wie z.B. Music Studio gibt's für 69 Euro, früher hat man vielleicht eine Studer-Bandmaschine in seinem Studio stehen gehabt, die hat dreißig, vierzig, sechzigtausend DM damals noch gekostet, wenn's reicht."

    Heute passen Aufnahmegeräte, die ein Mehrfaches dessen leisten, was die Studio-Bandmaschinen konnten, in die Hemdtasche. Digitale Rauschminderung, abschaltbare Datenreduktion, Sechsbandequalizer - alles drin, alles dran. Audiorekorder ohne bewegte Teile, die hochwertige Audiofiles direkt auf Speicherkarten abladen, gibt es schon. Das Mikrofon mit integriertem Aufnahmegerät ist nur eine Frage der Zeit, wenn es nicht schon da ist.

    Und wenn das Publikum am reinen, perfekten Sound nicht wirklich interessiert ist, hilft die Softwareschmiede mit akustischer Patina aus:

    " Häufig sind Klänge durch die Produktionsmöglichkeiten, die die Technik bietet, so weit gediehen, dass viele Leute sagen, das ist mir zu sauber, das ist mir zu rein, der Klang. Da gibt es zum einen die Möglichkeit, in der Tat die Aufnahme wieder dreckiger zu gestalten, es gibt aber auch, wie im Audio Cleaning Lab, eine Möglichkeit, eine Tape-Simulation unter die Aufnahme bzw. über die Aufnahme zu legen. Das heißt, ich möchte meinen guten alten Kassettenklang, nicht nur, weil ich seit Jahren mich daran gewöhnt habe, weil ich mit Kassetten aufgewachsen bin, sondern weil der Sound auf der Kassette eine Dynamik hat, die für manche Aufnahmen einfach sehr gut ist und die ihm gut tut, wo man merkt: Ein allzu klinischer Klang, da ist kein Wumm drin, da stimmt etwas nicht, dass muss anders gemacht werden, und dafür gibt es auch Möglichkeiten wie eben diese Tapesimulation."

    Auf der Suche nach dem ideologisch einwandfreien Klang greifen die Programmierer auch schon mal zu barbarischen Mitteln, weiß Michael Frank, bei MAGIX Produktmanager.

    " Es gibt in verschiedenen Musikrichtungen, HipHop zum Beispiel, dieses Plattenknistern, was untergelegt wird, um einfach ein bisschen mehr Dreck in die Aufnahme rein zu bekommen. Es muss nicht mehr sauber klingen, bei HipHop, das ist Dreck von der Straße, da muss das Ding, der Song muss schmutziger klingen, und wie bekommt man das Plattenknistern rein? Man kann natürlich eine Platte aufnehmen oder, was ich schon gehört habe, man nimmt ein Stück Speck und brät es an und nimmt es auf und legt es unter die Audio-Aufnahme. Was sich genau so anhört wie ein Plattenknistern."

    Die neuen Techniken haben nicht nur positive Folgen gezeitigt, zu den Dingen, die man mittlerweile leid ist, zählen die künstlich schnell gemachten "Risiken und Nebenwirkungen", und dass die Fernsehreklame immer so tierisch laut reinhaut.

    Das machen Kompressionsprogramme, die den Schall verdichten. Irgendwann wird eine Mehrheit der Adressaten dessen überdrüssig sein. Und auch die Musik hat gelitten, sagt Michael Rubner:

    " Was sich in den letzten fünfzehn Jahren sehr verändert hat, ist, dass früher Musik viel dynamischer war insgesamt, auch eine Pop-Produktion hatte Dynamik im Lied, heutzutage ist alles sehr platt, sehr flach gebügelt, man versucht, immer lauter zu werden, weil man festgestellt hat, dass das Ohr auf lautere Musikstücke besser reagiert, Das heißt, wenn ich ein Lied hör, das ist einmal leise, einmal laut, dann ist es in der Regel so, das laute Lied gefällt mir besser. Da gibt es eben heutzutage auch die Möglichkeiten, eben auch im Homestudio, auch im Music Studio, einen Song am Ende zu mastern, so dass er immer laut und präsent ist."

    Leiser, schöner Schnee von gestern, ganz ohne digitale Bearbeitung aufgenommen:

    " She must be hurt very badly,
    Tell me, what's making you sadly?
    Lisa, Lisa, sad Lisa, Lisa."

