"Herzlich willkommen bei der DGB-Mindestlohn-Hotline. Derzeit befinden sich alle Berater im Gespräch. Bitte warten Sie einen Moment ... Heidi Weidling, Guten Tag."
Konzentriert sitzt Heidi Weidling vor ihrem Monitor, die Liste mit Antworten auf knifflige Fragen immer griffbereit. Es sind oft komplizierte Themen, die zur Sprache kommen. Sie macht sich Notizen, hakt nach:
"Wann hat der Arbeitgeber das denn bekannt gegeben, dass er das jetzt ändern will, jetzt erst oder schon vor zwei drei Monaten."
Ein älterer Mann hat angerufen. Er arbeitet als Minijobber bei einer Inventurfirma, verdient sich etwas dazu, damit er mit seiner kargen Rente über die Runden kommt. Anfang des Jahres hat er eine ordentliche Lohnerhöhung bekommen, 8,50 Euro verdient er jetzt pro Stunde, Mindestlohn halt. Doch mehr Geld hat der Mann am Monatsende nicht in der Tasche. Die Lohnerhöhung habe ihm sein Arbeitgeber klammheimlich wieder abgezogen, sagt er. Die Anfahrten zum Kunden, die bislang als Arbeitszeit gezählt wurden, werden jetzt nicht mehr berücksichtigt. Die Folge: Trotz Mindestlohn verdient er nicht mehr als vorher:
"Das deutet darauf hin, oder eventuell ist es so, dass man damit natürlich den Mindestlohn umgehen will, von der Arbeitszeit her."
Für Heidi Weidling und ihre Kollegen vom DGB ein nicht unüblicher Fall. Die Arbeitgeber haben sich viele Tricks einfallen lassen, um den Mindestlohn zu umgehen, sagt sie und nennt Beispiele.
"Minijobber beispielsweise, die in Solarien arbeiten oder so, oder in Bäckereien, die dann einfach einen Gutschein erhalten. Wo gesagt wird, du erhältst einen Stundenlohn von sechs Euro und bekommst einen Gutschein von zwei Euro und kannst dir Brötchen kaufen oder kannst zehn Minuten umsonst ins Solarium gehen, oder so was ähnliches. Ist natürlich nicht zulässig. Denn 8,50 Euro ist der Mindestlohn und den sollte jeder mindestens auch brutto bezahlt bekommen und da darf nicht mit Naturalien getauscht werden."
Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zu Beginn dieses Jahres hat der Deutsche Gewerkschaftsbund die Hotline in Magdeburg freigeschaltet. Anfangs waren es 400 bis 500 Anrufer am Tag. Darunter auch Arbeitgeber, die sich informieren wollten über das neue Gesetz. Wir wurden regelrecht überrollt von Anrufern, sagt Hartmut Brondke, der Geschäftsführer des gewerkschaftseigenen Service-Centers.
"Wir wussten zwar, dass es ein kompliziertes Gesetz gibt, wo wir in der Ausführung ganz viele Details und Nachfragen geben wird. Aber: Der tatsächliche Ansturm in den ersten Tagen hat uns ehrlich gesagt überrascht."
Inzwischen hat sich die Lage beruhigt, 40, 50 Anrufer melden sich noch pro Tag. Meist sind es Beschäftigte, die ihre ersten Mindestlohnabrechnungen überprüft haben, und sich von ihrem Arbeitgeber getäuscht sehen. Wie jene Frau, erzählt Hedi Weidling, die Vollzeit in einem Nagelstudio arbeitet, bezahlt wird sie neuerdings aber nur für die Zeit, in der sie einen Kunden behandelt:
"Die kriegt höchstens für einen Kunden eine Stunde bezahlt und wenn nur drei Kunden da sind pro Tag, dann bekommt sie auch nur drei Kunden bezahlt, muss aber acht Stunden anwesend sein. Also, die wird also nur nach Kunden bezahlt, obwohl der Arbeitsvertrag das so nicht hergibt."
