Aktuell sind es gut 119 Millionen Follower, schon bald werden es wohl mehr als 130 Millionen sein. Ganz genau: am 17. Januar 2023, also in weniger als zwei Monaten. Dann werde Elon Musk der „wichtigste Influencer auf Twitter“ sein. So zumindest sagt es die BBC in einer aktuellen Datenanalyse voraus. Seit Beginn dieses Jahres habe sich diese Zahl bereits fast verdoppelt, rechnet der britische Sender vor, inzwischen kämen gut 270.000 Accounts hinzu. Jeden Tag.
Die BBC spricht von einem „beispiellosen Moment“, der da bevorstehe: Die Social-Media-Branche habe noch nie eine Plattform gesehen, deren Chef gleichzeitig ihre größte Persönlichkeit ist. Und fragt weiter: „Wenn Musk also sowohl Twitter-Chef als auch ‚Chief Influencer‘ wird, was bedeutet das für den Milliardär und für die Website?“
Eine Antwort aller Experten, die in der Analyse zu Wort kommen: Dass Musk als Twitter-Chef den Dienst nun selbst noch viel mehr nutze als zuvor, sei grundsätzlich positiv. Problematisch könnten allerdings die Inhalte sein, die er nun poste. "Wir müssen nur auf eine andere Figur zurückblicken, die erschreckend viele Ähnlichkeiten mit Elon Musk aufweist, nämlich Donald Trump", wird Social-Media-Experte Matt Navarra zitiert.
PR-Experte: „Medien bevorzugen das Außergewöhnliche“
Auch Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, erkennt Parallelen zu dem früheren US-Präsidenten: Genau wie Trump halte sich Musk nicht an bestimmte Regeln der Kommunikation; der Unternehmer stehe mit seinen Aussagen ebenfalls für das „Schräge und Skurrile“. Und für Frühbrodt ist genau das der entscheidende Grund, warum Medien – genau wie schon bei Trump – so viel über ihn berichten würden: „Medien bevorzugen das Außergewöhnliche, um selbst Aufmerksamkeit zu erzeugen.“
Aktuell macht Musk etwa Schlagzeilen mit verbalen Angriffen gegen Apple. In zahlreichen Tweets behauptet der Twitter-Eigentümer unter anderem, der iPhone-Hersteller drohe mit einem Rauswurf aus seinem App-Store und schalte kaum noch Anzeigen.
"Der zentrale Vorwurf, den Musk Apple macht, ist, dass Apple die Redefeiheit einschränkt", sagte im Deutschlandfunk der Journalist Gavin Karlmeier, der gemeinsam mit Dennis Horn den Podcast "Haken dran. Das Twitter-Update" macht. "Doch das ist ein bisschen aus der Luft gegriffen." Tatsächlich gehe es um wirtschaftliche Gewinne, die Apple mit dem Vertrieb von Twitter mache.
Seit seiner Übernahme der Plattform hatte Musk zuvor bereits mit obszönen Memes und pseuddemokratischen Abstimmungen für Aufmerksamkeit gesorgt. „Reiner Wahnsinn“ oder ökonomisches Kalkül? Er gehe von Letzterem aus, so Lutz Frühbrodt: „Sonst wäre Musk nicht so weit gekommen, wie er es ist.“
Fachverband: Absolutistische Vorstellung von Kommunikation
Gibt der Erfolg Musk also wirklich recht? „Ob Musk mit seiner Strategie mittelfristig erfolgreich ist, da würde ich ein dickes Fragezeichen setzen“, sagt Marco Vollmar, Sprecher des Präsidiums des BdKom, dem Fachverband von Presse- und Kommunikationsverantwortlichen aus Unternehmen und Organisationen im deutschsprachigen Raum. Steigende Followerzahlen alleine seien noch kein Maßstab für eine erfolgreiche Kommunikationsstrategie, da gebe es wichtigere Indikatoren wie Interaktion und Engagement der Followerinnen und Follower.
„Man merkt deutlich, dass es im Imperium von Elon Musk niemanden zu geben scheint, der ihn auch nur ansatzweise berät oder imstande ist, eine andere Meinung einzubringen“, beobachtet Vollmar, bis Ende des Jahres auch noch Pressesprecher beim WWF Deutschland. Eine absolutistische Vorstellung von Unternehmenskommunikation à la „Das Unternehmen, das bin ich!“ sei nicht mehr zeitgemäß. Kommunikation sei die Kommunikation von vielen und dazu da, auch Vielfalt und Vielstimmigkeit unter Mitarbeitenden abzubilden. „Da macht Musk das Gegenteil“, so Vollmar.
Und wie geht es weiter?
Für ihn sei der Unternehmer „die Wiedergeburt der Industriekapitäne in den USA des späten 19. Jahrhunderts“, sagt PR-Professor Lutz Frühbrodt. Menschen wie der Bankier J. P. Morgan oder John D. Rockefeller, der erste Milliardär der Weltgeschichte, die alle „sehr radikal, manchmal auch brutal durchgesetzt haben, was sie wollten“ und sich dabei über PR ins rechte Licht gerückt hätten. Auch Musk sei es gelungen, vor allem bei Marktradikalen, Rechtspopulisten und in Teilen der Unternehmerschaft, ein positives öffentliches Bild von sich zu schaffen.
Dieser nehme es in Kauf, „kurzfristig eine Welle negativer Aufmerksamkeit zu erzeugen, um langfristig seine Ziele zu erreichen“, beobachtet Frühbrodt. „Das ist sein Kalkül.“ Ob ihm das nun wieder gelinge, werde sich aber frühestens in einem halben Jahr zeigen. Unternehmen, die Twitter den Rücken gekehrt hätten, könnten auch wieder zurückkehren. Trotz neuer Konkurrenz wie Mastodon – noch sei die Plattform als Ort für Werbung und Kommunikation in dieser Form alternativlos.
Auch Marco Vollmar glaubt, dass es noch zu früh für Prognosen sei. Fest stehe: Der BdKom unterstütze Plattformen, wenn sie den Gesetzen von Meinungsvielfalt und -freiheit folgten. Und bei Twitter sei das zurzeit mehr als fraglich, etwa dann, wenn Musk Gremien wie den Verwaltungsrat mit seinen wichtigen Kontrollfunktionen einfach abschaffe.
Der Twitter-Chef habe zwar eine neue Struktur angekündigt, doch aktuell entscheide er alleine, was geht und was nicht. „Und das ist natürlich ein Problem, denn durch diese Personalisierung überhöht er sich zu Lasten der Reputation seiner Unternehmungen“, betont der Pressesprecher.