    Aber die neuen technischen Möglichkeiten wird man nicht allein für die krude Klangwelt von heute verantwortlich machen können, es ist wie mit Beton: Es kommt drauf an, was man draus macht. Und "leise" kann die neue Technik natürlich auch, noch nie waren so vorzügliche und rauscharme, dabei bezahlbare und überdies winzige Tonmaschinen zu haben wie heute.

    Geräte, die mit einer Batterie drei Tage durchhalten. Und was kann man schließlich mit der Billig-Software wirklich machen? Mittlerweile eigentlich fast alles, was für ein anspruchsvolles Hörspiel vonnöten ist. Man kann sich z.B. mühelos ein hinkendes Monster mixen, das eine Geheimgesellschaft belauscht.

    Oder: Lord Nelson rennt - im Notebook! - unter dem Deck des Schiffes San Nicholas auf die gerammte San Jose zu, springt durch deren Heckfenster, steigt an Deck und nimmt das Schiff in Besitz - alles unter mörderischem feindlichem Feuer aus dem Schallarchiv.

    Als er schließlich doch den Heldentod gefunden hat, wird Lord Nelson ein erstklassiges Begräbnis in der St. Paul's Cathedral zuteil, mit Salutschüssen, allen Glocken Londons und Trauergästen ohne Ende.

    So kann man sich mit erschwinglichen Mitteln eine feine Gesellschaft zusammen mixen, ohne dazu gehören zu müssen.

    Und wie war das mit den Heiligen Spiegeleiern des "Kardinal M"?

    Faltungshall war das, sagt Michael Rubner von MAGIX,

    "... der mit Impulsantworten arbeitet, dass heißt z.B. in der Kirche wird über einen Schuss, über ein Klappen von einer Klappe, werden Hallsignale aufgezeichnet, die ich hinterher auf mein eigenes Signal übertragen kann. Und damit den Hall habe, den ich in dieser Kirche tatsächlich höre."

    Schöne neue Akustik.

    Gibt es nichts, was das Bild trüben könnte? Doch, natürlich, Schall kann auch als Nervensäge eingesetzt werden, und man muss nicht weit gehen, um Zeuge zu werden, das nächste Modegeschäft führt die Neuerung womöglich schon.

    Als Erwachsener hört man nichts Ungewöhnliches in dieser Dependance einer bekannten Kette auf der Kölner Ehrenstraße, nur das übliche Gedudel. ... Kim, 16, ist dagegen schwer genervt:

    " Also ich höre ein ganz lautes Piepen in meinem Ohr, und das tut richtig weh, und als ich aus dem Laden raus ging, war es nicht mehr zu hören, Das heißt, dass ich mir das nicht eingebildet habe."

    Das Piepen ist auch nicht eingebildet. Das Spektrometer des Audioprogramms zeigt in der Ladenatmosphäre eine große Lautstärke bei 20 Kilohertz - da hat jemand einen Hochtöner voll aufgedreht. Zwanzig Kilohertz sind für Erwachsene nicht mehr wahrnehmbar, für junge Leute schon, schmerzhaft. Wenn man die Abspielgeschwindigkeit dieser Aufnahme um den Faktor sechs absenkt, kann es jeder hören.

    Diese "Frequenzwaffe", wie es in der Presse heißt, ist in England erdacht worden - viel Intelligenz war dafür nicht vonnöten, eher Schamlosigkeit. Sie soll Jugendliche davon abhalten, sich einfach so in den Läden herumzudrücken, in den Klamotten zu wühlen, ein Chaos zu hinterlassen und so fort. Das ist tatsächlich ein Problem, andere Klamottenketten aber lösen das mit mehr Personal. Die Kids sollten sich merken: Der Pfeifton wird ganz bewusst gegen sie eingesetzt, also: Einfach nicht mehr hingehen, wo das zu hören ist, auch Jahre später nicht, wenn man den Ton nicht mehr wahrnimmt.

    Die Wissenschaft von der Akustik kann dafür nicht getadelt werden. Und hat sie nicht auch die Dorfklänge alter Art konserviert? Die kommen so nie mehr zurück; den "Sommertag im Dorf" hat Michael Schubert aufgenommen.