Der Mindestlohn, ein Muster ohne Wert? Eine gute Idee, in der Praxis aber ohne Wirkung, weil findige Arbeitgeber genügend Schlupflöcher finden, um die neue Lohnuntergrenze zu umgehen? Arbeitsministerin Andrea Nahles sagt: Nein. Der Mindestlohn wirkt:
"Die Erfahrungen mit der Umsetzung des Mindestlohns in Deutschland sind sehr gut. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Wir wissen, dass der Mindestlohn mittlerweile überall ankommt. Wir wissen, dass wir Millionen von Menschen haben, die davon profitierten."
Deshalb geht die SPD-Ministerin auch medial in die Offensive. Mitte April enthüllt sie im Willi-Brandt-Haus gemeinsam mit SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi ein Plakat. "Zeit für eine neue Zeitrechnung", steht darauf. "Der Mindestlohn ist da." Parteimanagerin Fahimi spricht von einer historischen Errungenschaft, von der 3,7 Millionen Menschen profitierten.
"Alle Schreckensszenarien, die es vorab gegeben hat, auch von sogenannten Experten, haben sich als absolute Luftnummern herausgestellt. Es gibt keine Unternehmenspleiten, es hat keine Massenentlassungen gegeben und es hat auch keine massiven Preiserhöhungen gegeben. Alles Fehlanzeige."
Die Krux mit den Ausnahmen
8,50 Euro – weniger soll seit dem ersten Januar dieses Jahres niemand in Deutschland verdienen. Aber: Es gibt Ausnahmen. Der Mindestlohn gilt nicht für Praktikanten und Jugendliche unter 18 Jahren, nicht für ehrenamtlich Tätige und für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer neuen Beschäftigung.
Zudem gibt es Übergangsregelungen. Arbeitgeber dürfen zwei Jahre lang niedrigere Löhne zahlen, wenn sie das mit den Gewerkschaften in einem allgemein verbindlichen Tarifvertrag vereinbart haben. Auch für Zeitungszusteller gibt es Sonderregeln, Landwirtschaftsbetriebe müssen für Saisonarbeiter zwar den Mindestlohn zahlen, dürfen aber Kosten für Unterkunft und Verpflegung gegenrechnen.
Der Opposition geht das zu weit. Brigitte Pothmer von den Grünen hält vor allem die Ausnahme für Langzeitarbeitslose für ungerecht:
"Wenn Sie ganz generell sagen, Langzeitarbeitslose kriegen keinen Mindestlohn, dann setzen Sie eigentlich die Botschaft, die da lautet: Langzeitarbeitslose, die können nichts, die kriegt Ihr billiger. Diese Form der Diskriminierung hilft den Langzeitarbeitslosen wirklich nicht."
CDU und CSU hatten auf noch weitergehende Ausnahmen gedrängt. Nahles Koalitionspartner sehen auch vier Monate nach der Einführung des Mindestlohns noch Korrekturbedarf. Carsten Linnemann, der Bundesvorsitzende der Mittelstandsvereinigung von CDU/CSU:
"Die 8,50 Euro stellt niemand in Frage. Jeder wusste auch, im Koalitionsvertrag, es gibt einen flächendeckenden Mindestlohn. Aber, die Umsetzung, die läuft nicht nach Plan. Vielleicht ist es auch normal, bei einem so großen Gesetz, dass mal nachgebessert werden muss. Und ich freu mich, dass sich die Kanzlerin an die Spitze der Bewegung gestellt hat. Und gesagt hat: Wir müssen hier nachbessern."
Ob und, wenn ja, wo nachgebessert werden soll, ist noch völlig unklar. Der Koalitionsausschuss wird sich am Sonntag mit der Frage beschäftigen. Arbeitsministerin Andrea Nahles, die den Spitzen von Union und SPD eine Zwischenbilanz zum Mindestlohn vorlegen wird, sieht wenig Grund für Korrekturen:
"Wir werden also einen umfassenden Bericht sowohl der Umsetzung machen, also was der Stand der Dinge da ist. Eine Änderung des Mindestlohngesetzes kann ich zurzeit nicht als erforderlich ausmachen."
Ein Streitpunkt: Dokumentationspflichten für Arbeitgeber
Ihre Koalitionspartner sehen das anders. Größter Streitpunkt zwischen Union und SPD sind die Dokumentationspflichten für Arbeitgeber. Laut Gesetz müssen sie die Arbeitszeiten für Beschäftigte bis zu einer Schwelle von 2.958 Euro exakt aufschreiben. Wirtschaftspolitiker wie Carsten Linnemann sprechen von einem bürokratischen Monster und fordern Korrekturen.
"Das ist für uns nicht ein Problem, aber es ist letztendlich auch ein Mehraufwand."
Tanja Cujic-Koch ist Geschäftsführerin einer Berliner Reinigungsfirma. Mit dem Mindestlohn hat sie schon länger Erfahrung. Seit 2007 gibt es für die rund 600.000 Beschäftigten in der Gebäudereinigungsbranche einen Branchenmindestlohn. Der liegt im Westen momentan bei 9,55 Euro, im Osten bei 8,50 Euro. Die strengeren Dokumentationspflichten, die mit dem gesetzlichen Mindestlohn eingeführt wurden, gelten seit Anfang des Jahres auch für sie und ihre Beschäftigten. Auch für diejenigen, die auf weit über 8,50 Euro die Stunde kommen.
"Wir haben früher keine Arbeitszeitaufzeichnung für unsere Führungskräfte, für unser kaufmännisches Personal, für unser Lagerpersonal geführt. Das sind alles Gehaltsempfänger. Und da gab es keine Arbeitszeitaufzeichnung, die jetzt aber gemacht werden müssen."
Diese Dokumentationspflicht betrifft neun Branchen, die nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit ohnehin strikteren Pflichten unterworfen sind, weil sie in der Vergangenheit wegen weitreichendem Lohndumping aufgefallen sind. Dazu gehören die Bau- und Fleischwirtschaft, Gaststätten, Personentransport wie Taxiunternehmen und eben die Gebäudereinigung. Hier müssen grundsätzlich Arbeitsdauer, Anfangs- und Endzeiten notiert werden. Bis zu einer Höhe von brutto 2.958 Euro im Monat.
"Wenn man sich das mal umrechnet jetzt, wie viel müsste jemand arbeiten bei 8,50 Euro?"
Dann wäre nur derjenige von der Aufzeichnungspflicht befreit, der im Monat 348 Stunden arbeitet. Hat der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie vorgerechnet. Das wären 29 Tage zu je 12 Stunden.
"Also, ich würde vorschlagen, dass man diese Grenze einfach runtersetzt."
Selbst wenn ursprünglich sogar eine Grenze von 4.500 Euro vorgesehen war, der heutige Wert sei noch immer viel zu hoch angesetzt, findet auch Carsten Linnemann. Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU fordert deshalb, den Betrag weiter zu reduzieren.
"Selbst der Zoll, also die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, sagt, wir konzentrieren uns auf die Bruttolöhne zwischen 1.000 und 2.000 Euro im Monat, weil was sollen wir jemanden kontrollieren, der 3.000 Euro verdient. Der ist bei 15,17, 18 Euro in der Stunde."
Arbeitsministerin Andrea Nahles gibt sich vor der Sitzung des Koalitionsausschusses in diesem Punkt jedoch unnachgiebig. Nahles: "Eine Stunde hat 60 Minuten und nicht mehr. Und deswegen kann es auch keine Diskussion darüber geben, dass der Mindestlohn, auch was die Dokumentation und die Arbeitszeiterfassung angeht, sauber sein muss. Und das heißt für mich: Es kann keine Verschlechterung der Aufzeichnungspflichten da geben."
Unterstützung erhält Nahles von den Ermittlern der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
"Die Zollbeamten brauchen natürlich, wenn sie prüfen, verlässliche Unterlagen. Ohne dass man weiß, wie lange die Leute gearbeitet haben, kann man den Mindestlohn nicht kontrollieren", sagt Bernd Holzhauer vom Hauptzollamt Gießen. Die Zollbeamten sind für die Überprüfung des Mindestlohns zuständig. Eine Aufgabe, die mitunter detektivisches Geschick verlangt, sagt Holzhauers Kollege Karl Grewe. Schwarze Schafe am Bau spürt er auf, indem er sich die Betonlieferscheine vorlegen lässt.
"Wenn ich am Bau sehe, dass der Lieferschein fürs Betonanliefern meinetwegen um 16.50 Uhr war, und ich bekomm vom Arbeitgeber gesagt, um 16 Uhr war auf der Baustelle Schluss jeden Tag, dann kann das nicht gehen. Der Beton muss auf der Decke gerade gemacht werden, das sind zwei Stunden, die hinten dran sind, die müssen ja irgendwie an dem Tag im Arbeitszeitnachweis ersichtlich sein."
Die Kontrollen sind schwierig, sie erfordern Zeit und vor allem ausreichend Personal. Genau daran hapert es. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat dem Zoll zwar 1.600 zusätzliche Stellen bewilligt. Bislang ist jedoch noch kein neuer Fahnder eingestellt worden.
"Die Zollverwaltung ist auf die Kontrolle des Mindestlohnes nicht gut vorbereitet", sagt der Zollbeamte Holzhauer. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Geeignete Fachkräfte sind auf dem Arbeitsmarkt kaum zu finden, deshalb will die Finanzkontrolle Schwarzarbeit die Nachwuchsarbeit verstärken. Jedes Jahr sollen 320 Auszubildende zusätzlich eingestellt werden.
"Das heißt, die ersten sind in drei bis vier Jahren und die letzten 2021 bis 2022 fertig. Dieses Loch vermögen die Kolleginnen und Kollegen, die da sind, bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu stopfen."
Mehr als Stichproben sind da kaum drin. Eine Chance für Arbeitgeber, wenn sie den Mindestlohn umgehen wollen. Diese Erfahrung hat Christopher Schlumm gemacht. Er hat bis vor kurzem als Fensterputzer gearbeitet. Rund zehn Jahre lang. Fenster, innen, außen, Dachflächen, Fahrstuhlschächte. Früher habe man in dem Job gut verdienen können, erzählt der 28-Jährige. Das habe sich geändert. Zwar gibt es auch für die Fensterputzer einen Branchenmindestlohn, aktuell liegt der im Westen bei 12,65 Euro, gleichzeitig habe sich aber der Druck auf die Beschäftigten erhöht, sagt er.
"Da wurden zum Beispiel Quadratmeterpreise gemacht, als Beispiel. Da hieß es dann, für einen Quadratmeter nehmen wir so und so viel Geld, das wurde den Kunden in Rechnung gestellt, dann wurde diese Gesamtsumme, die für die Fensterputzer zur Verfügung stand, die wurde geteilt durch den Mindestlohn. Dann kamen die Stunden raus, die man zur Verfügung hatte. Und in denen musste man es schaffen. Oder sollte es schaffen. Was ja eigentlich fern des Mindestlohns ist. Mindestlohn heißt ja eigentlich, ich arbeite ohne Druck und kriege mindestens soundsoviel die Stunde."
War ein Objekt in der berechneten Zeit nicht zu putzen, hieß es vom Abteilungsleiter auch mal:
"Ja, ist mir egal. Der Preis steht. Ihr müsst es schaffen."
"Ich denke aber, dass diese Problematik nicht auf den Mindestlohn zurückzuführen ist", sagt Tanja Cijic-Koch, die im Vorstand der Gebäudereiniger-Innung in Berlin sitzt.
"Das ist in der Tat der Konkurrenzdruck. Und sicherlich werden Unternehmen manchmal auch Angebote abgeben, die etwas schlechter kalkuliert wurden. Und wo man nur über den Mitarbeiterlohn letztendlich das ausgleichen kann."
Die meisten ihrer Kunden hätten Verständnis dafür, dass die Reinigung durch den Mindestlohn etwas teurer geworden sei, sagt Tanja Cujic-Koch. Ihre 180 Mitarbeiter sind fast alle fest angestellt. Mit Arbeitsverträgen, die zwischen sechs und acht Stunden pro Tag vorsehen.
Mindestlohn führe zu Preismarktbereinigung
Sie finde den Mindestlohn grundsätzlich positiv, sagt die Unternehmerin. Sie sei überzeugt, der führe letztlich zu einer Marktbereinigung:
"Das muss jetzt nicht unbedingt das Verschwinden von Unternehmen bedeuten. Aber auf jeden Fall eine Preismarktbereinigung. Das heißt, diejenigen, die sich wirklich immer getraut haben einen sehr niedrigen Preis anzubieten, die trauen sich das jetzt vielleicht nicht mehr so sehr. Weil der Zoll ja doch immer auftreten könnte."
Darauf setzt auch Karl-Heinz Schmidt, er ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung BGL. Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund wirbt der Wirtschaftsverband für den Mindestlohn:
"Für uns ist der Mindestlohn eine Chance, den Wettbewerb, den wir heute in einem Markt ohne Grenzen haben, fairer zu machen."
Die deutschen Transportunternehmen sehen sich bedroht durch ausländische Spediteure, die ihren Fahrern keinen Mindestlohn zahlen. Ein rumänischer Fahrer verdient 500 Euro im Monat, ein deutscher knapp 2.000 Euro. Die Folge: Die deutschen Anbieter verlieren massiv Marktanteile an Unternehmen aus dem osteuropäischen Ausland. Ganze Lkw-Flotten mit Standort in Deutschland würden umgeflaggt, um die Lohnkosten zu drücken, sagt Schmidt.
"Die Fahrer leben in ihren Fahrzeugen wie moderne Nomaden. Natürlich zu den zuhause üblichen Löhnen. Sie haben die Wäscheleine am Wochenende zwischen ihren Lkw aufgezogen, sitzen mit ihrem Campingtisch davor. Und nennen das ganze Wochenruhezeit. Frankreich hat mittlerweile diese Praktiken unter Strafe gestellt."
Schmidt fordert: Der Mindestlohn muss für alle Fahrer im grenzüberschreitenden Transportverkehr gelten, deren Fahrt in Deutschland beginnt oder endet. Auch das Taxigewerbe spürt den Druck durch den Mindestlohn. Die Branche ist in der Vergangenheit immer wieder durch schlechte Bezahlung und kreative Lohn- und Umsatzberechnungen aufgefallen. Seit Anfang des Jahres müssen die Taxiunternehmen ihren Mitarbeitern den Mindestlohn zahlen und die Arbeitszeit ihrer Fahrer genau dokumentieren. Mit Anfang- und Endzeiten. Das bringe eine Menge Veränderungen für Mitarbeiter und Chefs, sagt Stephan Berndt, Taxiunternehmer aus Berlin.
"Ein Fahrer musste nach dem vorherigen Lohnsystem nicht darauf achten, in welcher Zeit er den Umsatz macht. Zeit war nicht das Maß für den Lohn."
Heute müsse der Fahrer versuchen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Umsatz zu machen.
"Er muss wirklich Minimum 20 Euro pro Stunde einfahren, Stunde für Stunde, damit ich ihm den Stundenlohn auch zahlen kann. In der Nacht ist es noch etwas mehr, weil der Nachfahrer ja noch diese Nachtzuschläge zusätzlich obendrauf bekommt."
Da müssten es schon rund 28 Euro Umsatz pro Stunde sein. Läuft das Geschäft schlecht, dann ist auch schon mal eine extra lange Pause angesagt. Im Taxi in der Warteschlange zu stehen, das gehe dann allerdings nicht. Denn das sei Bereitschaftszeit.
"Bereitschaftszeiten sind Arbeitszeiten. Man kann natürlich eine Bereitschaftszeit etwas geringer vergüten als die tatsächliche Arbeitszeit. Aber keinesfalls unterhalb des Mindestlohns."
Daran halten sich allerdings nicht alle Arbeitgeber, erzählt Dietmar Graf, der eigentlich anders heißt. Graf ist viele Jahre in Berlin Taxi gefahren. Gerade sucht er eine neue Arbeit. Sein alter Arbeitgeber hat ihn gekündigt, weil er auf seinen 8,50 pro Stunde bestanden hat. Ohne Rechenspielchen, sagt er: Die hätten in vielen Taxen Einzug gehalten seit Januar. Etwa bei den Standzeiten in der Schlange. Es gebe:
"Ein Softwaremodul in den Taxametern, das automatisch in den Pausenmodus springt nach einer definierten Zeit. Also programmierbaren Zeit."
Ab 15 Minuten werde das hinterher als Pause gerechnet.
"Da man an Halteplätzen in Berlin inzwischen unter einer Viertelstunde selten steht, wird also jede Standzeit am Halteplatz als Pause gerechnet. Wenn der Fahrer das nicht unterbricht. Und es gibt Betriebe, die sagen, das darfst Du nicht: wehe, du drückst die Pausentaste, um das zu unterbrechen den Modus."
So etwas werde sich erst durch ein neues Taxameter verhindern lassen, das man nicht mehr manipulieren könne, sagt Taxiunternehmer Stephan Berndt. Das werde in der Hauptstadt aber erst ab 2017 eingeführt, erklärt der Berliner Landesvorsitzende des Verbandes Taxi-Deutschland. Er hoffe, dass die ehrlichen Taxiunternehmer, die ihren Mitarbeiter den Mindestlohn zahlen, bis dahin durchhielten.
"Wenn die Frau Nahles sagt, dass das bisher alles so prima läuft, dann sieht sie bestimmt nicht, dass viele Unternehmer wie ich da sitzen und für die Fahrer läuft so eine Galgenfrist. Selbst wenn wir mal zwei drei Monate drauflegen. Wir wollen unsere Leute halten. Das sieht Frau Nahles nicht, dass die Bombe erst in zwei drei Monaten knallt."
Eine Million Jobs könnten durch die Einführung des Mindestlohns verloren gehen, hatte Hans-Werner Sinn, der Chef des Münchener ifo-Instituts, prognostiziert. Heinrich Alt lächelt milde. Bislang gebe es für massenhaften Stellenabbau keine Belege, sagt das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Im Gegenteil: Alt rechnet in diesem Jahr mit 500.000 zusätzlichen Jobs. Auch in Ostdeutschland, wo besonders viele den Mindestlohn bekommen, rechnet er nicht mit negativen Folgen:
"Also dort ist die Beschäftigungssituation nach wie vor positiv. Wir rechnen mit steigenden Beschäftigungszahlen. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich auch dort unauffällig in eine positive Richtung. Wir haben dort keinen gravierenden Abbau von Arbeitsplätzen. Von daher, dort auch noch nichts zu bemerken."
Alt rät daher zur Gelassenheit. Die Ausnahmen und Übergangsregelungen seien klug gewählt, sie erleichterten der Wirtschaft die Umsetzung des Mindestlohnes. Für kurzfristige Änderungen sieht er keinen Grund.
"Ich glaube, dass die Grenze von 8,50 Euro und die Ausnahmen, die es jetzt noch auf Tarifvertrag gibt, dass die fest gespeichert ist im Arbeitnehmerbewusstsein und dass das sicher auch für den sozialen Frieden schon eine Errungenschaft ist, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, die man begrüßen sollte."